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Süßstoff unter Krebsverdacht

Egal ob Getreideflocken oder zuckerfreier Joghurt, Fertigsoßen oder Kaugummis: Als Bestandteil vieler Produkte verspricht Aspartam Genuss nahezu ohne Kalorien. Der Stoff ist etwa 200 Mal so süß wie Zucker und steckt in vielen häufig konsumierten Lebensmitteln.

„Die größte Menge an Aspartam wird durch kalorienreduzierte Süßgetränke aufgenommen“, sagt Dr. Susanne Weg-Remers, Leiterin des Krebsinformationsdienstes des Deutschen Krebsforschungszentrums. Etwa 90 Prozent der kalorienarmen Süße schlucken wir laut Weg-Remers hierzulande mit Cola und Limo hinunter. Der Rest steckt in zahlreichen anderen Produkten – von Fertiggerichten bis hin zu Hustensaft. Ist der Stoff in der Zutatenliste nicht explizit genannt, zeigt das Zusatzstoffkürzel E 951 an, ob er enthalten ist.

Umstritten ist Aspartam schon lange. Jetzt aber hat die WHO es offiziell unter Krebsverdacht gestellt, genauso wie Blei, Benzinabgase – oder auch traditionell eingelegtes asiatisches Gemüse. Aber was bedeutet die Einordnung als „möglicherweise krebserregend“? Kann der Süßstoff wirklich krank machen?

Wie stuft die WHO Stoffe als krebserregend ein?

Zuständig für die Prüfung ist die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC). Was auf die sogenannte Karzinogenität, also die krebserzeugende Wirkung, untersucht wird, beruht auf Vorschlägen. Diese können von Regierungseinrichtungen wie dem Gesundheitsministerium stammen. Aber auch Forscherinnen und Forscher oder die Öffentlichkeit können Vorschläge einbringen. Unabhängige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler analysieren dann alle wissenschaftlichen Studien sowie weitere Hinweise zu einer möglichen krebserregenden Wirkung.

Berücksichtigt werden verschiedene Arten von Studien. Erstens: große Beobachtungsstudien mit Menschen, die dem Stoff ausgesetzt sind oder waren. In solchen Untersuchungen wird eine Gruppe von Personen über einen bestimmten Zeitraum beobachtet, ohne dass die Forschenden die Bedingungen steuern oder kontrollieren. Am Ende wird zum Beispiel untersucht: Erkranken Menschen, die angeben, viel Fleisch zu essen, öfter an Krebs?

Hinzugezogen werden zudem Studien an Versuchstieren sowie Laborversuche, zum Beispiel an Zellkulturen, die auf eine krebserregende Wirkung hinweisen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Stoff das Erbgut oder dessen Reparatur beeinflusst. Eine Rolle spielt auch, auf welche Weise Menschen dem Stoff ausgesetzt sind, also ob sie ihn zum Beispiel einatmen, essen oder mit ihm Hautkontakt haben.

Je nach Studienlage fällen die unabhängigen Fachleute ein Abschlussurteil. Üblicherweise gehen sie dabei im Zweifel auf Nummer sicher. Ein Beispiel: Die Beobachtungsstudien zeigen nicht eindeutig, dass der Stoff bei Menschen Krebs auslöst. Bei Tieren zeigt sich allerdings klar, dass der Stoff Krebs auslösen kann, zum Beispiel, wenn sie die Substanz essen. Sind Menschen dem Stoff auf die gleiche Weise ausgesetzt, nehmen ihn also ebenfalls mit der Nahrung auf, wird dieser wahrscheinlich auch für Menschen als krebserregend eingestuft – obwohl direkte Beweise fehlen.

Bewertet die WHO bei ihrer Einstufung die Höhe des Risikos?

Bei der Einstufung gibt es vier Kategorien: (1) krebserregend, (2A) wahrscheinlich krebserregend, (2B) möglicherweise krebserregend und (3) nicht klassifizierbar. Bei Stoffen der Kategorie 1 ist sicher bewiesen, dass sie krebserregend für Menschen sind. Bei Stoffen der Kategorie 2A und 2B gibt es Hinweise, aber keine Beweise.

Für die Einstufung entscheidend ist nur, ob ein Stoff prinzipiell Krebs auslösen kann. Ob er das Risiko für Krebs stark oder nur sehr schwach erhöht, spielt keine Rolle. Dieses Vorgehen führt gelegentlich zu Kritik. Denn das konkrete Risiko lässt sich durch die bloße Einordnung nicht einschätzen. „Die IARC ist besonders vorsichtig“, sagt Weg-Remers. „Das ist aber auch ihre Aufgabe. Sie soll prinzipielle Gefährdungen erkennen.“

Menschen schätzen die Gefahren in Folge der Einordnung manchmal falsch ein. „Der Kontext ist immer wichtig“, betont Weg-Remers. Viele Substanzen sind beispielsweise bei Hautkontakt unbedenklich, aber möglicherweise gefährlich, wenn sie konsumiert werden. Wird in so einem Fall die Substanz als „möglicherweise krebserregend“ eingeordnet, wird sie oft insgesamt als gefährlich wahrgenommen. Auch wenn man nur unbedenklichen Umgang mit ihr hat. „Andererseits wird das Risiko von Alkohol und Tabak meist stark unterschätzt oder sogar ignoriert“, sagt Weg-Remers. Obwohl beide Stoffe Gruppe 1 zugeordnet sind, also als „krebserregend“ für Menschen gelten.

Einordnung der IARC nach Gruppen

Einordnung der IARC nach Gruppen

Ist Aspartam wirklich möglicherweise krebserregend?

Der Süßstoff wurde erstmals von der IARC untersucht und landete in der Kategorie 2B, also „möglicherweise krebserregend“. Das heißt: Es gibt keine ausreichenden Beweise, dass der Stoff bei Menschen Krebs auslöst. Versuche und Studien geben lediglich Hinweise, dass dies so sein könnte.

Was die IARC bei der Einordung überdies nicht berücksichtigt: Wie viel müsste ein Mensch zu sich nehmen, damit sich das Krebsrisiko nachweislich auswirkt? So kann es sein, dass ein Stoff in hoher Dosis eventuell Krebs auslöst, die vom Menschen aufgenommene Menge aber unbedenklich ist. Genau dies ist höchstwahrscheinlich bei Aspartam der Fall. „Man sollte nicht in Panik verfallen, weil man jahrelang zuckerfreie Softdrinks getrunken hat“, beruhigt Weg-Remers. „Prinzipielle Vorsicht ist angebracht. Aber normale Mengen Aspartam stellen wohl keine Gefahr dar.“

Auch die WHO hält an ihrer Einschätzung fest, dass eine tägliche Aufnahme (ADI) von bis zu 40 mg/kg Körpergewicht unproblematisch ist. Das heißt: Wer 70 Kilo wiegt, könnte bis zu 2,8 Gramm gefahrlos aufnehmen. Im Mittel beinhalten zum Beispiel zuckerfreie „Diät-Limos“ etwa 75 Milligramm Aspartam pro Liter. Bei dieser Menge müsste eine 70 Kilo schwere Person also gute 37 Liter zuckerfreie „Diät-Limo“ am Tag trinken, um die akzeptable Menge zu überschreiten.

Gibt es eine generelle Gefahr für die Gesundheit?

In der Kritik stehen Süßstoffe wie Aspartam gegenwärtig auch aufgrund anderer möglicherweise schädlicher Effekte. Bei der Festlegung der unbedenklichen Menge wurden von der WHO auch diese miteinbezogen. Dr. Dirk Lachenmeier, Lebensmittelchemiker und Toxikologe beim Chemischen Veterinäruntersuchungsamt Karlsruhe, hat bei der Einstufung der IARC zu Aspartam mitgewirkt. Dass die WHO diesmal nicht nur die prinzipielle Krebsgefahr, sondern auch das Risiko für die Verbraucher berücksichtigt hat, findet er durchaus „bemerkenswert“. „Da Krebsgefahr und Gesundheitsrisiko parallel bewertet wurden, ist die Nachricht an die Verbraucher ausgeglichener und weniger missverständlich“, so Lachenmeier.

In Sachen Gesundheitsgefahr gilt also auch bei Aspartam das alte Motto: Die Dosis macht das Gift. Allerdings empfiehlt die WHO, Süßstoffe nicht zum Abnehmen zu nutzen. Dafür sind sie nachweislich schlecht geeignet. Statt der Wahl zwischen Limonade und Diät-Limonade, sollte man lieber öfter mal zum Wasser greifen – der Gesundheit und der schlanken Linie zuliebe.

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Süßstoffe (Zuckerersatzstoffe)

Süßstoffe haben keine Kalorien. Sie können vor allem bei Diabetes ein Ersatz für Zucker sein – zumindest innerhalb der empfohlenen Mengen. zum Artikel


Quellen: