Logo der Apotheken Umschau

Toilettenpapier, Zahncreme – was fehlt noch von der Einkaufsliste? Genau, die Glucosamin-Kapseln, die seien so gut für Knorpel und Knochen, sagt die Nachbarin. Der Blick schweift über das Regal mit Nahrungsergänzungsmitteln: Blaubeeren für Augen und Sehkraft, Cranberrys für die Blase, Vitamin C und Zink. Rechts unten: Glucosamin für Knochen und Knorpel.

Was können Nahrungsergänzungsmittel – und was nicht?

Wahre Wunder aus Drogeriemärkten, Apotheken, Reformhäusern und Onlineshops? Schönheit, Vitalität bis ins hohe Alter, gar Heilung von Krankheiten? „Würden Nahrungsergänzungsmittel gegen Erkrankungen wirken, wären es Medikamente“, sagt Dr. Julia Podlogar von der Apothekerkammer Westfalen-Lippe. Sind sie aber nicht.

Nahrungsergänzungsmittel sind rechtlich gesehen Lebensmittel und können die Ernährung von gesunden Personen – wie der Name schon sagt – ergänzen. Nur sehen die Produkte in der Regel aus wie Arzneimittel, werden als Tabletten, Kapseln, Pulver oder Tropfen angeboten. „Das erweckt den Eindruck, sie seien mit Medikamenten vergleichbar“, sagt Wiebke Franz von der Verbraucherzentrale Hessen.

Genau nachgeschaut

Arznei- oder Nahrungsergänzungsmittel? Oft nicht einfach zu unterscheiden. Noch schwieriger: zu sehen, ob die Gesundheitsaussage mit dem beworbenen Inhaltsstoff zusammenhängt. Ein Blick ins Kleingedruckte – hier am Beispiel eines Produkts mit Glucosamin

Bitte auf die -Symbole klicken für mehr Infos

Her mit der Lupe

Weitere Beispiele fiktiver Produkte mit realen Inhaltsstoffen, bei denen legal getrickst werden kann

Bitte auf die -Symbole klicken für mehr Infos

Lieber was Pflanzliches!

Werbende Aussagen für Pflanzen und Pflanzenbestandteile in Nahrungsergänzungsmitteln dürfen ungeprüft auf Produkten stehen

Bitte auf die -Symbole klicken für mehr Infos

Glucogelen als Substanz gibt es nicht, der Name des Präparats ist frei erfundener Produktname. Dieser darf nicht den Eindruck erwecken, das Nahrungsergänzungsmittel lindere, heile oder beuge einer Krankheit vor. Etwa „Knochenpower“ oder „Knorpel-Champ“. Auch das Bild darf keine heilende oder lindernde Wirkung suggerieren.

Fast wie bei einem Medikament: Nur bei genauem Hinsehen erkennt man oft den Unterschied. Statt des Begriffs „Arzneimittel“ steht auf der Packung „Nahrungsergänzungsmittel“ oder „Zur Nahrungsergänzung“. Findet sich aber leider nicht immer aufgedruckt.

Gesundheitsbezogene Werbeaussagen für den Inhaltsstoff Glucosamin sind verboten. Formulierungen wie „Für Knorpel und Knochen“, oft ergänzt durch Sternchen oder kleine Ziffern, die aufs Kleingedruckte verweisen, findet man auf einigen Präparaten mit Glucosamin. Das Kleingedruckte ist je nach Anbieter dann prominent auf der Vorderseite der Verpackung oder unauffälliger an der Seite platziert.

Für einige Inhaltsstoffe – meistens Vitamine und Mineralstoffe – sind allgemeine gesundheitsbezogene Aussagen erlaubt. Glucosamin sind häufig Vitamine zugesetzt, deren erlaubte Aussagen den Knochen oder die normale Knorpelbildung betreffen. Zum Beispiel: „Vitamin C trägt zu einer normalen Knorpelbildung bei.“ Oder: „Vitamin K leistet einen Beitrag zum Erhalt normaler Knochen.“

Für Safran gibt es keinen genehmigten Health Claim. Die beworbene Aussage „Für Psyche und Nerven“ ist nur erlaubt, wenn der Hersteller zum Beispiel Vitamine mit den passenden Gesundheitsaussagen zugesetzt hat. Etwa Vitamin B12: Das trägt zu einer normalen Funktion des Nervensystems bei.

Spermidin hat in Zellversuchen gewisse Anti- Aging-Eigenschaften gezeigt, der Nutzen am Menschen ist bisher aber nicht belegt. Vollkornbrot, Nüsse oder Käse enthalten Spermidin, teilweise in höheren Mengen als in Nahrungsergänzungsmitteln. Hersteller setzen etwa Zink hinzu. Genehmigter Claim: „Zink trägt zum Schutz der Zelle vor oxidativem Stress bei.“

„Cranberry: Stark für die Blase.“ Diese oder ähnliche gesundheitsbezogene Aussagen bei Nahrungsergänzungsmitteln mit Cranberry sind verboten. Ein Ausweg für Hersteller: Sie fügen Vitamin C und Zink hinzu. Genehmigter Claim für Vitamin C: „Unterstützt die Immunabwehr.“

Die Verpackung rechts sieht der von gängigen pflanzlichen Arzneimitteln sehr ähnlich. Damit ein Medikament eine Zulassung erhält, prüfen es die Behörden auf unterschiedliche Kriterien, etwa Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität. Ein Nahrungsergänzungsmittel kommt dagegen ungeprüft auf den Markt. Zudem ist die enthaltene Menge an Heilpflanzen so gering, dass es keine arzneiliche Wirkung hat.

Das Produkt ist frei erfunden

Und was ist mit „Versprechen“, die auf den Packungen stehen? Fakt ist: Gesundheitsbezogene Aussagen (etwa „Verbessert die Sehkraft“ oder „Stärkt die Knochen“) sind für Nahrungsergänzungsmittel verboten. Eigentlich. Es sei denn, sie stehen auf einer sogenannten Positivliste der EU. Um den Wildwuchs an angeblichen Gesundheitsversprechen einzudämmen, forderte die EU im Jahr 2006 von den Herstellern, bis zu einem Stichtag sämtliche ihrer gesundheitsbezogenen Behauptungen einzureichen. Sechs Jahre wurden diese wissenschaftlich geprüft, bis 2012 jene Positivliste erschien. Sie wird seither fortlaufend erweitert.

Welche Gesundheitssaussagen sind erlaubt?

Alle „Health Claims“, also Gesundheitsaussagen auf dieser Liste sind von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) wissenschaftlich überprüft und zugelassen. Derzeit stehen dort etwa 250 Claims, überwiegend für Vitamine und Mineralstoffe. Erlaubt ist zum Beispiel der Satz: „Vitamin C trägt zur normalen Funktion des Knorpels bei.“ Einschränkung: Das gilt, sofern ein ärztlich festgestellter Mangel vorliegt. Nur gibt es den selten, denn die Versorgung der Bevölkerung mit Vitamin C ist sehr gut. Wer also Knorpelprobleme hat und ausreichend versorgt ist, dem bringt die zusätzliche Einnahme nichts.

Und Glucosamin, das Knorpelmittel, steht es auf der Positivliste? Nein. Alle dafür eingereichten Werbeaussagen wurden abgelehnt. Begründung: Es gibt keinen wissenschaftlichen Nachweis für etwa eine knorpelerhaltende Wirkung bei gesunden Menschen. Health Claims wie „Für gesunde Gelenke und Knochen“ oder „Gut für die Knorpelbildung“ sind also seit 2012 nicht mehr erlaubt.

Inwiefern wird bei gesundheitsbezogenen Claims legal getrickst?

„Knochen und Knorpel“ steht aber doch drauf? Richtig. Denn der gute Vorsatz der EU funktioniert nur bedingt. Einige Hersteller haben einen Umweg gefunden: Sie fügen den Mitteln preisgünstige Vitamine oder Mineralstoffe, für die Werbeaussagen erlaubt sind, hinzu. Bei Glucosamin-Präparaten sind das Vitamin C, Vitamin D oder Zink.

Und auf einmal können doch gesundheitsbezogene Claims auf der Packung stehen, die auch Knochen oder Knorpelbildung betreffen: „Vitamin C trägt zu einer normalen Kollagenbildung bei“ oder „Zink und Vitamin D tragen zum Erhalt der normalen Knochen bei“. Glucosamin? Hat damit nichts zu tun. „Die Verbraucher bezahlen viel Geld für Inhaltsstoffe, deren Claims entweder abgelehnt wurden oder deren Wirkung nicht nachgewiesen ist“, sagt Julia Podlogar. Rechtlich alles in Ordnung, das Vorgehen sei jedoch, so Wiebke Franz, „reine Geschäftemacherei“.

Warum sollte ich übermäßige Einnahme vermeiden?

Doch wer ständig solche angereicherten Präparate einnimmt, kann eine Überversorgung riskieren. Bis heute gelten keine Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe in Nahrungsergänzungsmitteln. Überdosiert können sie aber zu gesundheitlichen Problemen führen oder mit Medikamenten wechselwirken.

Glucosamin kann die blutgerinnungshemmende Wirkung mancher Arzneien verstärken. Mineralstoffe wie Kalium oder Kalzium können die Wirkung von Blutdruckmedikamenten oder Antibiotika vermindern. Franz sagt: „Liegt kein Vitamin- oder Mineralstoffmangel vor, sind Nahrungsergänzungsmittel bestenfalls überflüssig, schlimmstenfalls schaden sie.“

Sind dann Präparate mit bekannten Heilpflanzen wie Baldrian, Zitronenmelisse und Lavendel eventuell sicherer? Auch hier ist die Antwort nicht einfach. Hersteller von pflanzlichen Nahrungsergänzungsmitteln hatten 2006 ebenfalls ihre Claims eingereicht. Diese sind aber bis heute nicht bewertet worden. Sie gelten als „on hold“, also in Wartestellung. Bis es eine Liste gibt, dürfen die Hersteller alle eingereichten, aber nicht geprüften Claims weiterverwenden.

Beispiel: „Baldrian und Zitronenmelisse unterstützen das Einschlafen.“ Klingt gut, ist aber eben ungeprüft. Hinzu kommt, dass in Nahrungsergänzungsmitteln – im Gegensatz zu pflanzlichen Arzneien – häufig nur winzige Mengen der Heilpflanzen stecken. Sie dürfen nämlich per Gesetz gar nicht wie Medikamente wirken. „Dieser feine Unterschied ist für Laien kaum zu erkennen“, sagt Pharmazeutin Podlogar. Nur ist diese Diskrepanz nicht unbedingt gesundheitsgefährdend.

Warum ist gute Beratung wichtig?

Es drängen jedoch immer mehr Nahrungsergänzungsmittel mit exotischen Pflanzen auf den Markt. Egal, wie natürlich sie daherkommen: Einige Inhaltsstoffe können schon in kleinen Mengen gesundheitsschädlich sein. Die wenigsten dieser Pflanzen wurden bisher wissenschaftlich auf ihre Schädlichkeit hin bewertet oder auf Wechselwirkungen überprüft. Von Goji-Beeren etwa ist bekannt, dass sie den Abbau von bestimmten Gerinnungshemmern im Körper blockieren können. Mögliche Folge: vermehrte Blutungsneigung.

Wer nun weiterhin auf Nahrungsergänzungsmittel schwört, sollte sich gut beraten lassen. Am besten in der Apotheke vor Ort: Das Personal kann über die Notwendigkeit von Vitaminen und Mineralstoffen aufklären und überprüfen, ob sie sich mit Medikamenten vertragen. Im Drogeriemarkt, im Reformhaus oder im Internet gibt es das nicht.


Quellen: