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Schön, dass Sie Zeit hatten, sich heute mit mir in Garmisch-Partenkirchen an der großen Schanze zu treffen. Ein Ort, an dem Sie große Erfolge gefeiert haben. Wie ist das für Sie, jetzt hier zu stehen?

Die Bilder der Vierschanzen-Tournee 2001 und 2002 sind natürlich sofort in meinem Kopf. Das war ein absolutes Highlight in meinem Leben. Adam Małysz aus Polen war damals der klare Favorit. Mein erster Sieg beim Auftaktspringen in Oberstdorf war eine echte Überraschung. Das zweite Springen hier in Garmisch habe ich dann ganz knapp gewonnen, aber der Sieg in Innsbruck war einfach überragend. Das war der Moment, in dem ich selber angefangen habe, daran zu glauben, dass jetzt alles möglich ist – dass ich als erster Skispringer in der Geschichte alle vier Springen der Vierschanzen-Tournee gewinnen kann.

Hat Sie das unter Druck gesetzt?

Der Tumult um mich herum war extrem. Egal, wo ich hinkam, hingen Plakate von unserem Team. An jeder Tankstelle sah ich mein Gesicht auf den Titelseiten der Zeitungen. Aber damals, in diesem Winter, konnte ich diesen Druck und den Stress komplett ausblenden und mich auf das fokussieren, was wichtig war: Skispringen.

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Im entscheidenden Moment allen Druck wegschieben und Ihr Ding durchziehen – ist das etwas, das Sie als Spitzensportler ausgezeichnet hat?

Absolut. Das hat mich schon immer ausgemacht. Ich bin rigoros in allem, was ich tue. Wenn ich meine Form gefunden habe, kann rechts und links Krawall sein. Ich blende das aus und zeige volle Leistung.

Sie standen damals am Höhepunkt Ihrer Karriere, hatten Unglaubliches geleistet. Wann haben Sie gemerkt, dass der Druck zu viel wurde?

Das war ein schleichender Prozess und fing schon vor meiner Supersaison Ende 2001 an. Ich fühlte mich dauernd müde. Meinem Körper habe ich Pausen gegönnt, aber in meinem Kopf ging es 24 Stunden am Tag, an sieben Tage der Woche ums Skispringen. Auf der Heimfahrt von einem Wettkampf habe ich schon an den nächsten gedacht.

War Ihnen damals bereits klar, dass das nicht gut für Ihre Psyche war?

Ja. Ich wusste, das tut mir nicht gut. Aber ich hatte keine Zeit, mich besser um mich zu kümmern. Ich hatte Erfolg. Ich hatte Blut geleckt. Ich wollte nicht um hintere Plätze springen. Ich wollte ganz vorne dabei sein. Halbe Sachen sind nicht mein Ding. Auch da bin ich rigoros.

Wann haben Sie gemerkt, dass Sie wirklich krank sind?

Schon 2003 war ich ständig schlapp. Meine Symptome ähnelten denen von Pfeifferschem Drüsenfieber. Aber das hatte ich nicht. Ich rannte von einem Arzt zum nächsten. Keiner konnte etwas finden. Es hieß immer nur: „Wow, Spitzensportler! Sie haben Top-Werte.“ Im Urlaub 2004 ging es mir dann besonders schlecht. Ich konnte die Ruhe um mich herum kaum aushalten, fühlte mich wie ein gehetztes Tier. Innerlich war ich erstarrt. Wieder zu Hause ging ich zu einem Arzt für Psychosomatik. Der sprach eine halbe Stunde mit mir – und hatte eine sehr eindeutige Diagnose.

Burn-out!

Für mich war das eine totale Erlösung. Endlich wusste ich, was mit mir los war, und konnte etwas dagegen tun. Mein Plan: schnell in eine Klinik gehen, mir erklären lassen, was ich falsch mache, mir ein paar Tipps abholen, was ich besser machen kann – und dann schnell wieder fit werden, um für die anstehende Saison trainieren zu können.

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Wann ist Ihnen klar geworden, dass die Therapie so nicht funktionieren wird?

Das hat gedauert. Erst einmal habe ich mich in der Klinik sicher gefühlt. Ich lernte, wieder Zugang zu meinen Gefühlen zu bekommen. Diese Seite von mir war wie ausgelöscht. Es war in meinem Leben immer ums Funktionieren, um Leistung gegangen. Mich nur mit meinen Gefühlen zu beschäftigen, sie auf Händen zu tragen und ihnen zuzuhören, das hat mir gutgetan.

Und das Skispringen? War das weit weg?

Ja. Ich konnte in der Klinik gut abschalten. Doch sobald ich nur an Skispringen gedacht habe, wurde mein Körper unruhig. Ich konnte nicht schlafen, war schweißgebadet. Am Anfang haben mir Medikamente geholfen. Durch die Tabletten kam ich abends zur Ruhe. Wenn die Wirkung am Morgen nachließ, war ich wieder beschäftigt mit Therapie und Tagesablauf. Am ­Ende des Klinikaufenthaltes ging es mir wieder richtig gut.

Doch das war nicht von Dauer.

Ich hatte mich darauf gefreut, nach der Klinik nach Hause zu meinen Eltern zu fahren. Doch als ich vor der Tür stand, waren die Unruhe, das flaue Gefühl, das Zittern sofort wieder da. Mein Körper hatte gelernt, das Haus meiner Eltern mit Skispringen zu verknüpfen, und schlug Alarm.

Einmal saß ich nachmittags auf dem Sofa und hatte richtig Lust, laufen zu gehen. Ich zog mich um, ging vor die Tür und konnte einfach nicht loslaufen. Ich, der Leistungssportler! Mir ging es zwar allmählich besser, doch ich merkte schnell, dass ich vorsichtig sein muss und mir nicht zu viel zumuten darf. Nach vier Monaten war ich langsam so weit, ans Skispringen denken zu können, und hatte richtig Lust auf den Weltcup. Ich fing an zu trainieren. Eines Tages auf dem Weg in die Halle war es aber dann wieder da – dieses Gefühl von extremer Unruhe und Stress, das ich schon längst überwunden glaubte. Da wusste ich es.

Mir war klar, wenn ich dieses Gefühl jetzt ignoriere, lande ich wieder in der Klinik.

Was wussten Sie?

Skispringen, das ist vorbei! Mir war klar, wenn ich dieses Gefühl jetzt ignoriere, lande ich wieder in der Klinik. Mein Körper sagte ganz klar: Lass es. Und ich habe auf ihn gehört. Das war der schwerste Tag meines Lebens. Ich musste meine Liebe, das Skispringen, gehen lassen. Und ich wusste nicht: Was kommt danach?

Das liegt jetzt 18 Jahre zurück. Wie geht es Ihnen heute?

Ich war lange auf der Suche. Ich habe mich an viele Dinge gekrallt, nur um etwas zu tun zu haben. Das war Blödsinn. Ich habe mir einen Hund angeschafft, bin mit ihm in die Hundeschule gegangen, habe ihn aufwachsen sehen. Das hat mir gutgetan. Zwischendurch war ich im Motorsport aktiv, habe sogar eine Rennlizenz gemacht und bin 2010 eine ganze Saison gefahren. Da merkte ich, ich stehe wieder mitten im Leben.

Heute kommentiere ich im Winter für die ARD Skirennen, das macht mir total Spaß. Im Sommer habe ich Projekte im Gesundheitsbereich. Ich kooperiere mit der Krankenkasse AOK und bin Botschafter der Bundesregierung für die „Offensive Psychische Gesundheit“.

Fliegen Sie noch ab und zu durch die Lüfte?

Nein. Skispringen ist ein Vertrauenssport. Ich wüsste zwar noch genau, worauf es ankommt. Aber ich vertraue dem nicht mehr. Dieser Sport ist – anders als Tennis oder Fußball – zu gefährlich, um es einfach wieder zu probieren.

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