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Gegen Rheuma etwas tun, bevor die Krankheit ausbricht: Klingt nach einer ­guten Idee. Auf dem Deutschen Rheumatologiekongress 2023 diskutierten Ärztinnen und Ärzte kontrovers, ob das tatsächlich funktionieren könnte. Ob sich ­einer rheumatoiden Arthritis, der häufigsten Rheuma-Erkrankung, durch Medikamente vorbeugen lässt.

Der Anlass: eine aktuelle Studie

Dafür erhielten 213 Personen über zwölf Monate entweder das Rheuma-Medikament Abatacept oder ein Placebo. Wer den Wirkstoff und wer das Scheinmedikament erhielt, wussten weder das Forscherteam noch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Diese hatten alle ein erhöhtes ­Risiko für eine rheumatoide Arthritis – also Gelenkschmerzen, typische Antikörper im Blut, Entzündungsaktivität in mindestens einem Gelenk. Nach einem Jahr wurde bei 30 Personen der Placebo-Gruppe eine aktive rheumatoide Arthritis festgestellt, in der Abatacept-Gruppe lediglich bei sieben. Dieser Unterschied verringerte sich nach einem ­weiteren Jahr. Fazit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler: Abatacept kann den Ausbruch der Erkrankung hinauszögern oder stoppen.

An rheumatoider Arthritis leiden hierzulande schätzungsweise 700 000 Erwachsene. Betroffen sind Hand-, Finger- und Zehengelenke, aber auch Schulter-, Knie- oder Hüftgelenke. Ursache ist eine fehlgeleitete Immunreaktion: Zellen des ­Immunsystems greifen nicht nur Viren oder Bakterien an, sondern auch Gelenke. Diese schwellen an, fühlen sich morgens lange steif an und können ohne Behandlung deformieren oder sogar zerstört ­werden. Die Krankheit verläuft in Schüben. Schmerzen, Müdigkeit und Fieber können die Lebensqualität stark einschränken. ­Eine rheumatische Erkrankung erhöht auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Probleme oder Diabetes. Mit einem Medikament, das den zerstörerischen ­Prozess noch vor Ausbruch der Krankheit stoppt, ließe sich also viel Leid verhindern.

Wie realistisch ist die Hoffnung auf Vorbeugung durch Arzneien?

Prof. Hendrik Schulze-Koops, Leiter der Sektion Rheumatologie und Klinische Immunologie am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, sagt: „Die Idee, eine Immunreaktion mithilfe von Abatacept zu blockieren, ist genial!“ Aber: Abatacept sei zur Vorbeugung nicht zugelassen. ­Menschen, die nicht an Rheuma erkrankt sind, darf dieser Wirkstoff – außerhalb ­wissenschaftlicher Studien – nicht verabreicht werden. Es seien noch viele Jahre ­intensiver Testungen erforderlich, so Schulze-Koops. „Für mich als Forscher ist das hochinteressant, als Arzt sehe ich darin aber nur einen schwachen Hoffnungsschimmer für die nächste oder übernächste Generation.“

Lässt sich der Krankheitsausbruch wenigstens verzögern?

In der Studie sah es danach aus. Aber auch da ist Schulze-Koops skeptisch: „Ich würde keine Rheuma-Medikamente, die Nebenwirkungen haben können, gegen schmerzende Gelenke einsetzen, wenn ­diese vielleicht eine harmlose Ursache ­haben.“ Das war in der Studie der Fall: Nur ein kleiner Teil der Teilnehmenden ­erkrankte im Untersuchungszeitraum von zwei Jahren. „Außerdem hat die rheumatoide Arthritis in den vergangenen 30 Jahren an Schrecken verloren“, so der Experte weiter. Sie lässt sich inzwischen mit Arzenimitteln, darunter Abatacept, so gut behandeln, dass die charakteristischen ­Gelenkzerstörungen nur noch in Einzelfällen vorkommen. Entscheidend sei, dass die ­Behandlung spätestens zwölf Wochen nach Auftreten der Symptome beginnt, um ­Gelenkschäden zu verhindern.

Allerdings sind Rheumatologiepraxen überlastet. Betroffene warten oft monatelang auf eine Diagnose. Wartezeit, die sich sinnvoll nutzen lässt: um die eigenen Lebensgewohnheiten kritisch anzuschauen. Denn man kann selbst viel dafür tun, dass die ­Erkrankung trotz einer genetischen Veranlagung nicht ausbricht oder milder verläuft.

Was löst Rheuma aus? Und wie lässt es sich verhindern?

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Diesen Fragen widmet sich Medizinwissenschaftlerin Dr. Johanna Callhoff seit vielen Jahren am Deutschen Rheuma-Forschungszentrum in Berlin. „Ein ­gesunder Lebensstil kann vieles ausgleichen“, sagt sie. „Nicht rauchen etwa ist das Beste, was man zur Vorbeugung tun kann.“ Ganz wichtig: auf gesunde Ernährung achten, Übergewicht abbauen, Dauerstress meiden. Diese Strategien wirken alle mehr oder weniger regulierend auf das Immunsystem. Und können so die Entstehung und den Verlauf von rheumatoider Arthritis günstig beeinflussen. „Dass Rheuma auch bei Menschen mit Parodontitis häufiger auftritt und umgekehrt, hat uns überrascht“, sagt Callhoff. Ob eine ­Parodontitisbehandlung das Risiko für ­rheumatoide Arthritis senken kann, werde noch erforscht.

Eine weitere Möglichkeit, um die sich ­Betroffene kümmern können, sind regelmäßige Impfungen gegen Grippe, Gürtelrose, Pneumokokken oder Covid-19. Schulze-­Koops erklärt: „Impfungen schützen zwar nicht vor Rheuma. Aber jede Infektion, die das Immunsystem nicht abwehren muss, senkt das Risiko für eine fehlgeleitete Immunantwort.“

Was kann ich selbst gegen Gelenkrheuma tun?

Rheuma trifft Menschen mit Übergewicht häufiger. Abnehmen ist daher oberstes Ziel. Vor allem das Fett im Bauchraum schüttet nämlich Botenstoffe aus, die die Entzündung der Gelenke befeuern. Weniger davon wirkt sich auf Rheumaverlauf und -beschwerden günstig aus.

Besser essen bei Rheuma heißt vor allem, das richtige Fett zu wählen: Fleisch möglichst selten essen, dafür fettreichen Fisch (ersatzweise Algenöl) regelmäßig. Statt Butterschmalz, Sonnenblumen-, Distel- und Maiskeimöl lieber Raps- oder Olivenöl als Basisöl. Das entspricht ziemlich genau der mediterranen Ernährung. Diese hat von allen Ernährungsformen in Rheumastudien am meisten überzeugt. Sie ist pflanzenbetont, basiert auf viel Gemüse, etwas Obst und Hülsenfrüchten. Auch Nüsse und Samen sind typisch. Brot, Pasta und Reis sind aus dem vollen Korn. Zucker und Zuckerhaltiges wie Softdrinks dagegen gibt es kaum. Auch beim Salz sollten sich Betroffene zurückhalten, denn sie reagieren sensibler darauf, entwickeln besonders leicht Bluthochdruck.

In Kliniken hat man auch gute Erfahrungen mit Heilfasten gemacht. Das ist aber im akuten Schub und bei Untergewicht tabu. Überhaupt sollte jede Ernährungsumstellung vorab mit Ärztin oder Arzt besprochen werden.

Sporteln statt schonen

Bewegung und Sport verhindern zwar nicht, dass sich eine rheumatoide Arthritis entwickelt. Aber: Aktive Skelettmuskeln stellen entzündungshemmende Botenstoffe – Myokine – her. Daher kann sich körperliche Aktivität günstig auf Gelenk­entzündungen auswirken.

Auch wenn geschwollene oder schmerzende Gelenke die ­Motivation, sich zu bewegen, bremsen oder Bewegungen unmöglich machen: Nur während eines Schubs ist es sinnvoll, die Gelenke zu schonen. Welcher Sport und wie viel guttut, besprechen Betroffene am besten mit Ärztin oder Arzt. Die Sorge, dass sportliche Aktivität Schübe auslösen könnte, ist unbegründet. Im Gegenteil: Körperliches Training hält die ­Gelenke beweglich, erhöht die Muskelkraft und mindert das Sturzrisiko, wenn es maßvoll und individuell angepasst erfolgt.

Eine aktuelle Übersichtsstudie kommt zu dem Ergebnis: ­Menschen mit rheumatoider Arthritis, die Yoga oder Achtsamkeit übten oder meditierten, fühlten sich vitaler und hatten weniger Gelenkbeschwerden als diejenigen, die keine dieser ­Methoden anwendeten. Die positive Wirkung war auch objektiv messbar: In manchen Einzeluntersuchungen gingen Entzündungszeichen im Blut und Gelenkschwellungen zurück.

Gute Gründe, nicht zu rauchen

In einer aktuellen schwedischen Studie mit 1531 Personen verbesserten sich die Beschwerden derjenigen, die innerhalb eines Jahres mit dem Rauchen aufhörten, im Vergleich zu denen derjenigen, die weiterrauchten.

Zudem gibt es in wissenschaftlichen Untersuchungen Hinweise, dass Rauchen zu Rheuma-Beschwerden außerhalb der Gelenke führen und das Risiko für Herz-Kreislauf-, Stoffwechsel-, Lungenerkrankungen und für Infektionen erhöhen kann. Beides, Rauchen und andere Erkrankungen, mindern möglicherweise auch die Wirksamkeit von Rheumamedikamenten. Rauchverzicht lohnt sich immer!


Quellen:

  • Cope A, Jasenecova A et al.: OP0130 ABATACEPT IN INDIVIDUALS AT RISK OF DEVELOPING RHEUMATOID ARTHRITIS: RESULTS FROM THE ARTHRITIS PREVENTION IN THE PRE-CLINICAL PHASE OF RA WITH ABATACEPT (APIPPRA) TRIAL. https://ard.bmj.com/... (Abgerufen am 01.11.2023)
  • Schneider M, Baseler G: Management der frühen rheumatoiden Arthritis. https://link.springer.com/... (Abgerufen am 01.11.2023)
  • Albrecht K, Binder S et al.: Systematisches Review zur Schätzung der Prävalenz entzündlich rheumatischer Erkrankungen in Deutschland. file:///... (Abgerufen am 19.10.2023)
  • Hartung W, Sewerin P et al.: Sport und Bewegungstherapie bei entzündlich rheumatischen Erkrankungen. https://link.springer.com/... (Abgerufen am 01.11.2023)
  • Gianfrancesco M A, Trupin L et al.: Smoking Is Associated with Higher Disease Activity in Rheumatoid Arthritis: A Longitudinal Study Controlling for Time-varying Covariates. https://www.jrheum.org/... (Abgerufen am 01.11.2023)
  • Siagter L, Demyttenaere K et al.: first_page settings Order Article Reprints Open AccessReview The Effect of Meditation, Mindfulness, and Yoga in Patients with Rheumatoid Arthritis . https://www.mdpi.com/... (Abgerufen am 01.11.2023)