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Ständig gereizt und nervös? Eine Kippe nach der anderen? Die meisten wissen, warum: Der Prüfungsstress, die neue Arbeitsstelle, der Umzug. All diese Belastungen gehen absehbar wieder vorbei und damit üblicherweise auch die Nervosität.

Anders, wenn jemand auf längere Zeit nicht mehr zur Ruhe kommt. Zunehmend nervös, hört man den Mitmenschen kaum noch richtig zu, verpatzt womöglich wichtige Dinge – früher undenkbar –, reagiert hektisch, dünnhäutig, aggressiv, abweisend. Das kommt nicht gut an. Auch die geduldigsten Gefährten sind schließlich genervt. Der nervöse Mensch selbst fühlt sich dann schnell unverstanden, zu wenig selbstwirksam, isoliert.

Fehlender Ausgleich zwischen Anspannung und Entspannung?

Was kann es sein, wenn die Balance zwischen Anspannung und Entspannung ausbleibt? Wenn einen etwas umtreibt, das man selbst nicht genau benennen kann, vor dem man aber am liebsten einfach weglaufen würde? Wenn man die Dinge nicht zu Ende bringt, schlechte Träume und Schweißausbrüche einen aus dem Schlaf reißen oder der Hang zum Grübeln auch nachts nicht aufhören will?

Sigmund Freud, Begründer der Psychoanalyse

Sigmund Freud, Begründer der Psychoanalyse

Ein kurzer Blick zurück

1869 wurde der Begriff der Neurasthenie eingeführt. Er bezog sich auf eine reizbare Schwäche, Überempfindlichkeit und Erregbarkeit, auch gepaart mit Angst und Erschöpfung. Anfang des 20. Jahrhunderts gehörte die Neurasthenie zu Modekrankheiten der (männlichen) Oberschicht. Der "Erfinder" der Neurasthenie, ein amerikanischer Neurologe namens George Miller Beard, brachte die Neurasthenie schließlich auch mit dem "Amerikanischen Lebensstil", also mit sozialen und kulturellen Faktoren, in Zusammenhang. Indem er Krankheit auch als gesellschaftliches Phänomen betrachtete, war er seiner Zeit weit voraus.

Der Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud (1856-1939, siehe Foto), stellte die Neurasthenie in eine Reihe mit Angstneurose und Hypochondrie. Alle drei führte er auf eine Fehlleitung seelischer Energie (Libido) zurück. Später billigte er den Angstneurosen eine innerseelische Dynamik zu und sah sie unter anderem als Ergebnis einer gestörten Ich-Struktur beziehungsweise Selbstorganisation an.

Voll nervös: Manchmal steckt krankhafte Hyperaktivität dahinter

ADHS – viele verbinden die "Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung" mit etwas, das eigentlich nur Kinder und Jugendliche betrifft. Die Störung kommt aber auch bei Erwachsenen vor. Nur ist sie bei ihnen mitunter schwieriger zu erkennen. Mehrheitlich besteht ein ADHS schon seit der Kindheit. Manchmal wird die Krankheit erst später festgestellt.

Während betroffene Kinder häufig durch körperliche Unruhe auffallen, zeigt sich die  Hyperaktivität bei Erwachsenen mehr in innerer Unruhe und  Nervosität. Darunter leidet besonders die Gestaltung des Alltags. Auch mangelhafte Selbstwahrnehmung, Gefühlsschwankungen, die Selbstorganisation sowie die Gefühlskontrolle bereiten oft Probleme. Dass die Patienten im Endeffekt oft mit Schwierigkeiten im Berufs- und Privatleben zu kämpfen haben, überrascht daher nicht.

Symbolbild Angst

Angst und Angststörungen

Ängste gehören zum Leben. Doch sie können außer Kontrolle geraten und krankhaft werden. Hier finden Sie Informationen über Ursachen und Therapien von Angsterkrankungen zum Artikel

Welche Rolle spielt Angst bei Nervosität?

Dazu Professor Ulrich Voderholzer, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der psychosomatischen Schön Klinik Roseneck: "Grundsätzlich sind Angstgefühle per se nicht krankhaft, sondern überlebensnotwendig. Angst hilft uns dabei, Gefahren zu erkennen und uns vor ihnen zu schützen."

Nur wenn Angst in übertriebener Weise oder ohne adäquate Anlässe auftritt, sprechen Therapeuten von klinisch relevanten Angststörungen. "Hierbei unterscheidet man situations- oder objektbezogene Ängste und generalisierte Ängste, bei welchen übertriebene Sorgen um alltägliche Dinge im Vordergrund stehen", so Voderholzer.

Nervosität, innere Unruhe, nervöse Ängstlichkeit: Auch der Körper reagiert

Doch Nervosität zeigt sich nicht nur im Umgang mit sich selbst und anderen.

"Zu den möglichen körperlichen Beschwerden zählen vegetative Symptome wie Schweißausbrüche, Herzklopfen und Zittern, Schwindel, Benommenheit und Schwächegefühle", sagt der Experte. Doch das ist nicht alles: Auch Atembeschwerden, Beklemmungsgefühle, Missempfindungen, Hitzewallungen und Kälteschauer, Übelkeit und manchmal sogar Erbrechen können in angstbesetzten Situationen auftreten.

Falsche Strategien

Eine typische, aber eigentlich ungünstige Reaktion ist zum Beispiel oft ein Vermeidungsverhalten. Das erklärt Experte Voderholzer folgendermaßen: die Furcht vor der Situation ist so groß, dass man ihr aus dem Weg geht und dadurch Erleichterung verspürt. Dies beruhigt kurzfristig, langfristig wird die Angst aber verstärkt. Die Angst vor der Angst, die Erwartung Angst, wird noch größer und der Lebensradius wird dadurch immer kleiner, weil viele Dinge, die andere Menschen problemlos meistern können wie zum Beispiel ein Einkauf, eine Unternehmung, eine Einladung oder eine Reise aufgrund von Ängsten nicht mehr möglich sind.

Ein anderer Weg sei der Versuch, Nervosität und Angst kurzfristig mit Mitteln wie Alkohol und Beruhigungsmitteln zu betäuben. In der Folge verstärkten sich Ängste und Unruhe, weil das Gehirn nicht die Erfahrung machen könne, dass die angstauslösenden Situationen zu bewältigen sind. Die Betroffenen machen nicht die Erfahrung, die Situation mit eigener Kraft zu bewältigen und langfristig kann es zur Verstärkung von Angst und Unruhe kommen. "Ein Teufelskreis der Angst entsteht", erklärt Voderholzer.

Anhaltspunkte für eine körperliche oder psychische Krankheit?

Nervosität ist per se erst einmal keine Krankheit, sondern eine Befindlichkeit. Wenn aber die Vermutung besteht, dass etwas anderes, Krankhaftes dahintersteckt, dann gilt es natürlich, möglichst bald die Ursache herauszufinden. Dabei können eventuelle Begleitsymptome wegweisend sein, auch wenn es zunächst nur unspezifische Allgemeinsymptome sind, die sowohl seelische wie körperliche Bezüge haben können (siehe oben, Abschnitt: "Nervosität, innere Unruhe, nervöse Ängstlichkeit: Auch der Körper reagiert").

Beispiele:

  • Wechseljahre: In Zeiten hormoneller Umstellungen wie den Wechseljahren fühlen sich viele Betroffene nervös. Das kann, muss aber nicht direkt mit den Hormonen zusammenhängen. Sprechen Sie am besten mit Ihrem Frauenarzt darüber.
  • Schilddrüsenerkrankungen: Eine Überfunktion der Schilddrüse (Hyperthyreose) etwa geht nicht nur an die Nerven. Trotz Heißhungers tendiert die Waage nach unten, Blutdruck, Puls und Körpertemperatur steigen dagegen eher an. Die Haut fühlt sich auffallend feuchtwarm an, die gefühlte Umgebungstemperatur ist eher warm als kalt. Auch vermehrtes Herzklopfen und Schwitzen sollten an die Schilddrüse denken lassen. Frauen haben häufiger damit zu tun als Männer.
  • Beginnende Unterzuckerung (Hypoglykämie) bei Diabetes kann sich unter anderem in akuter Nervosität äußern. Bei Behandlung mit Insulin oder bestimmten zuckersenkenden Medikamenten wie Sulfonylharnstoffen oder sogenannten Gliniden treten Unterzuckerungen eher auf. Weitere Anzeichen: Schwitzen, Zittern, Angstsymptome. Soforthilfe: Mit schnell ins Blut übergehenden Kohlenhydraten gegensteuern, zum Beispiel bei leichten Anzeichen mit zwei bis vier Plättchen Traubenzucker. Therapie und Alltagsabläufe überprüfen! Ist die Medikamentendosis im Verhältnis zur Ernährung und anderen Aktivitäten wie etwa Sport richtig eingestellt? Mehr dazu unter "Unterzucker".
  • Bluthochdruck (Hypertonie): Eine irgendwie unbestimmte Nervosität ist manchmal einziges Anzeichen für einen unentdeckten Bluthochdruck. Den Druck können Sie zum Beispiel in Ihrer Apotheke kontrollieren lassen.
  • Vermehrtes Herzklopfen sollte Anlass für einen Herz-Kreislauf-Check sein. Allen Versicherten ab 35 wird dieser alle drei Jahre kostenlos angeboten. Bei Auffälligkeiten – sei es beim kostenlosen Check, sei es beim Arztbesuch wegen Beschwerden – wird der Arzt weitere Untersuchungen veranlassen.
  • Hyperventilation ist eine gesteigerte, vertiefte Atmung. Dabei wird zu viel Kohlendioxid abgeatmet. Dann steigt der Säure-Basen-Wert (ph-Wert) des Blutes an, wodurch wiederum der Kalziumspiegel rasch absinkt. Das kann Muskelkrämpfe auslösen. Ein typisches Folgesymptom ist zum Beispiel die sogenannte Pfötchenstellung der Hände. Die Betroffenen sind sehr aufgeregt. Erste Hilfe besteht in beruhigendem Einwirken. Es hilft, die Atmung zu verlangsamen. Im Zweifelsfall lässt man den oder die Betroffene in einen Plastikbeutel oder einer Papiertüte ein- und ausatmen. Dann wird Kohlendioxid schnell zurückgeatmet, der Kalziumspiegel steigt, die Verkrampfung löst sich wieder. Andernfalls einen Arzt rufen (Notruf: Tel. 112). Mögliche Ursachen: Stress, Angst, Panik, oft auch im Rahmen einer sogenannten Somatisierungsstörung mit medizinisch nicht erklärbaren körperlichen ("funktionellen") Beschwerden. Von Hyperventilation betroffen sind hauptsächlich junge Menschen, Frauen deutlich häufiger als Männer.
  • Migräne: In der Vorbotenphase treten nicht selten Gereiztheit und Konzentrationsstörungen auf. Darauf folgen häufig Symptome wie Wahrnehmungsstörungen, Lichtempfindlichkeit, schließlich über mehrere Stunden oder bis zu zwei Tage anhaltende Kopfschmerzen. Dann ist häufig klar, was die Ursache ist. Diagnose und Therapie obliegen einem Neurologen.
  • Entzugssymptome bei Drogenmissbrauch: Diese hängen von der einzelnen Droge ab und wie lange sie konsumiert wurde. Zu den psychischen Alkoholentzugssymptomen zum Beispiel gehören Angstzustände, Verwirrtheit, innere Unruhe und Reizbarkeit. Ausgeprägte körperliche und psychische Entzugssymptome (Delir) können lebensbedrohlich sein und müssen in einer geeigneten Klinik behandelt werden.
  • Psychische Erkrankungen gehen häufig mit nervöser Unruhe einher (siehe oben). Doch bleibt es dabei nicht allein. Ob wirklich ein krankhaftes Geschehen wie zum Beispiel eine Depression, eine Angststörung oder ein ADHS vorliegt und welche Therapie geeignet ist, sollte man gemeinsam mit dem Hausarzt und zum Beispiel einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie oder Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie klären.
Unser Experte: Professor Ulrich Voderholzer, Ärztlicher Direktor und Chefarzt Schön Klinik Roseneck, Psychosomatik

Unser Experte: Professor Ulrich Voderholzer, Ärztlicher Direktor und Chefarzt Schön Klinik Roseneck, Psychosomatik

Was tun gegen zu viel Angst?

"Die effektivste Behandlung besteht darin, sich mit den angstauslösenden Objekten, Situationen und Gedanken zu konfrontieren", betont Voderholzer. "Je häufiger man hierbei die Erfahrung macht, dass die Angst im Zeitverlauf nachlässt und die befürchtete Katastrophe nicht eintritt, umso besser lernt man, mit der Angst umzugehen."

Neun Tipps gegen Nervosität und innere Unruhe:

1. Kurz innehalten, durchatmen, vielleicht ein paar Körperübungen machen. Und sich dann fragen: Wo stehe ich eigentlich? Im ersten Schritt nimmt man die aktuelle Lage zur Kenntnis und akzeptiert sie erst einmal, wie sie ist.

2. Im zweiten Schritt macht man sich klar, dass etwas nicht so läuft, wie man es gerne hätte – um dann dieses "Etwas" genauer zu hinterfragen. Dabei könnte es auch hilfreich sein, sich einer Vertrauensperson, die nicht unbedingt der (momentan vielleicht ebenfalls überreizte) Partner sein muss, gegenüber zu öffnen. Diese könnte ihre Wahrnehmung der Dinge schildern, die Außenansicht ist oft erhellend.

3. Identifizieren Sie unnötige Zeitfresser und stellen Sie eine Checkliste mit wünschenswerten Tagespunkten auf, die Wichtiges von Unwichtigem trennt. Dabei ist weniger mehr, weil Sie momentan vermutlich einfach weniger schaffen. Im zweiten Durchgang sollten Sie also nochmal einiges streichen. Eventuell können Sie auch Hilfe annehmen? Insgesamt entstehen so neue Freiräume für Sie und Ihren Partner.

4. Weitere Anti-Stress-Fertigkeiten entwickeln: Hören Sie zum Beispiel auf, angestrengt nach Dingen oder bestimmten, "dringend notwendigen" Lösungen zu suchen oder zu grübeln. Auch wenn es sehr wichtig ist: Der nächste Tag ist auch ein Tag. Vieles findet sich wieder von allein. Das spart Zeit, oder Sie erinnern sich plötzlich wieder spontan, wo Sie das vermisste Stück abgelegt haben. Denken Sie um, lenken Sie sich gezielt ab. So kommen Sie auf neue Gedanken, vielleicht auch Lösungen.

5. Gehen Sie an die Luft, bewegen Sie sich eine halbe Stunde, gönnen Sie sich frische Kost, trinken Sie genug. Alkohol lassen Sie besser weg. Vielleicht legen Sie einen Wochentag fest, an dem Sie sich den Freiraum für Sport und Bewegung schaffen. Das lässt sich langsam steigern, zum Beispiel auf zweimal die Woche. Ideal ist, wenn Sie andere Menschen finden, mit denen Sie gemeinsam trainieren können.

6. Achten Sie auf Ihren Schlaf. Dazu weitere Tipps hier.

7. Definieren Sie nun, wo Sie ansetzen möchten, etwas zu verändern: Realistische Ziele und Projekte mit moderatem Zeitrahmen festlegen, vielleicht auch eine Reise mit Ihrem Partner planen. Möglichkeiten gibt es viele. Prüfen Sie diese in Ruhe, lassen Sie sich nicht vom erstbesten Angebot verführen, sondern entscheiden Sie danach, was zu Ihnen passt und wo Sie sich voraussichtlich am wohlsten fühlen.

8. Suchen Sie den Kontakt zu Mitmenschen. Das kann Sie ablenken und auf neue Gedanken bringen.

9. Wenn Sie zu der Überzeugung kommen, dass Sie all dies nur noch nervöser macht, Ihre Ängste diffus sind und Sie professionelle Hilfe brauchen, sprechen Sie mit Ihrem Hausarzt. Er überblickt, ob eine Therapie angebracht ist, etwa ein Entspannungsverfahren oder eine Psychotherapie. Zu Ersteren gehören zum Beispiel progressive Muskelentspannung nach Jacobson oder autogenes Training. Bei der Psychotherapie spielt die (Kognitive) Verhaltenstherapie eine wichtige Rolle. Je nach Problemlage wählt der Therapeut hier eine spezielle Herangehensweise. Eine andere Psychotherapierichtung, die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, leitet sich von der Psychoanalyse ab. Viele Verfahren sind als Einzeltherapie, Paar- beziehungsweise Partnertherapie, Familientherapie oder Gruppentherapie möglich, jeweils unter Leitung des Therapeuten.

Vorher wird der Arzt Ihre Beschwerden und eventuell verordnete Medikamente genauer hinterfragen, um eine mögliche körperliche Erkrankung oder Arzneimittelnebenwirkung nicht zu übersehen. Andererseits kann mitunter (zusätzlich) eine Medikamentenbehandlung sinnvoll sein.

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Fachliteratur zu diesem Ratgeber:

Rupprecht R, Kellner M (Hrsg.): Angststörungen. Klinik, Forschung, Therapie. Stuttgart W. Kohlhammer Verlag, 2012

S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie: Unipolare Depression
Langfassung. 2. Auflage 2015, Version 3, März 2016, AWMF-Register-Nr.: nvl-005