Logo der Apotheken Umschau

Tinnitus, diesem nervenzehrenden Fiepen, Brummen oder Rauschen im Ohr, liegt oft ein Hörverlust zugrunde. Der betrifft meist bestimmte Tonhöhen mehr als andere. „Das Gehirn verstärkt dann diesen fehlenden Frequenzbereich besonders“, sagt Prof. Dr. Gerhard Hesse von der Tinnitus Klinik im hessischen Bad Arolsen. „Wenn ich dem Gehirn diese Frequenzen wieder anbiete, zum Beispiel durch ein Hörgerät, wird der Ton gedimmt oder verschwindet bestenfalls ganz aus der Wahrnehmung“, erklärt Hesse, der Sprecher des wissenschaft­lichen Beirats der Deutschen Tinnitus-Liga ist.

Was bewirken Hörgeräte bei Tinnitus?

Hörgeräte haben keinen direkten Einfluss auf den Tinnitus“, sagt auch Prof. Dr. Birgit Mazurek, Direktorin des Tinnituszentrums an der Berliner Charité. „Aber über das verbesserte Hören wird das unerwünschte Ohrgeräusch in den Hintergrund gedrängt.“ Die Wahrnehmung werde auf andere Stimulationen gelenkt, die zuvor durch den Hörverlust verloren gegangen waren. Wichtig, so Mazurek: bei beidseitiger Schwer­hörigkeit unbedingt zwei Hörgeräte tragen. Auch die aktuelle Leitlinie empfiehlt Hörgeräte bei chronischem Tinnitus und Hörverlust, da sie die durch das Störgeräusch bedingte Belastung verringern können.

Diese Aufzeichnung eines Hörtests zeigt die Tonhöhen mit Hörverlust (abfallende Kurve). Oft spiegelt die Tonhöhe des Tinnitus den betroffenen Frequenzbereich wider, hier als hoher Pfeifton.

Diese Aufzeichnung eines Hörtests zeigt die Tonhöhen mit Hörverlust (abfallende Kurve). Oft spiegelt die Tonhöhe des Tinnitus den betroffenen Frequenzbereich wider, hier als hoher Pfeifton.

Ist eine Noiser-Funktion des Hörgeräts hilfreich?

Allerdings ist damit nicht die sogenannte Noiser-Funktion gemeint, die viele Hersteller von Hörgeräten anbieten. Noiser erzeugen ein Rauschen oder Gegentöne, die den Tinnitus ausschalten sollen. Hierzu wird die Leitlinie sehr deutlich. „Für Tinnitus-Patientinnen/-Patienten bringt eine Noiser-Funktion zusätzlich zum Hörgerät keinen Vorteil“, steht da zu lesen. Ein alleiniger ­Effekt von Noisern sei nicht nachgewiesen. Daher sollten sie bei chronischem Tinnitus nicht empfohlen werden.

Wann lindern Hörgeräte einen Tinnitus?

Auch die Studienlage zum Nutzen von Hörgeräten gegen die nervigen Dauertöne ist verbesserungsbedürftig. Wissenschaftlich gute Belege sind rar. Studien, die den Nutzen von Hörgeräten ohne Noiser untersuchen, sind Mangelware. „Aber hier tut sich etwas“, sagt Hesse. Zudem zeige bereits die klinische Erfahrung, dass Hörge­räte Linderung bringen können. Darauf weist auch die Leitlinie hin.

Generelle Voraussetzung ist, dass dem Tinnitus ein messbarer Hörverlust zugrunde liegt – das ist oft, aber nicht immer der Fall. Denn der Ton im Ohr kann auch andere Ursachen haben. Das muss zunächst ärztlich abgeklärt werden. Bei einem Hochtonverlust und Tinnitus in diesem Frequenzbereich können Hörgeräte zwar sehr gut die Wahrnehmung des Tinnitus beeinflussen. „Allerdings nur bis zu einem Bereich von zehn Kilohertz, da die Geräte dann an ihre technischen Grenzen kommen“, sagt Hesse. „Aber auch hier werden sie besser.“

Warum kann ein Hörgerät anfangs sogar unangenehm sein?

Passend ausgesucht und individuell gut eingestellt muss das Hörgerät natürlich sein. Ein Hörgerät ist kein Hemd, das man anzieht und das sofort sitzt. Es braucht etwas Zeit, sich daran zu gewöhnen. Hat man bestimmte Frequenzen lange nicht gehört, kann das anfangs sogar unangenehm sein – das Knistern beim Zeitunglesen etwa oder die Toilettenspülung. Alles gefühlt viel zu laut. Hilfreich ist es dann, die Lautstärke erst allmählich zu steigern. Mehrere Termine zur Einstellung solle man auf jeden Fall einplanen. Eine dauerhafte Schonung, indem das Gerät zu leise eingestellt bleibt, wäre jedoch schlecht. Dann erfüllen die Geräte nicht ihren Zweck und landen häufig in der Schublade.

Gerade anfangs, so Hesse, sei es jedoch wichtig, durchzuhalten, auch wenn es mal unangenehm ist. In seltenen Fällen bessere sich der Tinnitus gleich. Meist dauere es aber Wochen bis wenige Monate. Wer das Gerät regelmäßig trägt, bei dem geht es schneller. Und nicht verzweifeln: Der Tinnitus kann durch die Wieder-Stimulation der Hörbahn sogar erst mal lauter werden. Zumindest wird er so wahrgenommen, da die Sinne geschärft sind. Auch hier gilt laut Hesse: „Weitertragen, dann wird der Ton garantiert wieder zurückgefahren.“

„Lärm ist Hauptauslöser für Hörverlust und Tinnitus“, sagt Mazurek. Daher: Ohren schützen vor Konzertkrach, zu lauter Kopfhörermusik oder Lärm am Arbeitsplatz.


Quellen:

  • Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V. et al.: S3-Leitlinie Chronischer Tinnitus. Leitlinie: 2021. https://register.awmf.org/... (Abgerufen am 09.10.2023)

  • Hesse G et al.: S3-Leitlinie zu chronischem Tinnitus überarbeitet, Was derzeit zu Diagnostik und Therapie empfohlen wird und was nicht. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 09.10.2023)
  • Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V. et al.: Patientenleitlinie Chronischer Tinnitus. Leitlinie: 2021. https://register.awmf.org/... (Abgerufen am 09.10.2023)

  • HNO-Ärzte im Netz: Was ist ein Tinnitus?. https://www.hno-aerzte-im-netz.de/... (Abgerufen am 09.10.2023)
  • IQWIG: Ohrgeräusche (Tinnitus). https://www.gesundheitsinformation.de/... (Abgerufen am 09.10.2023)
  • Deutsche Tinnitus-Liga: Therapie von Ohrgeräuschen: eigene Mitarbeit wirkungsvoll, Behandlung bei Tinnitus. https://www.tinnitus-liga.de/... (Abgerufen am 09.10.2023)
  • Hesse G; Kastellis G: Hörverbessernde Maßnahmen als integraler Bestandteil einer erfolgreichen Tinnitusbehandlung. In: HNO 08.08.2023, 71: 656-661
  • Cochrane Library: Sound therapy (using amplification devices and/or sound generators) for tinnitus. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 09.10.2023)