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Sechs ­starke Frauen beschreiben eindrucksvoll, wie sie ihren Körper wahrnehmen und wie sich der Umgang damit im Laufe ihres Lebens verändert hat.

Andrea: „Ich weiß, ich bin nicht dick“

Andrea Heussinger

Andrea Heussinger

Bikini trage ich zum Glück nur an wenigen Tagen im Jahr. Auf dem kurzen Weg zum Pool ziehe ich den Bauch ein. Ist der Weg länger, hänge ich mir ein Handtuch um. Die Frauen, die ihren Körper ganz unbekümmert zur Schau stellen, bewundere ich. Und staune über die vielen Männer, die ihren Bauch trotz oft gewaltigen Umfangs völlig selbstverständlich und ohne jeglichen ­sicht­baren Anflug von Hemmungen am Strand auf und ab tragen.

Aber auch wenn der Bikini nach zwei Wochen Urlaub wieder im Schrank verschwindet – „Problemzonen“ bleiben mehr als genug. Kaum ein ­Schau­fenster oder Ganzkörperspiegel, an dem ich vorbeigehen kann, ohne mit schnellem Blick meine ­Silhouette zu prüfen. Ich weiß, dass ich nicht dick bin. Trotzdem steckt irgendwo tief in mir drin, dass meine Taille schlanker sein könnte. Das nervt! ­Warum habe ich keinen Blick für meine Schokoladenseiten? Schlanke Beine, schön geformte Knie und obendrüber noch ein knackiger Po. Weiß ich alles – spielt aber keine Rolle. Ich sehe nur meinen Bauch. Und: meine ­Hände. Die sehen aus, als gehörten sie einer 100-Jährigen: faltig und fleckig, trocken, rau, manchmal rissig. Ich habe seit frühester Kindheit Neuro­dermitis. In der Schule war ich des­wegen „Andrea mit den Spülhänden“.

Auch heute gibt es noch Situa­tionen, die mich treffen: Neulich hat mir eine gute Freundin eine Handcreme ­geschenkt. Ich denke: ­Meine Hände müssen ihr aufgefallen sein. Warum hat sie mich nie danach gefragt? Immerhin - ich habe aus all diesen Situationen gelernt. Ich habe schon vor Längerem beschlossen, damit aufzu­hören, Menschen nach ihrem Aussehen zu beurteilen. Bei anderen klappt das schon ganz gut – bei mir selbst ist offensichtlich noch viel Luft nach oben …

Juliane: „Ich bin nicht immun gegen Ideale“

Juliane Funke

Juliane Funke

Juliane Funke, 29, aus Hamburg, ist freie Journalistin. Sie schreibt seit einigen Jahren für verschiedene Magazine. Und auch wenn sie heute viel selbstbewusster ist – vor dem ­Fototermin für diese Geschichte war sie trotzdem aufgeregt.

Vor ungefähr zehn Jahren hat mir ein Typ in der Bahn einen Zettel zugesteckt, der lange an meiner Pinnwand hing: „You have a beautiful smile!“ Heute frage ich mich, warum mir dieser Kommentar zu meinem Aussehen damals so viel bedeutet hat. Aus demselben Grund wahrscheinlich, aus dem ich lange geübt habe, immer leicht zu lächeln – damit niemand meine „Angela-Merkel-Mundwinkel“ (Zitat eines Mitschülers) bemerkt. Oder warum ich vorm Freibadbesuch gläserweise Ananassaft getrunken habe (soll einen flachen Bauch machen).

Der Grund winkt uns von Plakatwänden, Social-Media-Kanälen und Fernsehbildschirmen ent­gegen: Mit Körpern – besonders von Frauen – lässt sich viel Geld verdienen. Es gibt Unterhosen, die das Bauchfett wegdrücken, und andere, die den Hintern prall aussehen ­lassen. Es gibt unzählige Beauty-Produkte. Kurzum: Es ist absurd, was wir alles tun und lassen sollen, um Schönheitsideale zu erreichen, die immer unerreichbar bleiben werden.

Ich bin nicht immun dagegen.

Aber ich bin stolz darauf, wie sich der Anspruch an meinen Körper verändert hat. Früher haben mich Kommentare lange beschäftigt. Etwa als meine Klassenlehrerin meine Eltern zur Seite nahm, weil sie mich für magersüchtig hielt, ich aber nur einen Wachstumsschub hatte. Als zwei Männer mir an einer Kreuzung zuriefen, ich hätte „Hüften wie eine Bäuerin“, was auch immer das heißen mag. Oder als mein Ex-Freund gegen meine Waden schnipste und sich wunderte, wie man zugleich schlank und schwabbelig sein kann.

Heute versuche ich, meinen Körper neutral zu ­sehen. Er muss mir und erst recht anderen nicht gefallen. Und ich weiß: Ich bin privilegiert. Ich entspreche größtenteils dem gesellschaftlichen Schönheitsbild. Ich kann nicht nachfühlen, wie sich Diskriminierung aufgrund des Aussehens anfühlt. Was ich aber kann? Keine Körper anderer Menschen kommentieren. Darauf aufmerksam machen, wenn es jemand tut. Und bei mir anfangen und jedes Baucheinziehen und Mundwinkel-Hoch hinterfragen – auch wenn es nicht leicht ist.

Constanze: „Verzeih mir, Körper“

Constanze Kleis

Constanze Kleis

Constanze Kleis, 63, aus Frankfurt am Main, ist ­Journalistin und Autorin. Viele ihrer mehr als zwanzig Bücher sind Bestseller.
Für die große Liebe ist es nie zu spät – das gilt auch für die zum eigenen Körper. Wir beide – das ist eine mittlerweile sehr lange Beziehungsgeschichte. Es war nicht gerade Liebe auf den ersten Blick. Als er mir auf dem Schulhof des Lebens, in der Pubertät, erstmals so richtig bewusst wurde, fand ich ihn schrecklich: zu lang, zu dünn; Brüste, die sich nicht mal für einen BH qualifizierten. Und er mutete mir auch noch Akne zu. Ich war bedient, jahrelang.

Dabei hatten er und ich noch Glück: Es gab kein Internet. Keine Gel-Nägel, keine einstündigen Augenbrauentutorials auf Youtube, keine Heidi Klum. Ich mag mir den Rosenkrieg zwischen meinem Körper und mir gar nicht vorstellen, hätte die Vergleichsdruckmaschine damals schon an dem ganz großen Instagram-Tiktok-Rad gedreht. Ich fand auch ohne all das aus­reichend Gründe, an ihm herumzumäkeln. Wenn ich heute Fotos von uns beiden betrachte, auf denen wir 17 oder 20 oder auch 40 sind, denke ich – in aller Bescheidenheit – WOW!

Und dass er sich eine Entschuldigung verdient hat. Dafür, dass ich ständig gegen ihn gekämpft habe und mir viel zu viel reinreden ließ, von Schönheitsidealen wie von Männern. Was ­erlaubten die sich? Was erlaubte ich ihnen? Wie kam ich dazu, meinen Körper durch die Augen von Idioten betrachten zu lassen, die mich auf Kalorienmengen aufmerksam machten? Jetzt, wo es längst nicht mehr nur um Kleinigkeiten wie ein Fältchen oben links und lächerliche drei Kilo zu viel auf den Rippen geht, wo ich wirklich reichlich Treibstoff in Form von Wellen und ­Dellen, Krähen­füßen hätte, um den Unzufriedenheitsmotor hochtourig am Laufen zu halten, bin ich sehr glücklich mit ihm.

Fast glücklicher als all die Jahre, in denen ich alles hatte, das ich heute vermissen könnte: Er hat mich durch ein schönes Leben getragen. Er hat Liebe geschenkt, Energie, Ausdauer, Wärme, Nähe, und er hat Männer – die richtigen – entzückt. Ich bin ihm dankbar und er mir – dafür, dass ich ihn regelmäßig bewege – und für das Krafttraining. Dafür zeigt er Großmut, verzeiht mir auch mal ein drittes Glas Wein oder die Pommes an der Tanke. Ich wünschte, diese Großmut hätte ich schon viel früher für uns beide aufgebracht. Sollte ich zwischendurch doch mal wieder hadern, finde ich mich doch ­lieber gleich im Hier und Jetzt rundum ziemlich gelungen.

Susanne: „Schönheit interessiert mich nicht“

Susanne Kaloff

Susanne Kaloff

Susanne Kaloff, 54, Autorin aus Hamburg, schreibt eine Kolumne auf Substack.com: „Suse in your Pocket“. Es geht um all die brutal schönen Dinge des Lebens.
Gestern Nacht lag ich wach und fertigte eine Liste mit folgender Überschrift an: Dinge, über die ich mir nicht den Kopf zerbrechen muss. An erster Stelle schrieb ich: gezielt über den Knien abnehmen. Dass es sich bei diesem Satz tatsächlich um ein weibliches Bestreben handelt, hatte ich neulich in einem Frauenmagazin ge­lesen. Irritierend, dass darin Frauen verkauft wird, eine präzise Gewichtsreduktion zwischen Unter- und Oberschenkel würde ihr Leben eklatant verbessern. Wenn es an Disziplin fehle, könne man auch mit einer kleinen Spritze optische Erfolge erzielen.

Übersetzung: Saftiger Misserfolg ist dir sicher, wenn du jenseits der dreißig die Dummheit besitzt und mit deinen gottgegebenen Knien in einem kurzen Kleid spazieren gehst. Unser Dasein auf der Erde, in diesem Körper ist ein ziemlich limitierter Aufenthalt. Für diese bahnbrechende Erkenntnis habe ich läppische 54 Jahre gebraucht. Sie hat dazu beigetragen, dass ich heute alles schätze, was ist. Auch das, was mir nicht gefällt. Mein Körper hat mir so vieles ermöglicht, was ich ohne ihn niemals erlebt hätte. Der Blick auf mich selbst wurde mit den Jahren in dem Maße milder, in dem ich ihm vertraue. Ich weiß genau, was er braucht und was auf keinen Fall.

Alles eine Phase, nichts ist final: ­Jugend, Mutterschaft und vielleicht, mit viel Glück, eines Tages Weisheit. Was mir bei dieser gnädigen Einstellung sehr geholfen hat, ist Wabi Sabi, eine sehr alte japanische Ästhetik, die davon ausgeht, dass alles unperfekt, unbeständig und unvollkommen ist. Den Gedanken kann man auch auf das eigene Aussehen anwenden. Mich interessiert Schönheit im klassischen ­Sinne nicht, weder bei meinen Mitmenschen noch bei mir selbst. Eine glänzende Aura finde ich stets spannender als glatte Haut. Das am besten gehütete Schönheitsgeheimnis? Die Sicherheit, sich in der Welt zu bewegen als man selbst. Als niemand sonst. Ist dieser majestätische Punkt erreicht, werden die Knie fürchterlich wurscht.

Marlene: „Klar möchte man gut aussehen“

Marlene Sørensen

Marlene Sørensen

Marlene Sørensen, 44, aus Berlin, ist Modejournalistin und Buchautorin. Ihre Instagram-Storys über schöne – nicht optimierende! – Kleidung sehen tausende Frauen.
Wie viele Jeans sind zu viele? Ich habe meine ge­rade gezählt und komme auf 17. Ich halte das für übertrieben. Vor allem, da mir drei davon aktuell nicht passen. Eine bekam ich eben beim Anprobieren nicht mal über die Oberschenkel. Als ich so dastand, mit einer Denimwurst um die Knie, dachte ich darüber nach, warum ich überhaupt jemals eine „Jeggings“ gekauft habe, diese unheilvolle Kreuzung aus Jeans und Leggings.

Vermutlich, weil ich sie für perfekt hielt. So wie jede der 17 Hosen. Bei ihrem Anblick sehe ich nicht all die verschiedenen Schnitte, sondern dass sie ein Versprechen waren. Ein so schlichtes ­Kleidungsstück eignet sich gut als Projektions­fläche. Was als vollkommen gilt, ändert sich mit der Mode. Was dagegen gleich bleibt, ist der Wunsch nach Optimierung. Die Jeans, die ich nach der Geburt meines Kindes für perfekt hielt, war die, in die ich vehement wieder passen wollte. Der einzige Grund, warum ich, als es so weit war, keines der allgegenwärtigen „Die Jeans geht wieder zu!“-­Selfies auf Instagram postete, war nicht etwa ­meine durchweg „Body-positive“-Einstellung, ­sondern vielmehr das Gefühl, dass es zu lange gedauert hatte, wieder reinzupassen.

Die Erwartung von Perfektion gilt in Wahrheit nicht dem Kleidungsstück, sondern dem Körper. Selbst ­heute, wo die jahrelange Uniform der „Skinny Jeans“ von einer Vielzahl an Modellen abgelöst wurde, ist oft die Rede von Verbesserung – von Schnitten, die vermeintlich zu kurze Beine optisch verlängern, die dem Po schmeicheln, den Bauch reduzieren. Und klar, man möchte gut aus­sehen.

Bloß ist es ja nie gut genug, wie es ist.

Kann man die Geschichte der Jeans (und der Frauenkörper) in Zukunft anders schreiben? Nicht als etwas, auf das man hinarbeitet, wie auf den Schlusssatz eines Textes, sondern als etwas, das einem erzählt, wie vollkommen in Ordnung man längst ist. Dann wäre die Jeans bloß ein Kleidungsstück, kein Gradmesser. Eines, das ich für seine ­Einfachheit und Hemdsärmeligkeit mag. Für das Gefühl, darin nicht verkleidet zu sein. Wenn die Jeans passt.
Die, die ich auf diesem Bild trage, tut es. Für einen Tag, dann verliert sie die Form. Perfekt ist sie also nicht. Aber sie passt über die Oberschenkel. Im Alter lernt man, dass am Ende alles eine Frage der Perspektive ist.

Paula: „Seinen Körper lieben zu lernen, ist ein langer Weg“

Paula Lambert

Paula Lambert

Paula Lambert, 49, aus Berlin, bekannt durch die Fernsehsendung „Paula kommt“. Sie hat sieben Bücher geschrieben und bietet Kurse zum Thema Selbstliebe an.
Ich war ungefähr 30 Jahre alt, als mir klar wurde, dass mein Körper und ich kein Verhältnis miteinander hatten. Er war wie ein Kleidungsstück von minderer Bedeutung oder eine Tasche, die das Nötigste beinhaltet – immer dabei, aber nichts davon ging über das Mindestmaß an Funktionalität hinaus. Anstatt ihn wertzuschätzen für die Arbeit, die er täglich verrichtete, und die Möglich­keiten, die er mir bot, fand ich ihn lästig: zu wenig schön, zu wenig perfekt, zu ­irgendwas.

All das war mir natürlich nicht klar. Ich konnte mich im Spiegel betrachten und wohlwollende Kommentare über ihn abgeben, aber glauben tat ich sie nicht. Die Botschaft, die ich längst verinnerlicht hatte, lautete: Du bist einfach nicht richtig. Erst mit der Geburt meines ersten Kindes wurde mir klar, wie sehr ich Raubbau an mir selbst betrieb. Die Selbstbezichtigungen, die Erniedrigungen, die demütigenden ­Strafen, die ich mir für die vermeintliche Unvollkommenheit zuteilwerden ließ, waren Teil eines verinnerlichten ­Pro­zesses, unter dem so viele Frauen ­leiden.

Seinen Körper lieben zu lernen, ist ein langer, schwerer Prozess. Für mich war es, als müsste ich einen ­Menschen, den ich zu verachten entschieden hatte, neu kennenlernen. Was heißt neu: Ich war mir ja selbst eine Fremde. Also entschied ich, mir selbst mit Mit­gefühl zu begegnen. Erst in kleinen Schritten, indem ich zum Beispiel würdigte, dass meine Füße mich zehn ­Kilometer getragen hatten. Dann in ­größeren – in denen ich etwa meinen von der Schwangerschaft mit wilden Spuren übersäten Bauch als das ­akzeptierte und anerkannte, was er war: ein Zeugnis ungebremster Lebendigkeit.

Überhaupt, wer war ich, dass ich etwas so Grandioses wie einen voll funktionsfähigen, wirklich zu Wundern fähigen Körper verurteilen konnte? Mir ist klar geworden, dass nicht der Körper re­pariert werden muss, denn er stellt kein Problem dar. Es ist der Geist, der dafür sorgt, dass der Körper zum Thema wird. Und diesen Geist zum Schweigen zu bringen, ist eine monumentale, aber durchaus schaffbare Aufgabe.

Am Ende des Tages ist mein Körper nicht dazu da, bewertet oder ver­spottet oder bewundert zu werden. Er ist ein Transportmittel für die vielen wunder­vollen Erleb­nisse, die ich mit ihm haben kann. Und das ist doch ­wirklich eine ganz wundervolle Sache.


Quellen: