Logo der Apotheken Umschau

Apotheken können ab sofort über das Portal www.cannabisagentur.de medizinisches Cannabis in pharmazeutischer Arzneimittelqualität zur Versorgung von Patienten vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) beziehen, teilte die Behörde in Bonn mit.

Verzögerte Ernte in Deutschland

Bislang haben Apotheken medizinisches Cannabis aus Importen bezogen, da der Bund zunächst eine Cannabisagentur aufbaute, den Anbau zeitaufwendig ausschrieb und dann drei Unternehmen mit dem Anbau beauftragte. Die erste Ernte war für Ende 2020 erwartet worden, hatte sich aber verzögert. Das medizinische Cannabis wird vom BfArM über ein Unternehmen vertrieben.

In Deutschland ist medizinisches Cannabis seit 2017 erlaubt und darf von Ärzten verschrieben werden, etwa zur Schmerzlinderung bei Schwerkranken. Voraussetzung: Der Arzt stellt die entsprechende Diagnose und schreibt ein Betäubungsmittelrezept aus. „Schwer kranke Menschen müssen bestmöglich versorgt werden“, betonte der damals amtierende Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe.

Der Verkauf an Apotheken erfolge nun zu einem Preis von 4,30 Euro pro Gramm, so das BfArM. Man erziele dabei keine Überschüsse, es würden nur Personal- und Sachkosten berücksichtigt. Ziel des Anbaus hierzulande sei es, zusätzlich zur Versorgung der Patienten beizutragen. Die deutsche Anbaumenge von 10,4 Tonnen medizinischem Cannabis ist auf vier Jahre mit je 2,6 Tonnen verteilt. Importe seien aber weiter möglich, hieß es.

Kassen übernehmen Kosten - meistens

Seit 2017 hat das Mittel einen Boom erlebt. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten für Therapien allerdings nur, wenn den Patienten nicht anders wirksam geholfen werden kann.

Damit hat der Gesetzgeber bei der medizinischen Cannabis-Legalisierung eine hohe Hürde eingebaut: Denn jeder Arzt, der ein Cannabis-Präparat verschreiben möchte, muss die Sinnhaftigkeit der Therapie belegen. Dazu gilt es, die Schwere der Krankheit oder mögliche Einschränkungen der Betroffenen im Alltag nachzuweisen. Mehr noch: Es müssen alle sonstigen Therapien versagt haben, und der Arzt sollte darlegen, dass die Behandlung Aussicht auf Besserung des Leidens verspricht.

Hoffnung für Schmerzpatienten

„Vor allem Schmerzpatienten können von medizinischem Cannabis profitieren“, erklärt Norbert Schürmann, Vize­präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin. Der Allgemeinarzt leitet am St.-Josef-Krankenhaus im nordrhein-westfälischen Moers die Abteilung für Schmerz- und Palliativmedizin. Er hat bei seinen Patienten gute Erfahrun­gen mit der in Deutschland relativ neuen Therapie gemacht.

Mögliche Anwendungsgebiete sind alle chronischen Schmerzleiden. „Etwa Nervenschmerzen, spastische Schmerzen, Beschwerden bei Multipler Sklerose oder Rheuma“, erklärt Schürmann. Darüber hinaus wird Cannabis zur Appetitsteigerung eingesetzt, etwa bei Krebs­patienten nach einer Chemotherapie.

Viele Mediziner stellt es vor eine Herausforderung, für ihre Patienten die passende Anwendungsform und Dosierung zu finden. Cannabis als Arznei zu verwenden hat zwar eine jahrtausendealte Geschichte. Heute gilt es jedoch oft, durch Probieren herauszufinden, was am besten hilft.

Heilpflanze mit Tradition

In China und Ägypten behandelten Heiler schon vor über 1000 Jahren Kranke mit Cannabis. Nach Europa kam die Heilpflanze im 19. Jahrhundert. Ein ­irischer Arzt, der in Indien stationiert war, hatte die medizinische Wirksamkeit kennengelernt.

„Die Cannabis-Medizin basiert vor allem auf Erfahrungswerten“, sagt Schmerzexperte Schürmann. Von den verschiedenen Arten der Darreichung erachtet er das Rauchen als kritisch. „Dabei kommt es zu einer zu schnellen und zu starken Anflutung der Wirkstoffe im Organismus“, erklärt er. Wegen der euphorisierenden und berauschenden Wirkung des Inhaltsstoffs THC (Tetrahydrocannabinol) sei dann beispielsweise ­Autofahren nicht möglich.

Darreichungsformen:

  • 1. Als getrocknete Blüte: Mediziner empfehlen statt ­Rauchen das Verdampfen mithilfe eines speziellen Vaporisators. Cannabisblüten können auch als Tee verordnet werden. 
  • 2. Als Spray: In Deutschland sind drei cannabisbasierte Fertigarzneimittel ­verordnungsfähig. Eines davon ist ein Spray zur Anwendung in der Mundhöhle.
  • 3. Als Kapsel: Das zweite Fertigpräparat gibt es in Kapselform. Es enthält den Wirkstoff Nabilon, eine syntheti­sche Variante von THC.
  • 4. Als ölige Tropfen: Medizinisches Cannabisöl enthält neben THC und CBD weitere Pflanzenstoffe der Cannabisblüte. 
38514029_3918d3e894.IRWUBPROD_61P7.jpeg

Cannabis: Rausch und Wirklichkeit

Erwachsene sollen künftig legal kiffen dürfen. Wie sich das umsetzen lässt, ist völlig unklar. Nicht nur Gegner sehen Fallstricke zum Artikel

Nicht völlig unbedenklich

Schließlich gilt Cannabis, auch Gras oder Marihuana genannt, als Droge. Der Anbau, der Handel, die Ein- und Ausfuhr sowie der Besitz sind strafbar. Auch wenn das nicht für medizinisches, ärztlich verordnetes Cannabis gilt, empfiehlt Schürmann die Verschreibung entsprechender Präparate erst für Patienten über 25 Jahre. „Bei jüngeren Menschen“, so der Experte, „besteht ein höheres ­Risiko, dass sie Psychosen entwickeln.“

Neben THC enthält die Pflanze mit den gezackten Blättern noch mehr als 100 wirksame Stoffe, sogenannte Cannabinoide. Medizinisch interessant ist neben THC vor allem CBD (Cannabidiol). „CBD wirkt krampflösend“, erklärt der Experte. Der Wirkstoff, meist als Öl ­verfügbar, versetzt nicht in einen Rausch­­zustand. Er verspricht Hilfe bei Angst- und Schlafstörungen, Panikattacken sowie Hautkrankheiten.

Zu Vorsicht raten Experten außerdem Menschen mit Typ-1-Diabetes. Wissenschaftler am Barbara Davis Center for Diabetes in Denver (USA) fanden heraus, dass Cannabis-Konsumenten ein höheres Risiko für schlechtere Blutzuckerwerte sowie eine Ketoazidose haben, eine gefährliche Stoffwechselentgleisung. Fazit: Die Cannabis-Therapie bleibt eine Option für wenige, schwer leidende Menschen.

Wirksamkeit bestätigt

Die Wirksamkeit von Cannabis wird durch Studien belegt: Im Auftrag der Deutschen Schmerzliga wurde die Behandlung mit 800 Schmerzpatienten ­geprüft. Die Forscher untersuchten ein Mundspray mit den Hanfwirkstoffen Cannabidiol und Dronabinol. Ein Ergebnis: Bei rund 80 Prozent der Studienteilnehmer ließen die Beschwerden nach.