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Damit eine medikamentöse Behandlung Erfolg hat, kommt es neben korrekter Diagnose auf drei Dinge an: die richtige Dosierung, ein stimmiger Mix und dass Patientin oder Patient alles richtig anwendet. Leider trifft das oft nicht zu. Thomas Benkert sieht hierin aber auch eine riesige Chance.

„Apothekerinnen und Apotheker sind oft die Einzigen, die einen guten Überblick über die Medikamente eines Stammkunden haben“, sagt der Präsident der Bundesapothekerkammer, „und sie haben das nötige Know-how, etwaige Probleme zu erkennen.“ Umso mehr hoffen Benkert und viele seiner niedergelassenen Apothekerkolleginnen und -kollegen, dass dies künftig besser genutzt und auch honoriert wird.

Die Apotheke vor Ort als Anlaufstelle in puncto Gesundheit stärken will auch der Gesetzgeber. Noch in diesem Jahr soll feststehen, welche zusätzlichen Dienstleistungen die Apotheke vor Ort ab Januar 2022 erbringen und auch abrechnen darf. Für Standesvertreter Benkert gehört der kritische Blick auf den Medikationsplan unbedingt dazu. „Das kommt allen zugute: den Krankenkassen, den Ärzten und Apothekern und vor allem den Patienten.“

Wer hilft mir bei den Arzneien?

Ein Medikationsplan listet alle Arzneien eines Patienten. Diese möglichst aktuelle und vollständige Übersicht wird meist in der Arztpraxis erstellt. Bei einer Medikationsanalyse prüft die Apotheke den Plan und macht Vorschläge, wie sich die Therapie optimieren lässt.

Viele Arzneien, viele Probleme

Gerade ältere Menschen profitieren von der Unterstützung der Arzneimittelprofis. Vier von zehn Menschen über 65 nehmen täglich fünf und mehr Präparate ein. Da fällt es oft schwer, den Überblick zu behalten. Zudem können die Mittel Nebenwirkungen verursachen und sich gegenseitig beeinflussen.

Wie kriege ich mehr Überblick?

Eine Box mit Unterteilungen für morgens, mittags, abends helfen. Wer Mühe mit dem Vorsortieren hat, sollte ein Familienmitglied darum bitten. Auch Apotheken übernehmen diese Aufgabe, manche bieten auch einen Verblister-Service an.

„Viele Patienten denken, wenn der Arzt ihnen einen Medikationsplan mitgibt, hat er automatisch auch einen Check auf Wechselwirkungen gemacht“, sagt Jelena Popovic, Fachapothekerin für geriatrische Pharmazie aus Stuttgart. Doch das ist meist nicht der Fall.

Was die Sache noch komplizierter macht: Patienten gehen mit ihren Beschwerden oft zu mehreren Ärzten oder suchen auch noch Rat beim Heilpraktiker, ohne dass diese voneinander wissen. So kann es passieren, dass Wirkstoffe mehrfach verordnet werden oder sich nicht miteinander vertragen.

Obendrein schlucken viele frei verkäufliche Arzneien und Nahrungsergänzungsmittel. Im Medikationsplan tauchen diese in aller Regel nicht auf. Bei einer kritischen Prüfung auf Unstimmigkeiten spielen diese Mittel aber ebenfalls eine Rolle. Manche Erkältungspräparate etwa enthalten blutdrucksteigernde Wirkstoffe. Wer ohnehin unter hohem Blutdruck leidet, sollte lieber auf ein anderes Mittel umsteigen.

2015 hat Popovic eine spezielle Weiterbildung absolviert, die die Apothekerkammer Baden-Württemberg anbietet. Ihre Kollegin Anna Ewert ist seit 2018 ATHINA-Apothekerin. ATHINA steht für Arzneimitteltherapiesicherheit in Apotheken. Beide bilden sich kontinuierlich fort und führen regelmäßig Medikationsanalysen durch.

Die Zusammenarbeit mit den Ärzten sei dabei sehr wichtig, sagt Popovic. Gemeinsam könne man die Menschen schließlich am besten betreuen. „In der Apotheke fragen wir nach, wie sie mit ihren Medikamenten zurechtkommen.“ Ewert pflichtet ihrer Kollegin bei: „Wir nehmen uns viel Zeit für den Patienten. Dabei kommen nicht selten Probleme zur Sprache, die bisher nicht thematisiert wurden.“

Es geht also auch um Vertrauen. „Viele kommen immer wieder“, erzählt Ulrike Hageneier. Seit 2018 prüft die Apothekerin aus Castrop-Rauxel auf Wunsch die Medikamente ihrer Kunden und baut durch die intensive, individuelle Beratung ein Vertrauensverhältnis zu ihnen auf. Hageneier: „Man bleibt miteinander im Gespräch.“

Wer seine Dauermedikamente pharmazeutisch checken lassen will, vereinbart zunächst einen Termin in seiner Stammapotheke. Zu diesem bringt man alle Arzneien mit: jene, die Ärzte oder Heilpraktiker verschrieben haben, und die, die man sonst noch einnimmt. Der Apotheker oder die Apothekerin gehen alles gemeinsam mit einem durch und gleichen es mit dem Medikationsplan vom Arzt ab.

Unvollständige, überholte Listen

„Ganz oft gibt es da schon Abweichungen“, berichtet Oliver Schwalbe. Der Pharmazeut leitet das Ausbildungsprogramm zur Arzneimitteltherapiesicherheit bei der Apothekerkammer Westfalen-Lippe (AMTS). Nebenbei führt er in einer Apotheke bei Münster selbst Medikationsanalysen durch. „Manche Medikamente stehen gar nicht auf dem Plan. Oder die Dosierungen stimmen nicht mehr“, erzählt der Apotheker.

Ganz ohne Plan ist sogar fast jeder Fünfte mit fünf oder mehr Dauermedikamenten, zeigt eine Befragung der Barmer Krankenkasse aus dem Jahr 2020. Dabei haben gesetzlich Versicherte, die regelmäßig drei oder mehr Arzneien verordnet bekommen, schon seit 2016 Anspruch auf einen bundesweit einheitlichen Medikationsplan.

An welche Apotheke wende ich mich?

Jede Apotheke darf theoretisch eine Medikationsanalyse durchführen. Viele Apothekerkammern bieten Fortbildungen (ATHINA oder AMTS) an, in denen Apothekerinnen und Apotheker systematisch darin geschult werden. Ob eine Apotheke Geld für den ausführlichen Check verlangt, steht ihr frei. Krankenkassen übernehmen die Kosten in der Regel (noch) nicht.

Nachdem alles aufgenommen wurde, schaut sich der Apotheker oder die Apothekerin alle Medikamente nochmals ganz genau an: Gibt es bekannte Neben- und Wechselwirkungen? Passen die Dosierungen? Werden tatsächlich alle Medikamente benötigt? Bei Unklarheiten wird beim Arzt nachgefragt. Beim zweiten Termin geht der Apotheker mit Patientin oder Patient die wichtigsten Dinge durch, die aufgefallen sind.

Das Resultat ist eine aktuelle, übersichtliche Medikamentenliste (leider nicht immer im bundeseinheitlichen Format), die der Patient anschließend mit Arzt oder Ärztin besprechen kann. „Über diesen Prozess hat man idealerweise schon ein paar Probleme gelöst“, sagt Schwalbe, „und der Patient geht mit einem guten Gefühl nach Hause.“

Olaf Rose geht es bei seiner Arbeit auch darum, die medikamentöse Therapie als Ganzes unter die Lupe zu nehmen: Was sind die Hauptbeschwerden? Werden sie richtig behandelt? Der in Steinfurt niedergelassene Apotheker führt seit langem Medikationsanalysen durch und forscht aktiv in diesem Bereich. In mehreren Studien konnten er und seine Kollegen beweisen, dass Patientinnen und Patienten von einem solchen Check profitieren. Und zwar umso mehr, je mehr Arzneien sie einnehmen mussten.

Nichts eigenmächtig absetzen

Daraus zu schließen, dass man stets versuchen sollte, die Anzahl der Medikamente zu begrenzen oder manches gar eigenmächtig wegzulassen, wäre aber falsch. Gerade für ältere Menschen kann es zum Beispiel besser sein, zwei niedrig dosierte Blutdrucksenker einzunehmen als ein hoch dosiertes Präparat. Die Nieren arbeiten nicht mehr so gut und schaffen es vielleicht nicht, das Medikament schnell genug auszuscheiden.

Zudem steigt das Risiko zu stürzen, wenn man den Blutdruck zu abrupt absenkt. Mehr Tabletten sind also nicht per se schlechter. Außerdem kommt es auch bei Personen, die bereits vieles einnehmen, vor, dass wichtige Medikamente fehlen. Oder dass sie schlicht nicht richtig angewendet werden.

Was weiß ich über meine Arzneien?

  • Notieren Sie auf der Verpackung, wofür Sie ein Mittel einnehmen, etwa „fürs Herz“, „Magen“ oder „Blutdrucktablette“.
  • Dreimal täglich, vor dem Essen? Notieren Sie sich die Einnahmehinweise!
  • Manche Arzneimittel muss man schlucken, andere kauen oder inhalieren. Wenn Sie unsicher sind oder etwas nicht klappt: Fragen Sie in der Apotheke nach!
  • Was muss ich beim Essen und Trinken beachten?

Apotheker Rose erinnert sich an einen Patienten, dem sein Arzt Insulin und Antidiabetika verschrieben hatte. Trotzdem waren seine Blutzuckerwerte extrem hoch. Folglich bekam der Patient höhere Dosen verordnet – und wurde immer verzweifelter, erzählt Rose: „Bei der Analyse kam heraus, dass der Mann gar nicht wusste, wie er sich das Insulin spritzen soll.“

Als Team denken

In solchen Fällen ist eine Schulung zum Umgang mit Medikamenten wichtig. Möglicherweise erleichtert das neue Gesetz Apotheken auch solche Dienstleistungen. Nicht zuletzt braucht es die Kooperation der Ärzte. Manche fürchten zu viel Einmischung, berichtet Rose. Umso wichtiger sei es, das Gespräch mit dem Arzt oder der Ärztin zu suchen und zu erläutern, nicht in die Behandlung hineinreden, sondern lediglich für zusätzliche Sicherheit sorgen zu wollen.

Auch in den Köpfen von Patienten gibt es manchmal Barrieren. Ein typischer Satz lautet: Bitte erzählen Sie meinem Arzt nichts davon! „Es geht nicht darum, den einen gegen den anderen auszuspielen“, stellt Rose klar, „es soll ein Teamwork entstehen, sodass man gemeinsam den besten Weg findet.“