Logo der Apotheken Umschau

Herr Professor Schulte-Körne, wie geht es den heutigen Teenies denn?

Denen geht es zum großen Teil gut. Aber: Es gibt auch massive Belastungen für Kinder und Jugendliche. Teilweise spürt man Verunsicherung: Ist unsere Zukunft noch sicher? Wie bedrohlich sind Krankheiten wie Corona? Der Krieg ist ein weiteres Thema. Jeder geht anders damit um. Manche Teenies verkraften Krisen wie die Pandemie mit Homeschooling besser.

Und wer verkraftet sie schlechter?

Kinder, die in Familien aufwachsen, in denen die Eltern psychisch krank sind oder sie Gewalt verschiedenster Art erfahren, haben ein besonderes Risiko, in solchen Phasen selbst psychisch krank zu werden. Auch allgemein ungünstige Lebensbedingungen können dazu führen, Ängste oder Verhaltensstörungen zu entwickeln oder depressiv zu werden.

Wie viele Jugendliche leiden an psychischen Erkrankungen?

20 Prozent waren schon vor Corona psychisch belastet. Von denen wiederum war die Hälfte behandlungsbedürftig. Während der Pandemie vergrößerte sich die Gruppe, die sich belastet fühlte, auf mehr als 30 Prozent. Was zudem erschreckend ist: Lernstörungen haben zugenommen. Etwa ein Viertel kommt in der Schule nicht mehr mit. Dadurch können auch psychische Erkrankungen entstehen.

Wie meinen Sie das?

Die Kinder, die es schon vor Corona schwer in der Schule hatten und dann lange nicht gefördert werden konnten, sind überfordert. Denn die Anforderungen sind die gleichen wie vor der Pandemie. Diese Jugendlichen haben das Gefühl zu scheitern, weil sie das Lerndefizit nicht aufholen können. Dann kann es passieren, dass sie denken: Das hat alles keinen Sinn. Ich kann mich anstrengen, aber ich schaffe das sowieso nicht. Das macht krank.

Bei welchen Verhaltensweisen sollten Eltern aufmerksam sein?

Verändert sich ein Kind stark, braucht es professionelle Einschätzung. Wenn das Verhalten drei bis vier Wochen anhält, sich der Teenie immer mehr zurückzieht, schlecht schläft oder isst, sollten Eltern nicht zögern und sich schnell Hilfe suchen. Das Fatale ist, dass sie häufig nicht mitkriegen, wie es ihren Kindern geht. Deshalb sage ich: Schaut genau hin, zeigt Interesse und verbringt Zeit mit euren Kindern.

Wie kann diese Zeit aussehen?

Bei einer gemeinsamen Mahlzeit etwa kann man miteinander reden: Wie geht es dir? Wie war dein Tag? Wenn Eltern beobachten, dass es ihrem Kind nicht gut geht, es sich nicht mehr unter Leute traut oder die Schulsachen vielleicht beschädigt oder verschmutzt sind, sollten sie das unbedingt benennen. Das könnte auf Mobbing hinweisen, über das Kinder nicht gern sprechen, sie aber stark belastet.

Was aber, wenn das Kind nicht reden mag?

Wir haben hierzulande ein sehr gutes Hilfs- und Beratungssystem für Familien, zudem online Angebote, wie www.ich-bin-alles.de. Auch die Jugendhilfe kann Eltern entlasten. Kinderärztin oder -arzt und Psychiater können mit ins Boot geholt werden sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen. Sollte das Kind abhängig machende Substanzen nehmen oder Cannabis konsumieren, braucht es eine Drogenberatung.

Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne, Leiter der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am LMU Klinikum München.

Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne, Leiter der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am LMU Klinikum München.

Ich bin ganz klar dagegen und damit bin ich nicht allein. Wir Fachärzte müssen vermuten, und es gibt auch belastbare Zahlen dazu, dass Cannabis dann leichter für Heranwachsende zugänglich ist. Cannabinoide schädigen aber auf die Dauer, wie Alkohol. Sie beeinträchtigen die geistige Entwicklung und den Antrieb.

Wie können Eltern gute Begleiter in der Pubertät sein?

Das kann sehr verschieden aussehen, weil die Bedürfnisse unterschiedlich sind. Loslassen verlangt Vertrauen in die eigenen Kinder. Gerade in der Pubertät ist es besonders schwierig abzuwägen: Kann ich das zulassen oder muss ich das verbieten und einschreiten? Deshalb sollten sich Eltern auch mit dem Jugendschutz ausei­nandersetzen. Ganz wichtig: die Beziehung aufrechterhalten, ohne ständig zu fordern oder zu überfordern.

Zum Abschluss: Was können Sie Eltern mit auf den Weg geben?

Der beste Schutz vor psychischen Erkrankungen ist eine fürsorgliche, unterstützende und wertschätzende Haltung gegenüber dem Kind. So sollte auch das Zusammenleben gestaltet werden. Es ist nie zu spät, Hilfe anzubieten. Signalisieren Sie Ihrem Kind: Ich bin da, ich bin gesprächsbereit.