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Es war ein Experiment, als Sabine Müller* vier Monate nach ihrem Schlaganfall ein erstes langes Wochenende in ihrer eigenen Wohnung westlich von München verbrachte. Geht das, wieder alleine leben?

Vier ­Monate zu­vor hatte die 77-Jährige nachts plötzlich die linke Körperhälfte nicht mehr bewegen können. Nach der Akut­behandlung auf einer Spezialstation für Schlaganfälle kam Sabine Müller erst in eine Frühreha, dann in eine normale Rehaklinik und schließlich in eine ambulante Reha-Einrichtung. Die Ruhe der Therapeuten und der Austausch mit anderen Betroffenen halfen ihr sehr. „Das wünsche ich wirklich jedem, der einen Schlag­anfall hatte“, sagt sie.

Zurück zu Hause

Als die ambulante Reha nicht verlängert wurde, überlegte ihre Tochter mit ihr, wie es weitergehen könnte. Ein Pflegeheim oder betreutes Wohnen standen im Raum. „Aber ich wollte so gerne wieder zurück in meine eigene Wohnung“, schildert Sabine Müller. Und so machten sich Mutter und Tochter auf den Weg nach Gräfelfing bei München. Die Tochter quartierte sich auswärts ein, damit Müller unter realen Bedingungen testen konnte, ob sie ihren Alltag meistern würde. Es erschien ihr gerade so machbar. Also zog die Seniorin vier Monate nach dem Schlaganfall wieder zurück nach Hause.

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„Der Anfang war hart“, erinnert sie sich. „Ich brauchte unglaublich lange, um mich zu waschen oder mir ein Brot zu strei­chen. Abends war ich fix und fertig.“ Wie sie außerdem noch Physio- und Ergotherapie sowie Logopädie organisieren sollte, konnte sie sich nicht vorstellen.

Viele kämpfen mit den Folgen des Schlaganfalls

Vor ähnlichen Herausforderungen stehen viele Menschen, die einen Schlaganfall überstanden haben. Und ihre Angehörigen ebenso. Die Akutversorgung hat in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht. Viel mehr Menschen überleben den schlagartigen Verlust von Gehirnfunktionen. Auch die Anschlussbehandlung in Rehakliniken funktioniert recht gut.

Blick nach vorn: Sabine Müller hofft, wieder Auto fahren zu können. Ihr Mechaniker sieht sich schon nach Modellen um.

Blick nach vorn: Sabine Müller hofft, wieder Auto fahren zu können. Ihr Mechaniker sieht sich schon nach Modellen um.

„Doch genesen sind viele danach noch nicht. Sie kämpfen mit Lähmungserscheinungen, mit Sprach- und Sprechproblemen, mit kogniti­ven Einschränkungen, Epilepsie oder Depressionen“, sagt Dr. Stephen Kaendler, Neurologe in Offenbach, der kürzlich ein Positionspapier zur Nachsorge veröffentlicht hat. Darin plädiert er dafür, dass Patienten langfristig auch neurologisch betreut werden müssen. So unterschiedlich die Ausfälle sein können – für alle gilt: Das Gehirn ist anpassungsfähig. Fällt ein bestimmter Bereich aus, kann ein anderer dessen Aufgabe teilweise übernehmen. In den ersten Monaten nach einem Schlaganfall kommen oft viele Funktionen zurück, danach wird der Prozess zäher. Doch auch Jahre später können Betroffene noch Fortschritte machen.

Besonders groß sind die Erfolge mithilfe von Physiotherapie bei der Beweglichkeit und mit Logopädie, wenn das Sprechen beeinträchtigt ist. Ergotherapeuten wiederum zeigen Betroffenen, wie sie alltägliche Aufgaben erfüllen können, auch wenn eine Hand oder ein Fuß nicht mehr so mitmacht wie früher.

Hilfe von allen Seiten

Man könnte auch sagen: Es braucht ein Dorf, um Schlaganfallpatienten gut zu unterstützen. Hier hatte Sabine Müller großes Glück. Sie wohnt zwar allein, aber inmitten einer wunderbaren Hausgemeinschaft und Nachbarschaft. Ein Nachbar nach dem anderen bot seine Hilfe an, für Fahrdienste und Einkäufe. Einer empfahl ihr seinen Hausarzt. Der vermittelte sie wiederum an den Verein „Mutabor“. Mutabor leistet „ambulante Intensiv­förderung“ im häuslichen Umfeld. Zwei- bis dreimal wöchentlich kommt eine Ergotherapeutin zu Müller nach Hause und hilft ihr, ihre persönlichen Ziele zu erreichen. Derzeit geht es darum, mit Rollator im Münchner Verkehrsnetz zurechtzukommen.

Häufig steht Kraftsparen im Fokus. Vor den Besuchen der Ergotherapeutinnen versuchte Müller noch, vieles im Stehen zu erledigen: „Aber ich muss mich so sehr konzentrieren, nicht zur linken Seite wegzusacken, dass ich es dann fast nicht mehr schaffe, ein Brot zu streichen.“ Sie lernte, wie sie sich auf der Arbeitsfläche aufstützen kann, um die Spülmaschine schrittweise auszuräumen.

Welche Tipps helfen können

Ein guter Rat war auch, stets nur eine Sache zu machen, unbedingt Pausen einzuhalten. Und täglich etwas zu tun, das ihr Freude bereitet – im Rahmen dessen, was sie schon wieder kann. Mutabor ist eine Initiative, die es so nur in München gibt. Doch: „Vielerorts gibt es gute Angebote“, sagt Anke Siebdrat, die im Auftrag der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe schon viele ­Angehörige und ­Patienten unterstützt hat: „Aber um die passenden zu finden, braucht es Erfahrung oder jemanden, der einen gut berät.“

Sabine Müller hat der Tipp einer anderen Schlaganfallpatientin sehr geholfen: „Überlege dir, was du gerne wieder machen oder schaffen würdest. Verwirf es nicht gleich wegen deiner Einschränkungen. Sondern plane, was du dafür brauchst, lernen musst und wer dir dabei helfen kann. Dann bringe die Dinge ins ­Rollen.“

* Name von der Redaktion geändert

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Quellen:

  • IQWIG: Schlaganfall, Häufigkeit. https://www.gesundheitsinformation.de/... (Abgerufen am 09.06.2023)
  • Kron T: Die „goldene Stunde“ beim Schlaganfall: Sie wird immer öfter erreicht, doch es ginge noch besser…. https://deutsch.medscape.com/... (Abgerufen am 09.06.2023)
  • IQWIG: Schlaganfall, Behandlung. https://www.gesundheitsinformation.de/... (Abgerufen am 09.06.2023)
  • Hotter B et al.: Positionspapier Schlaganfallnachsorge der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft, Teil 2: Konzept für eine umfassende Schlaganfallnachsorge. In: Der Nervenarzt 21.12.2021, 93: 377-384
  • DEGAM: Schlaganfall. Leitlinie: 2020. (Abgerufen am 09.06.2023)

  • Mutaborhttps://www.mutabor.org: MUTABOR in München, Beratung und Behandlung nach Schlaganfall und Schädel-Hirn-Verletzung e.V.. https://www.mutabor.org (Abgerufen am 09.06.2023)