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Wahrscheinlich hat sich jeder von uns schon einmal damit infiziert: Das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) ist ein weltweit verbreiteter Erreger von akuten Atemwegserkrankungen – also ein klassisches Erkältungsvirus. Bei Säuglingen und Kleinkindern sowie bei älteren Menschen kann es schwere Infektionen der unteren Atemwege verursachen. „Laut internationalen Daten, etwa aus Schweden, Großbritannien oder den USA, erkrankt knapp ein Prozent der Menschen über 65 jährlich an RSV. Einer von tausend in dieser Altersgruppe muss aufgrund seiner RSV-Infektion im Krankenhaus behandelt werden – einer von zehntausend verstirbt“, erklärt Professor Klaus Überla, Direktor des Virologischen Instituts am Universitätsklinikum Erlangen und Sprecher der RSV-Arbeitsgruppe der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut.

Bei Kindern ist eine Infektion mit RSV einer der häufigsten Gründe für eine Behandlung im Krankenhaus und kann auch tödlich sein. Bisher gibt es keine gut gegen das Virus wirkende Therapie. Und es war zunächst lediglich ein passiver Impfstoff aus Antikörpern verfügbar – etwa für Säuglinge, die zu bestimmten Risikogruppen gehören. Dieser musste während der Erkältungssaison gespritzt werden.

Zwei aktive Impfstoffe zugelassen

Doch nun ist die lange erhoffte aktive Impfung da, die den Körper dazu bringt, selbst Antikörper gegen das Virus zu bilden: Die ersten Impfstoffe für Erwachsene wurden in der Europäischen Union zugelassen und könnten bald verfügbar sein. Bereits Anfang Juni bekam ein Impfstoff die Zulassung für Menschen ab 60 Jahren. Er schützt zu rund 82,6 Prozent davor, an RSV zu erkranken und zu 94,1 Prozent vor einem schweren Verlauf. Die Impfung ist inzwischen in Deutschland erhältlich. „Zum Vergleich: Eine Impfung gegen Grippe schützt Personen ab 65 Jahren nur zu circa 30 bis 70 Prozent vor einem schweren Verlauf“, sagt Professor Überla. „Das liegt daran, dass sich das Grippevirus verändert und der Impfstoff im Vorfeld aufgrund von Schätzungen für die nächste Saison angepasst wird.“ Das RSV-Virus komme als Subtyp A und B vor, die ziemlich stabil seien. „Zudem machen weiterentwickelte Techniken die RSV-Impfstoff-Kandidaten immunogener. Sie aktivieren die Körperabwehr also wirkungsvoller und gezielter als die Grippe-Impfstoffe.“

Ende August folgte dann die Zulassung eines weiteren Impfstoffes ebenfalls für Erwachsene ab 60 Jahren – sowie auch für Schwangere, um ihrem Baby bis sechs Monate nach der Geburt einen Nestschutz zu bieten. Der Impfstoff wurde an 3.695 Schwangeren sowie an 18.488 über 60-Jährigen getestet – mit jeweils einer ähnlich großen Kontrollgruppe, die ein Placebo erhielt. Die Ergebnisse: Bei den Säuglingen der geimpften Schwangeren waren bis 180 Tage nach der Geburt schwere RSV-Erkrankungen der unteren Atemwege reduziert. Der Schutz lag nach drei Monaten bei 81,8 Prozent, nach sechs Monaten bei 69,4 Prozent. Bei den älteren Erwachsenen reduzierte der Impfstoff Atemwegserkrankungen mit zwei oder mehr Symptomen zu 66,7 Prozent und mit drei oder mehr Symptomen zu 85,7 Prozent.

Weitere Impfstoff-Kandidaten werden derzeit erprobt. „Die Impfstoffe basieren auf unterschiedlichen Technologien: Es sind Protein- und mRNA-Impfstoffe. Gemeinsam ist ihnen, dass sie auf das Vorläufereiweiß des sogenannten RSV-Fusionsproteins, das Präfusionsprotein, abzielen. Dies veranlasst letztlich den Körper, nach der Impfung Abwehrstoffe, sogenannte Antikörper, gegen RSV zu bilden“, sagt Professor Tino Schwarz, Chefarzt am Institut für Labormedizin und Impfzentrum am Klinikum Würzburg Mitte, der an der klinischen Prüfung eines RSV-Impfstoffes beteiligt ist.

Impf-Empfehlung der Stiko steht noch aus

Für die beiden zugelassenen Impfstoffe steht nun noch eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) des Robert Koch-Instituts aus. Diese kann auch beispielsweise nur für Menschen mit besonderen Risikofaktoren erfolgen – und nicht für alle Schwangeren und über-60-Jährigen. Von der Empfehlung hängt in der Regel auch ab, ob die Krankenkassen die Kosten für die Impfung übernehmen. Sonst entscheiden Arzt oder Ärztin und Patientin oder Patient zusammen anhand der individuellen Umstände, ob eine Impfung sinnvoll ist. Allerdings muss der Patient oder die Patientin die Kosten für die Impfung dann eventuell selbst tragen.

„Das Risiko eines schweren RSV-Verlaufs steigt mit dem Alter und Begleiterkrankungen wie Diabetes, Asthma, COPD, Bluthochdruck und anderen Herzkreislauferkrankungen sowie bei einem geschwächten Immunsystem“, sagt Professor Schwarz. „Für Menschen ab 60 mit chronischen Erkrankungen wäre die Impfung also sinnvoll.“ Säuglinge können unabhängig von Vorerkrankungen eine Atemwegserkrankung durch RSV bekommen. „Deshalb wäre es für alle Schwangeren sinnvoll, sich impfen zu lassen“, so Schwarz. Überla ist da noch vorsichtiger: „Zur RSV-Impfung in der Schwangerschaft sind die Daten für ein abschließende Nutzen-Risiko-Bewertung noch nicht ausreichend, sodass es aus meiner persönlichen Sicht zu früh für konkrete Empfehlungen ist.“ Solange keine Stiko-Empfehlung vorliegt, sollten sich Schwangere deshalb von ihrer Ärztin oder ihrem Arzt zu Nutzen und Risiken beraten lassen und individuell entscheiden, ob sie sich impfen lassen wollen oder nicht.

Der beste Zeitpunkt für die Impfung ist laut Schwarz im Herbst vor der RSV-Saison hier in Mitteleuropa. Der Schutz hält bei Älteren dann voraussichtlich für mindestens ein Jahr an. „In den Studien für die Zulassung zeigt eine einzige Impfdosis einen Immunschutz vor schweren Verläufen für mindestens ein Jahr“, erklärt Professor Überla. „Die gemessenen Antikörperspiegel nach der Impfung sind aber zehnfach höher als die Antikörperspiegel nach einer RSV-Infektion ohne Impfung.“ Deshalb könne man vermuten, dass der Immunschutz durch die Impfung deutlich länger als ein Jahr anhält.