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Sie forscht an Tieren – doch Dr. Sarah Strauß ist überzeugt, dass die Forschung an Lebewesen und das Wohl der Tiere kein Widerspruch sein müssen. Die Biologin leitet das Kerstin Reimers Labor für Regenerationsbiologie, das zu den Kliniken der Medizinischen Hochschule Hannover gehört. Dort wird zu den Themen Regeneration und Wiederherstellung geforscht. Im Interview spricht Dr. Strauß darüber, warum Versuche an Tieren nötig sind, warum sie manchmal auch ein Versuchstier töten muss und welche Experimente sie ablehnt.

Frau Dr. Strauß, welche Bedeutung hat für Sie das Wohl von Tieren?

Dr. Sarah Strauß: Es steht für mich sehr hoch. Tiere sind fühlende Lebewesen.

Dennoch forschen Sie mit ihnen. Müssen Sie dabei auch Tiere töten?

Strauß: Wenn es geht, vermeide ich es. Dennoch ist das nicht immer möglich. Wir forschen hier unter anderem mit Axolotln, einer mexikanischen Salamander-Art, die ihr Leben lang Kiemen behält. Die Tiere haben einzigartige regenerative Fähigkeiten, von denen wir zu lernen hoffen. Eingriffe, bei denen wir ihnen zum Beispiel Hautlappen entfernt oder Gliedmaßen amputiert haben, geschahen für sie immer schmerzfrei unter Vollnarkose. Ich bin sehr froh, dass für die Forschung hier kein Axolotl sterben muss. Anders war das allerdings bei Versuchen, die wir zum Beispiel mit Spinnenseide gemacht haben.

Worum ging es dabei?

Dr. Sarah Strauß, Biologin und Leiterin des Kerstin Reimers Labor für Regenerationsbiologie in Hannover.

Dr. Sarah Strauß, Biologin und Leiterin des Kerstin Reimers Labor für Regenerationsbiologie in Hannover.

Strauß: Wie wir inzwischen sicher wissen, kann Spinnenseide bei der Regeneration von menschlichen Nerven helfen. Wir haben das zunächst an Schafen und Ratten getestet, um zu schauen ob das wirklich funktioniert und sicher ist.

Wenn ich aber zum Beispiel einer Ratte am Versuchsende den Schwanz amputieren muss, um ihn histologisch zu untersuchen, hat das Tier ein Problem. Der Schwanz dient ihr nicht nur dazu, die Balance zu halten, er reguliert auch die Körpertemperatur des Tiers. Eine Ratte ohne Schwanz, das geht nicht. Ich muss sie töten, das verlangt das Tierschutzgesetz aus gutem Grund. Ich mache das stets selbst. So weiß ich, dass es auf die bestmögliche Weise geschehen ist.

Gibt es denn keine andere Möglichkeit, die Methode zu testen, etwa in Zellkulturen?

Strauß: Wir arbeiten immer zuvor an Zellkulturen, bevor wir etwas im Tier untersuchen. Weitere Alternativen sind in der Entwicklung. Doch leider gibt es noch zu wenige, die wirklich gut sind. Bevor Sie ein Arzneimittel oder ein Medizinprodukt wie ein Implantat am Menschen testen, müssen Sie es immer an einem anderen lebenden Organismus eingesetzt haben. Das ist sogar gesetzlich festgeschrieben. Insbesondere bei einer neuen Methode wie der Implantation von Spinnenseide ist es sinnvoll, sie an Tieren zu testen.

Warum genügen Versuche an menschlichen Zellen nicht?

Strauß: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir haben in Zellkulturen gesehen, dass sich mit Hilfe von Spinnenseide auch das Wachstum zerstörter Rückenmarksnerven anregen lässt. Alles sah super aus. Wir hatten in der Vergangenheit immer wieder Anfragen von verzweifelten Menschen mit einer Querschnittlähmung, die gefragt haben ob Spinnenseide ihnen helfen könnte. Wir haben uns daher entschieden, die Methode an vier Ratten zu testen. Anders als bei unseren Tierversuchen zur Behandlung peripherer Nervenverletzungen mit Spinnenseide, erlitten die Ratten eine heftige Abstoßungsreaktion. Das hatten wir so nicht erwartet. Dieser Fall zeigt, dass es leider noch eine große Lücke zwischen Labortestsystemen und dem lebenden Organismus gibt. Damit spielen Tierversuche nach wie vor eine große Rolle für die Überprüfung der Sicherheit von Arzneimitteln und Medizinprodukten.

Mir ist bei meiner Arbeit immer bewusst: Dieses Tier, mit dem ich arbeite, hat nicht entschieden, Versuchstier zu sein.

Auch wenn ich ihre Entscheidung gut nachvollziehen kann: Ist es deshalb ethisch gerechtfertigt, dass für die Forschung Tiere sterben?

Strauß: Wenn die Alternative ist, Menschen in akute Lebensgefahr zu bringen, für mich persönlich ja. Medizinische Forschung ist immer eine ethische Gratwanderung. Doch ohne sie gäbe es zum Beispiel keine Herz-Lungen-Maschine, die gerade erst viele Patientinnen und Patienten mit Corona gerettet hat. Bei ihrer Entwicklung haben in der Vergangenheit viele Schweine ihr Leben lassen müssen. Mir ist bei meiner Arbeit immer bewusst: Dieses Tier, mit dem ich arbeite, hat nicht entschieden, Versuchstier zu sein. Es ist ein Lebewesen, dem ich das Leben nehme, um in Zukunft vielleicht andere Leben retten zu können. Ich habe dabei eine große Verantwortung. Man muss das immer wieder mit sich durcharbeiten. Sonst stumpft man ab und macht irgendwann auch keinen guten Job mehr. Ich denke, so geht es vielen Forschenden. Ein Problem ist, dass wir zu wenig darüber reden.

Über Tierversuche öffentlich zu sprechen, ist sehr schwierig. Die Emotionen gehen schnell durch die Decke.

Strauß: Dennoch ist es möglich. Ich gebe zum Beispiel auch Vorträge an Schulen und spreche dort darüber, was ich mache. Wenn ich es differenziert erkläre, bekomme ich in der Regel ein sehr gutes Feedback von den Schülerinnen und Schülern – und manche fragen sich danach auch eher mal, was das Schwein für ein Leben hatte, das auf ihrem Wurstbrot liegt. Denn hier haben wir ebenfalls eine ethische Verantwortung.

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Was müsste in der öffentlichen Diskussion anders laufen?

Strauß: Wir sollten als Forschende viel mehr darüber reden, was uns umtreibt, wenn wir etwas untersuchen wollen. Die Öffentlichkeit bekommt meist nur das Ergebnis serviert. Wenn mal über Tierversuche berichtet wird, dann oft skandalisierend, oft zusammen mit irreführenden Bildern, die die Menschen erschrecken. Natürlich ist das Thema hoch emotional, aber mehr laienverständliche Erklärungen würden zu mehr Verständnis beitragen. Eine Kollegin von mir forscht zum Beispiel mit Meerschweinchen. Die Tiere tragen Elektroden am Kopf, die eine Anschlussstelle zum Gehirn haben. Das Gehirn ist nicht schmerzsensibel, es tut den Tieren überhaupt nicht weh. Sie verhalten sich völlig normal, spielen miteinander. Doch wenn Fotos davon an die nicht-wissenschaftliche Öffentlichkeit kommen, gibt es jedes Mal einen Aufschrei. So etwas ist nicht gerade hilfreich. Und das, obwohl beim Menschen die gleichen Elektroden am Gehirn bei bestimmten Erkrankungen eingesetzt werden. Es ist bekannt, dass es nicht schmerzhaft ist und den Menschen hilft.

Gibt es Versuche, die Sie persönlich ablehnen würden?

Strauß: Ja, die gibt es. Die Klinik, zu der unsere Forschungsabteilung gehört, versorgt zum Beispiel viele Brandopfer. Doch lehne ich derartige Versuche mit Tieren ab. Ihnen Brandverletzungen zufügen, das könnte ich nicht. Das weiß ich. Ich überdenke alles, was ich an Tierversuchen mache, sehr genau. Jedes Tier, das ich töten muss, verfolgt mich in den Schlaf. Und ich will meine eigenen Grenzen nicht überschreiten. Mein Chef, Prof. Peter Vogt, Direktor der Klinik, akzeptiert das. Er unterstützt es auch seit vielen Jahren, dass wir in der Haltung der Tiere in den beiden abteilungseigenen Tierhaltungen, also Spinnen und Amphibien, eigene Wege gehen. Das ist nicht selbstverständlich und wir wissen es sehr zu schätzen.

Wir achten auf eine möglichst artgerechte Haltung der Tiere weit über die Vorgaben des Tierschutzgesetzes hinaus.

Wie sehen diese eigenen Wege aus?

Strauß: Wir achten auf eine möglichst artgerechte Haltung der Tiere weit über die Vorgaben des Tierschutzgesetzes hinaus. Schon die verstorbene Gründerin unserer Abteilung, Professorin Kerstin Reimers, hat das als Idee mitgebracht. Statt in kargen Bassins halten wir die Axolotl zum Beispiel in kleinen Gruppen in Aquarien mit Versteckmöglichkeiten und Bodengrund. Das weckt ihren Spieltrieb. Sie gestalten das Aquarium gern mal nach ihren Vorstellungen um. Wenn sie in die Jahre kommen, ziehen sie in Privathaltung um. Wir hören, dass sie sich sozial völlig normal verhalten. Offenbar geht es ihnen gut. Ich denke, dass sich das auch positiv auf die Forschung auswirkt, wenn sich die Tiere wohl fühlen.

In der Natur sind die Axolotl vom Aussterben bedroht.

Strauß: Leider. Deshalb arbeiten wir auch hier nur mit Laborzüchtungen. Mit der Wildform zu arbeiten, würde ich grundsätzlich ablehnen. Da wir hier viel über die Tiere gelernt haben, beraten wir zudem Privatleute, aber auch Tierärztinnen und Tierärzte, wenn sie Fragen zu kranken Axolotln haben. Im Studium lernt man dazu nämlich nichts. Außerdem nutzen wir unser Wissen auch, um uns an Nachzuchtprojekten zu beteiligen. So züchten wir hier Ambystoma dumerilii, auch Pátzcuarosee-Querzahnmolch genannt, im Rahmen des Citizen Conservation Projekts. Tiere aus dem Projekt werden dann in ihrer Heimat in Mexiko von den Nonnen eines ansässigen Klosters ausgewildert. So kommt unsere Forschung auch den Tieren zugute: Für mich ist das echte Nachhaltigkeit.

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