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Herr Blienert, welche Droge stellt die größte Bedrohung für die Deutschen dar?

Alkohol.

Warum Alkohol?

Meine Wahrnehmung ist, dass Alkoholkonsum in Deutschland von vielen sehr verharmlosend betrachtet wird. Umgerechnet trinken die Deutschen mehr als zehn Liter reinen Alkohol im Jahr – das verteilt sich auf über 100 Liter Bier, Wein, Schnaps und so weiter. Alkohol ist 24 Stunden, sieben Tage die Woche jederzeit verfügbar – und ein ausgesprochen stark beworbenes Produkt. Ich denke, dass es notwendig ist, dass wir in Deutschland eine Debatte führen, was es mit uns Menschen macht, ständig mit der Droge Alkohol konfrontiert zu werden – und vor allem, welche Probleme sie verursacht.

Welche Probleme sind das?

Wir haben in Deutschland zehntausende Tote jährlich, die auf Alkoholkonsum zurückzuführen sind. Drei Millionen Menschen zeigen einen riskanten oder süchtigen Konsum. Das wirkt sich wiederum auf deren Familien- oder Arbeitsleben aus. Dadurch haben wir auch einen hohen volkswirtschaftlichen Schaden. Über 100 Milliarden Euro gehen etwa für die Versorgung derjenigen drauf, die durch Tabak und Alkohol erkranken oder sterben. Die Steuereinnahmen durch diese Produkte sind dagegen nur einen Bruchteil davon.

Und wie wollen Sie diese Probleme angehen?

Wir haben im Koalitionsvertrag verabredet, dass wir klare Grenzen im Bereich Sponsoring und Marketing brauchen. Das ist ein Schritt, den wir in den letzten Jahren gar nicht gehen konnten. Meine Aufgabe ist es nun darauf hinzuwirken, dass die zuständigen Ministerinnen und Minister auch tatsächlich etwas vorlegen.

Sie reden von Werbeeinschränkungen im Bereich Alkohol so wie bei Tabak. Die Werbeindustrie hat bei Alkohol aber bereits eine Selbstverpflichtung. Zum Beispiel soll Werbung nicht an Jugendliche oder Kinder gerichtet sein. Reicht das nicht?

Aus meiner Sicht nein. Diese Selbstverpflichtung würde ja bedeuten, dass wir überhaupt nicht mit Alkoholwerbung konfrontiert werden. Aber wir haben immer noch Alkoholwerbung, zum Beispiel bei der Sportberichterstattung oder im Profisportbereich.

Alkohol mindert die Glucose-Produktion in der Leber. Vor allem für Menschen mit Diabetes kann das gefährlich werden.

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Wenn Sie schon den Sport ansprechen: Zum Fußball gehört für viele Bier dazu. Planen Sie, Bier aus dem Fußball zu verbannen?

Sport und Alkohol sind für mich sich widersprechende Dinge. Das ist etwas, das die Vereine auch im Spitzensportbereich thematisieren müssen.

Würden Sie sich also wünschen, dass man in Stadien gar kein Bier mehr trinken dürfte?

Es wäre hilfreich, den Zusammenhang von Sport und Sucht viel stärker in den Blick zu nehmen. Dann verstehen es auch ganz viele. Man kann das Bier auch hinterher woanders trinken. Aber nicht mehr im Stadion, wo auch Kinder und Jugendliche sind und sich ein Spiel anschauen wollen.

2008 wollte schon die Drogenbeauftragte Sabine Bätzing-Lichtenthäler Alkohol und Sport trennen. Warum glauben Sie, dass Sie heute erfolgreicher sein werden?

Wir haben Menschen gefragt, was sie davon halten, wenn wir das Marketing von Alkohol stark einschränken. Zwei Drittel der Befragten wollen gar keine Alkoholwerbung mehr sehen[1]. Daher glaube ich, dass wir in Sachen Gesundheitsbewusstsein viel weiter sind als vor 15 Jahren. Deshalb können wir mit den Schritten, die wir vor uns haben, mutiger sein.

Das Bier wird für Jugendliche nicht gesünder, wenn die Eltern daneben sitzen.

Es fällt trotzdem schwer, sich das zu vorzustellen: Alkohol ist stark in der deutschen Kultur verankert. In manchen Bundesländern gilt Bier sogar halbernst als Grundnahrungsmittel.

Ich kann mich noch gut an die Debatten zum Nichtraucherschutz erinnern: Vor vielen Jahren war Rauchen noch Teil der Jugendkultur. Überall wurde geraucht. Heute ist das anders. Heute würde keiner mehr die Nichtraucherschutzgesetze infrage stellen. Und dieser kulturelle Wandel kann sich genauso gut beim Alkohol einstellen.

Ab welchem Alter sollte jede Art von Alkohol Ihrer Meinung nach frühestens verfügbar sein?

Wie auch in anderen europäischen Ländern sollte das ab 18 Jahren sein. Das ist eine Grenze, die auch gesellschaftlich akzeptiert wird.

Würden Sie also auch begleitendes Trinken ab 14 Jahren gerne abgeschafft sehen?

Begleitendes Trinken ist für mich ein Unding, das wir in der Gesellschaft haben. Das Bier wird nicht gesünder, weil Eltern daneben sitzen. Alkohol ist ein schädliches Zellgift.

Trinken Sie denn selbst gar keinen Alkohol?

Ich bin ein Mensch, der sicher lebensfroh lebt und kein Abstinenzler ist. Natürlich trinke ich auch mal ein Bier in der Gemeinschaft. In meiner Familie haben wir das Thema Drogen und Konsum schon früh mit unseren Kindern besprochen. Denn die sehen ja permanent in ihrem Umfeld, welch starke Rolle Alkohol in der Gesellschaft spielt. Über Risiken aufzuklären, ist eine Aufgabe, die man als Elternteil übernehmen sollte.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat in einem Interview Ende 2022 gesagt, dass ein Glas Wein abends ja nicht so schlimm sei. Was halten Sie von solchen Aussagen?

Der Bundesgesundheitsminister hat vor kurzem auch darauf aufmerksam gemacht, dass Alkoholfläschchen an Supermarktkassen nicht mehr akzeptabel sind. Das fand ich sinnvoll. Ich wäre aber vorsichtig damit, dass Politiker Empfehlungen geben, was gesund sein kann oder sich als Weinkönig oder -königin generieren, angesichts der Probleme, die viele Menschen mit Alkohol haben. Für diejenigen, die ein Alkoholproblem haben, ist es eine Provokation, dass diese Droge permanent überall sichtbar ist. An solche Menschen müssen wir als Gesellschaft immer denken. Eine Sucht ist eine Krankheit. Eine Gesellschaft, die zu verharmlosend mit Alkohol umgeht, schadet auch denjenigen, die Unterstützung brauchen, von dieser Krankheit loszukommen.

Wären Werbe- oder sogar Verkaufsverbote in manchen Bereichen aber nicht eine Einschränkung der freien Marktwirtschaft? Es müssen doch nicht alle sich einschränken, weil einige Menschen süchtig sind.

Ich möchte nicht den Alkoholkonsum verbieten. Sondern ich sage: Wenn wir Kinder und Jugendliche schützen wollen sowie diejenigen, die ein Problem mit Alkoholkonsum haben, müssen wir Alkohol in Deutschland stärker regulieren. Jeder kann nach wie vor frei entscheiden, ob er Alkohol trinken will oder nicht. Aber wir müssen uns auch bewusst machen, dass Alkohol gesundheitlichen und volkswirtschaftlichen Schaden anrichtet. Viele Krebserkrankungen sind zum Beispiel auf den Konsum von Alkohol und Tabak zurückzuführen. Die Folgekosten müssen wir alle tragen.

Schäden für die Gesundheit kann auch Cannabis verursachen. Dennoch will die Bundesregierung die Droge legalisieren. Ist das kein Widerspruch?

Das Verbot von Cannabis führt nicht dazu, dass weniger konsumiert wird. Wir sehen eher gesundheitliche Schäden durch Verunreinigungen synthetischer Cannabinoide, die Menschen auf dem Schwarzmarkt kaufen. Darum setze ich auf drei Dinge: Gesundheitsschutz, Jugendschutz und Regulierung des Schwarzmarkts.

Was ist genau geplant?

Zurzeit werden etwa bis zu acht Milliarden Euro im Jahr mit Cannabis auf dem Schwarzmarkt umgesetzt. Das möchte ich bekämpfen. Der Gesundheitsschutz wäre gewährleistet, indem Cannabis nur in Fachgeschäften verkauft wird. Dort wird man vor dem Kauf darüber aufgeklärt, was in den psychoaktiven Substanzen drin ist und was sie bewirken. Der Erwerb von Cannabis wird dort natürlich erst ab 18 Jahren erlaubt sein. Außerdem wollen wir explizit keine Werbung und Sponsoring bei Cannabis zulassen.

Studien belegen, dass die Entwicklung des Frontalhirns erst ab Mitte 20 abgeschlossen ist. Bis dahin reagiert das Gehirn empfindlich auf Drogen. Warum wird Cannabis dann schon ab 18 Jahren erlaubt sein?

Das stimmt, darum muss es Produkte mit niedrigem THC-Gehalt geben. Synthetische Cannabinoide, die es häufig auf dem Schwarzmarkt gibt, haben viel höhere Werte. Ich finde daher, 18 ist eine Größenordnung, die man akzeptieren kann. Auch vieles andere ist ja ab 18 Jahren erlaubt.

Wenn das Cannabis im Fachgeschäft weniger THC hat, werden dann viele Leute nicht weiter zum Dealer gehen?

Diese Entscheidung müssen die Menschen selbst treffen. Produkte im Laden werden selbstverständlich nicht mehr THC haben, als natürliches Cannabis aufweisen kann. Bei jungen Erwachsenen sollen in den Fachgeschäften ja auch Gespräche geführt werden, um herauszufinden, mit welcher Absicht sie Cannabis konsumieren wollen.

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Wie wollen Sie denn verhindern, dass schon Jugendliche an das legale Cannabis kommen? Sie könnten sich ja zum Beispiel welches von Erwachsenen mitbringen lassen – wie es bei Alkohol auch passiert.

Sie beschreiben da eine Situation, in der wir tatsächlich jetzt schon stecken und die ich sehr erschreckend finde. Darum brauchen wir mehr Aufklärung in Schulen zur Wirkung von Drogen allgemein. Es muss vermittelt werden, dass Drogen zu konsumieren nicht zum Erwachsenwerden dazu gehört.

Aktuell konsumieren jedoch viele Menschen in Deutschland noch immer jede Art von Drogen – mit entsprechenden Folgen. In Berlin soll es darum ab März kostenlose Drug-Checking-Angebote geben: Konsumentinnen und Konsumenten können ihre illegalen Drogen auf Unreinheiten prüfen lassen. Bagatellisiert so etwas nicht den Konsum von Drogen?

Wir müssen in Länder schauen, die Drug-Checking schon länger praktizieren. Die Schweizer etwa haben sehr gute Erfahrungen damit gemacht. Dass Drug-Checking Leben retten kann, sagt auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Es ist sicher keine Maßnahme, die den Konsum reduzieren wird. Aber wir werden Menschen davon abhalten können, Substanzen zu konsumieren, die gesundheitsschädlich sind oder töten können. Außerdem haben wir so die Möglichkeit, mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Etwa direkt in der Partyszene, wo Drogen zur Lebenswelt von einigen jungen Erwachsenen gehören.

Wenn es darum geht, Leben zu retten, sollte man pragmatisch sein.

Wann wird es Drug-Checking-Angebote bundesweit geben?

Die Entwicklungen in Berlin dazu sind ja schon recht weit gediehen. Ich gehe davon aus, dass wir noch 2023 auch bundesweit zu einem Ergebnis kommen werden.

Sie sprechen sich zum Schutz von Konsumenten auch für mehr Konsumräume aus. Dort gibt es zum Beispiel saubere Spritzen. Unter anderem die CSU kritisiert, dass illegale Drogen und legale Konsumräume nicht zusammenpassen.

Wir haben in Städten mit Drogenkonsumräumen die Erfahrung gemacht, dass sie Leben retten können. Die Zahlen zeigen, dass es keinen Zusammenhang zwischen Drogenkonsumräumen und einem erhöhten Drogenkonsum gibt. Wenn es darum geht, Leben zu retten, sollte man pragmatisch sein. Es könnte immer auch das eigene Kind betroffen sein.

In Portugal sind harte Drogen seit 2001 entkriminalisiert. Das heißt, der Besitz bestimmter Mengen ist keine Straftat. Die Folge sind weniger Drogentote durch Überdosis und weniger HIV-Infizierte. Wäre das auch eine Lösung für Deutschland?

Ich finde das portugiesische Modell sehr interessant und es wird hier schon lange diskutiert. Das kann man irgendwann auch mal in Deutschland aufgreifen. Wir sind hier aber im Moment erstmal bei ganz anderen Fragen: Wie schaffen wir es, den Alkohol- und Tabakkonsum runterzudrücken? Wie schaffen wir es, zum einen die Regulierung von Cannabis und zum anderen den Gesundheits- und Jugendschutz zu verwirklichen? Das sind Dinge, die wir erstmal angehen müssen.


Quellen:

  • [1] Deutsches Krebsforschungszentrum in der Helmholtzgemeinschaft: Mehrheitlich Zustimmung zu einem umfassenden Verbot von Werbung und Sponsoring für alkoholische Getränke. https://www.dkfz.de/... (Abgerufen am 17.02.2023)