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Im Jahr 2023 haben Apotheken aus Protest gegen die Ampel-Regierung gleich mehrmals gestreikt. Was ist passiert, dass Apothekerinnen und Apotheker an vielen Orten in großer Zahl auf die Straße gegangen sind?

Die Apotheken stehen unter immensem Druck. Die Arbeitsbelastung ist unter anderem aufgrund der Lieferengpässe extrem hoch und es fehlt uns Personal. In den zurückliegenden zehn Jahren sind die Gesamtkosten um fast 60 Prozent gestiegen, trotzdem haben wir seit 2013 keine Honoraranpassung mehr bekommen. Stattdessen hat die Bundesregierung die Vergütung sogar noch einmal gekürzt, indem sie den Abschlag angehoben hat, den die Apotheken den Krankenkassen auf rezeptpflichtige Medikamente einräumen müssen. Das können viele Apotheken nicht mehr stemmen.

Zur Person

Gabriele Regina Overwiening ist seit zwei Jahren Präsidentin der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände und die erste Frau in diesem Amt. Im westfälischen Reken leitet die Mutter von vier Kindern eine Apotheke und zwei Filialen.

Für den Protest haben sich Apothekerinnen und Apotheker auch mit der Ärzteschaft zusammengeschlossen. Was eint beide Seiten?

Beide Berufe sind in großer Sorge, denn wir erleben tagtäglich, dass wir die wohnortnahe Gesundheitsversorgung unter den aktuellen Umständen nicht mehr lange sicherstellen können. Der Schulterschluss ist also ein wichtiges Signal in Richtung Politik, dass sich jetzt etwas verändern muss.

Was denken Sie, ist das Signal angekommen?

Wir haben viel Zuspruch von Patientenseite erhalten, aber auch viele Landespolitikerinnen und -politiker haben verstanden, dass eine sichere Arzneimittelversorgung nur mit den Apotheken vor Ort möglich ist. Auch die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten wollen die Apotheken stärken. Das kann die Bundesregierung nicht ignorieren. Klar ist: 2024 muss die Ampelkoalition mehr Geld in die Apotheken investieren. Manche unserer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen verdienen nur leicht über dem Mindestlohn, weil uns die Mittel fehlen, sie besser zu bezahlen. Kommt es zu Tariferhöhungen, die ins Haus stehen, wird eine Vielzahl der Apotheken die Mehrkosten nicht so einfach aus dem Betriebsergebnis heraus stemmen können. Das beeindruckt den Bundesgesundheitsminister bisher wenig. Ändert er seine Meinung nicht, wird es eine Marktbereinigung geben und es werden viele Apotheken schließen.

Im ersten Quartal 2023 haben 129 Apotheken geschlossen.

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Müssen wir uns denn auf weitere Proteste in den Apotheken einstellen?

Das hängt davon ab, wie die Gespräche mit der Politik verlaufen. Wenn sich nichts bewegt, werden wir uns wehren und wieder protestieren. Dann müssen wir noch einmal mit Nachdruck darauf aufmerksam machen, wie schwierig die Lage der Apotheken ist.

Für große Probleme sorgen auch die Lieferschwierigkeiten, nicht erst seit der Pandemie. Aktuell sind mehr als 500 Medikamente knapp. Wie können Apotheken diese Engpässe noch managen?

Es ist eine große Herausforderung. Die Engpässe sorgen überall für Überstunden und viele Teams kriechen sprichwörtlich auf dem Zahnfleisch. Die gute Nachricht für unsere Patientinnen und Patienten ist: Wir schaffen es fast immer, eine Alternative zu organisieren, wenn ein Medikament nicht lieferbar ist. Das allerdings nur unter großen Anstrengungen.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sieht Deutschland in diesem Jahr besser gegen Lieferengpässe gerüstet als im vergangenen Winter. Teilen Sie diese Einschätzung?

Das lässt sich pauschal nicht sagen. Bei den Fiebersäften für Kinder haben wir zuletzt tatsächlich eine Entspannung gesehen. Viele Antibiotikasäfte sind hingegen nach wie vor extrem knapp. Die Politik entwickelt zwar Strategien, um die Engpässe in den Griff zu bekommen, vieles davon ist aber eher eine Mogelpackung.

Wie meinen Sie das?

Bei Kinderarzneimitteln können wir seit kurzem auch ohne Rücksprache mit der Artpraxis auf eine andere Darreichungsform ausweichen. Ich kann in der Apotheke also zum Beispiel Tropfen anstelle von Tabletten abgeben. Voraussetzung ist allerdings, dass das Medikament auf einer sogenannten Dringlichkeitsliste steht. Ich muss jedes Mal zunächst die Liste prüfen, aber das kostet Zeit, die uns für die Patientinnen und Patienten fehlt. Während der Pandemie durften die Teams in den Apotheken bei Lieferengpässen grundsätzlich sehr viel unkomplizierter auf Alternativen ausweichen. Davon haben alle Seiten profitiert. Ich verstehe nicht, warum die Politik diese gute Regelung wieder zurückgenommen hat.

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Umgesetzt hat die Ampel dafür das Lieferengpassgesetz, mit dem sie unter anderem die Produktion von Arzneimitteln zurück nach Europa holen will. Wie zuversichtlich sind Sie, dass die Novelle die Probleme nachhaltig lösen kann?

Das Gesetz kann nur ein erster Schritt gewesen sein, denn damit wird sich nur punktuell etwas verbessern. Hier muss die Politik noch einmal nachlegen.

Seit Jahren sinkt die Zahl der Apotheken in Deutschland, bundesweit gab es Ende Juni noch 17.830 Apotheken, das ist der niedrigste Wert seit mehr als 40 Jahren. Wie dramatisch ist diese Zahl aus Ihrer Sicht?

Das lässt sich leicht beantworten, wenn wir uns die Apothekendichte im Vergleich anschauen: In Europa versorgen im Schnitt 32 Apotheken 100 000 Menschen – in Deutschland sind es nur noch 21 Apotheken. Wir sehen also, das Apothekennetz ist ganz und gar nicht eng gestrickt, Lücken gibt es insbesondere auf dem Land und in strukturschwachen Regionen.

Karl Lauterbach möchte die Möglichkeit schaffen, in solchen Regionen Filialen zu eröffnen ohne eigene Rezeptur und ohne Apotheker oder Apothekerin vor Ort. Sie haben die Pläne als verantwortungslos kritisiert. Welche Gefahren sehen Sie?

Wir haben in Deutschland im Moment überall Apotheken, die die Menschen vollumfänglich versorgen. Wenn plötzlich ein Teil davon nicht mehr alles anbietet, dann ist das eine Leistungskürzung. Ein Zwei-Klassen-System entsteht. Als Patient weiß ich nicht: was bekomme ich in dieser Apotheke und was nicht? Aber wo Apotheke draufsteht, muss Apotheke drin sein! Wenn Filialen keinen Notdienst mehr anbieten, wird es Gebiete geben, in denen die Menschen sehr weit fahren müssen, um ihr Medikament zu bekommen. Und ist ein Präparat nicht verfügbar, kann eine Apotheke ohne Rezeptur Arzneimittel auch nicht selbst herstellen. So machen wir unser Apothekennetz kaputt.

Der Gesundheitsminister hat in Aussicht gestellt, Nacht- und Notdienste besser zu vergüten. Auch so würden Apotheken in strukturschwachen Regionen gezielter unterstützt.

Das wäre ein guter Schritt. Alle Apotheken machen Notdienste, Betriebe auf dem Land natürlich besonders häufig. Dafür benötigen wir viel Personal. Deswegen ist es richtig, wenn uns Karl Lauterbach da entgegenkommt.

Abgesehen von Honorarforderungen und der flächendeckenden Versorgung – welche Themen stehen für die Apotheken 2024 auf der Agenda?

Ganz wichtig ist das E-Rezept. Das ist ab Jahresbeginn auch für die Ärztinnen und Ärzte verpflichtend. Das E-Rezept löst die Patientin oder der Patient ganz normal in der Apotheke vor Ort ein – egal, ob es per App, auf Papier oder über die Gesundheitskarte kommt.

Wie wird das E-Rezept denn angenommen?

Es ist gut angelaufen. Wir verzeichnen einen deutlichen Schub in den letzten Wochen. Zunehmend mehr Arztpraxen stellen auf das E-Rezept um. Aber es gibt ab und zu doch noch Anlaufschwierigkeiten. Neulich zum Beispiel ist die Telematikinfrastruktur ausgefallen, sodass wir keinen Zugriff auf E-Rezepte hatten. Sowas muss natürlich immer ganz schnell behoben werden.

Viele Patientinnen und Patienten lösen nicht nur Rezepte ein, für sie gehören inzwischen auch Impfen und pharmazeutische Dienstleistungen selbstverständlich zum Angebot in den Apotheken. Wird es in Zukunft weitere solcher Leistungen geben?

Es stimmt, die Menschen nehmen das Impfen gegen Grippe und Covid in der Apotheke sehr gut an. Das gleiche gilt für die pharmazeutischen Dienstleistungen, also zum Beispiel den Check der Medikation auf Wechselwirkungen. Wir möchten gerne noch mehr zusammen mit den Hausärztinnen und Hausärzten voranbringen. Wir können Menschen dabei helfen, gesünder durchs Leben zu gehen. Ärzte- und Apothekerschaft sollten vor Ort gemeinsam für die Patientinnen und Patienten da sein, das wird auch von der Politik gewünscht. Wenn wir weitere pharmazeutische Dienstleistungen anbieten könnten, wäre das ein Gewinn für die Versorgung.