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Verschreibungspflicht abschaffen: "Für viele Frauen ist der Arztbesuch eine Hemmschwelle"

Warum Ressortleiterin Julia Schulters die Entscheidung kritisiert:

Die Minipille mit dem Wirkstoff Desogestrel 75 µg bleibt aller Voraussicht nach verschreibungspflichtig. Das jedenfalls empfiehlt der Sachverständigen-Ausschuss für Verschreibungspflicht dem Bundesministerium für Gesundheit, das darüber noch entscheiden muss, in der Regel aber der Empfehlung folgt. Wie schade!

Was in Großbritannien schon seit 2021 und auch in den USA seit Kurzem möglich ist, wäre auch hierzulande ein notwendiger Schritt: die Minipille ohne Rezept. Gerade für junge Frauen wäre die Entlassung aus der Verschreibungspflicht wünschenswert gewesen: keine Arzttermine mehr, um sich die Pille zu besorgen, stattdessen ein niederschwelliger, selbstbestimmter Zugang zu einem sicheren Verhütungsmittel in der Apotheke. Für viele Frauen – das zeigen Umfragen – ist der Besuch bei der Gynäkologin oder beim Gynäkologen mit viel Scham, Ängsten und langen Wartezeiten verbunden. Und für manche Frauen möglicherweise eine so große Hemmschwelle, dass sie am Ende gar nicht oder mit wesentlich unsichereren Methoden verhüten.

Gut zu wissen: Die Minipille enthält ausschließlich das Gestagen Desogestrel, ein Hormon, das unter anderem den Eisprung verhindern soll. Sie gilt im Vergleich mit östrogenhaltigen Kombinationspräparaten als relativ nebenwirkungsarm, vor allem was das Risiko für Thrombosen angeht. Die Minipille werde im Allgemeinen gut vertragen, schwerwiegende Nebenwirkungen seien normalerweise nicht zu erwarten, schreibt etwa der Bundesverband der Frauenärzte auf seiner Website.[1]

Auch die Befürchtung, dass Frauen seltener an gynäkologischen Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen, wenn sie die Pille in der Apotheke bekommen, darf kein Argument sein, die Rezeptpflicht für die Minipille beizubehalten. Viel zu oft wird und wurde die Verschreibung der Pille in manchen Praxen an Krebs-Früherkennungsuntersuchungen gekoppelt. Nach dem Motto: ohne Vorsorge kein Pillenrezept. Zwei Dinge, die aber nicht miteinander vermischt werden dürfen. Vorsorge ist extrem wichtig, keine Frage, aber bitte freiwillig. Der Zwang, sich einer vaginalen Untersuchung zu unterziehen, um ein Rezept zu bekommen, ist aber nichts anderes als eine Entmündigung von Frauen. Wer einfach nur verhüten möchte, sollte die Pille auch unabhängig von der gynäkologischen Vorsorge bekommen dürfen, es sei denn, medizinische Gründe sprechen zwingend für eine Untersuchung.

Julia Schulters, Leiterin des Ressorts Medizin und Apothekerin

Julia Schulters, Leiterin des Ressorts Medizin und Apothekerin

Es war ein langer Kampf, bis die Pille danach 2015 in Deutschland aus der Verschreibungspflicht entlassen wurde. Auch hier war Deutschland Schlusslicht im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Für Frauen war dieser Schritt ein großer Meilenstein in Sachen Notfallverhütung. Mittlerweile hat sich die Abgabe in der Apotheke etabliert und bewährt. Im Zweifel, etwa bei bestimmten Risikofaktoren, verweist das pharmazeutische Personal Frauen immer an den Arzt.

Wieso sollte das mit der Minipille nicht genauso funktionieren? Apothekerinnen und Apotheker sind ausgewiesene Expertinnen und Experten für Arzneimittel und extrem kompetent, was eine fundierte, verantwortungsvolle und diskrete Beratung angeht. Sie kennen sich wie kaum eine andere Berufsgruppe mit der Wirkung und den Nebenwirkungen von Arzneistoffen aus. Vertrauen wir doch einfach auf die Expertise von Pharmazeutinnen und Pharmazeuten. Die können das!

Verschreibungspflicht beibehalten: „Hier geht es nicht um Pfefferminzbonbons“

Warum Redakteurin Silke Stuck die Entscheidung befürwortet:

Der Sachverständigen-Ausschuss hat am heutigen Dienstag die richtige Entscheidung getroffen. Desogestrel 75 µg soll weiterhin verschreibungspflichtig bleiben. Warum das gut ist? Spielen wir das Ganze doch mal anders durch: Sie haben Fieber und starke Halsschmerzen, also gehen Sie in die Apotheke und bitten um ein Antibiotikum.

Soweit die vermeintliche Vorstellung. Warum aber passiert das nicht, sondern Sie gehen zum Arzt, der Ihnen – unter Umständen – ein derartiges Präparat verschreibt? Weil da ein Spezialist ist, der Sie anschaut, Ihre Symptome ab- und hinterfragt, Sie gründlich untersucht und der auch Ihre Krankheitsgeschichte kennen sollte und aufgrund aller ihm vorliegenden Informationen ein Rezept ausstellt. Oder auch nicht.

Damit soll jetzt keinesfalls die Expertise der Apothekerinnen und Apotheker infrage gestellt werden. Nur: Solche Aufklärungs-Gespräche am Verkaufstresen, dahinter zig andere, wartende Menschen – schwer vorstellbar.

Silke Stuck, Redakteurin im Ressort Medizin

Silke Stuck, Redakteurin im Ressort Medizin

„Minipille“ heißen die Präparate, um die es da geht, und das klingt beinahe niedlich, aber es sind keine Pfefferminzbonbons, sondern Präparate, die einen starken Eingriff ins weibliche Hormonsystem bedeuten. Dafür sollte ein ärztliches Beratungsgespräch in einem geschützten Raum notwendig, ja: unabdingbar sein.

Eine Aufklärung zu Risiken, Nebenwirkungen und Gegenanzeigen muss stattfinden. Und gerade wenn die Pille zum ersten Mal verschrieben werden soll, sollte eine gründliche Anamnese erfolgen – mit Vorsorgeuntersuchung, der Überprüfung von Brustkrebs- und Thromboserisiko in der Familie. Und auch in diesem Rahmen kann über Sexualität und über Alternativen, sowie die korrekte Anwendung (da gibt es einige Dinge zu beachten!) besser gesprochen werden als im Verkaufsraum.

Klar, wer unbedingt den Arztbesuch vermeiden will, wird über krude Online-Umwege auch weiterhin rezeptfrei an die Pille kommen – geschenkt. Und, ja, vieles im Leben sollte einfacher, niedrigschwelliger, mit weniger bürokratischem Aufwand erhältlich sein. Die (weibliche) Gesundheit sollte jedoch nicht dazu zählen – sondern uns immer ein wenig mehr Sorgfalt und vermeintliche Anstrengung wert sein.

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Die Hormone in der sogenannten Mikro-Pille verhindern nicht nur eine Schwangerschaft, sondern können auch Nebenwirkungen haben. Wie gefährlich sind sie? zum Artikel


Quellen:

  • [1] Berufsverband der Frauenärzte e.V. (BVF): Minipille (Gestagenpille) – die östrogenfreie Pille. https://www.frauenaerzte-im-netz.de/... (Abgerufen am 23.01.2024)
  • Hüttemann, D: Gibt es die »Minipille« bald ohne Rezept?. Pharmazeutische Zeitung: https://www.pharmazeutische-zeitung.de/... (Abgerufen am 23.01.2024)
  • Hart C, Linnemann B: Hormonelle Kontrazeption und Thrombose. https://www.thieme-connect.com/... (Abgerufen am 23.01.2024)
  • Roemer T, Bitzer J, Egarter C, Hadji P et al.: Oral Progestins in Hormonal Contraception: Importance and Future Perspectives of a New Progestin Only-Pill Containing 4 mg Drospirenone. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 23.01.2024)
  • Rott, H: Birth Control Pills and Thrombotic Risks: Differences of Contraception Methods with and without Estrogen. Coagulation Center Rhein-Ruhr, Duisburg, Germany: https://www.thieme-connect.com/... (Abgerufen am 23.01.2024)
  • Arisi E, Bauer C, Farris M, Giulini-Limbach C et al.: The views of women and pharmacists on the desirability of a progestogen-only pill over the counter. Results of a survey in Germany, Italy and Spain . https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 24.01.2024)