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Jedes siebte Kind in Deutschland ist übergewichtig – eine Folge mangelnder Bewegung und ungesunder Ernährung. Die meisten Heranwachsenden essen zu wenig Obst, Ge­müse und Vollkorn, dafür zu viel Fleisch, Wurst, Süßigkeiten, Limonaden und Knabbereien, ergab die EsKiMo-II-Studie des Robert Koch-Instituts. Schuld daran ist vor allem eine „ernährungsfeindliche Umgebung“, sagt der Hamburger Ernährungsmediziner Dr. Matthias Riedl, und meint damit zum Beispiel die Werbung für Kinderlebensmittel.

So werden Kinder zu ungesundem Essen verführt

Egal ob es bunte Comic­figuren auf Cerealien sind, Zeichentrickkühe, die im TV Pudding anpreisen, oder Influencer im Internet: Überall verführen Lebensmittelhersteller Kids und Erwachsene zum Kauf ungesunder Produkte. „Die Industrie arbeitet gegen die Eltern“, kritisiert Saskia Reinbeck von Foodwatch in Berlin. Eine Studie der Verbrau­cherorga­nisation ergab: 85,5 Prozent der Kinderlebensmittel entsprechen nicht den Nährwertempfehlungen der WHO, enthalten zu viel Fett, Zucker und Salz. Die Ampel-Regierung will das ändern. Bis 2023 soll eine Ernährungsstrategie beschlossen werden, die Menschen eine gesunde Ernährung erleichtert, ernährungsbedingte Krankheiten bekämpft und Verbraucherinnen und Verbraucher verständlich informiert.

Warum ist es schwer, Ungesundes zu meiden?

Doch wo ansetzen? Und wie umsetzen? Die Realität sieht aktuell so aus: Statt Salat zu schnippeln oder frische Gemüsesuppe zu kochen, greifen Eltern aus Zeitmangel oft zu Fertigprodukten. Und damit auch zu Nahrungsmitteln, die wie Wurst oder gesüßte Joghurts viele Kalorien und kaum Nährstoffe enthalten. Auch beim Mittagessen in der Kita landen häufig stark verarbeitete Convenience-Produkte auf dem Teller, etwa Kartoffeltaschen, Pizzaschnitten, Chicken-Nuggets. „Außer-Haus-Verpflegung ist oft ungesund und befördert chronische Krankheiten. Kinder, die regelmäßig so essen, haben als Erwachsene ein erhöhtes Sterberisiko“, sagt Ernährungsexperte Riedl. Riedl will Familien nicht vorschreiben, wie sie sich ernähren sollen. Stattdessen fordert er ­eine verpflichtende Kennzeichnung verarbeiteter Lebensmittel. Und das möglichst vorn auf der Verpackung, damit Verbraucher beim Einkauf schnell erkennen können, wie viel Zucker, Salz, Fett und künstliche Zusatzstoffe in einem Produkt stecken. Zwar hat die Regierung 2020 den Nutri-Score eingeführt, der auf einer Skala von A (Dunkelgrün) bis E (Rot) angibt, wie nährstoffreich ein Lebensmittel ist. Doch die Kennzeichnung ist freiwillig und listet zudem keine Inhaltsstoffe. Den Herstellern steht es weiter frei, verkaufsfördernde, aber ungesunde Zutaten beizumengen, prangert Riedl an: „Der Chemieeinsatz in Nahrungsmitteln muss dringend eingeschränkt werden. Nötig sind auch Mindestvorgaben für den Ballaststoffgehalt in Fertigprodukten und verbindliche Höchstgrenzen für Zucker.“

Welche Produkte sind besonders problematisch?

Der Konsum zuckerhaltiger Getränke sei besonders problematisch, so Riedl. 17 Prozent der Mädchen und 22 Prozent der Jungen trinken täglich Softdrinks. „Die Kids werden auf den übersüßen Geschmack geprägt und nehmen Unmengen an Energie zu sich“, sagt der Ernährungsmediziner. Zu viel Zucker führt zu Übergewicht und in der Folge zu Diabetes Typ 2 und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Foodwatch plädiert deshalb für eine „Limo-Steuer“. Im Koalitionsvertrag findet sich nichts zu diesem Thema. Andere Länder wie Großbritan­nien bitten Getränkehersteller bereits zur Kasse: Ein Getränk mit mehr als fünf Gramm Zucker pro 100 Milliliter wird mit 21 Cent pro Liter besteuert, bei acht Gramm sind es sogar 33 Cent. Die Zuckersteuer funktioniert: Zwar trinken die Briten nicht weniger Softdrinks. Aber die Hersteller haben den Zuckergehalt reduziert, um hö­here Steuern zu vermeiden. So spart jeder Einzelne drei Teelöffel Zucker pro Woche.Regulieren und reduzierenHierzulande fordern Gesundheitsverbände und Fachgesellschaften längst Einschränkungen für ungesunde Produkte. Die Ampel-Regierung will Reduktionsziele für Zucker, Fett und Salz schaffen sowie Werbung für ungesunde Snacks in Sendungen und Formaten für unter 14-Jährige verbieten.

Darum stehen Kinderprodukte bei den Kleinen hoch im Kurs

1. Falsche Freunde

Lustige Trickfilmfiguren, fröhliche Gleich­altrige im TV und coole Internet-Influencer gaukeln Kindern jede Menge Spaß mit Würstchen, Pudding & Co. vor. Mit ihrer Hilfe weckt die Lebensmittelbranche (ungesunde) Bedürfnisse.

2. Süße Versuchung

Kinder lassen sich zwar in den ersten 1000 Lebenstagen auf Gemüse, Obst und Vollkorn prägen. Doch auch sie können sich noch zu Fast-Food-Junkies entwickeln – etwa durch Werbung. Gutes Essen ans Kind zu bringen, ist mühsam, lohnt sich aber. Ernährungsdoc Riedl: „Ein Gericht muss 20- bis 30-mal auf dem Tisch stehen, bis es toleriert wird.“

3. Verheißung Supermarkt

Ob Ostern oder Fußball-EM: Ein Anlass, Süßes und Fettiges mit Aufstellern und Angeboten zu bewerben, findet sich immer. Gemüse- oder Obstwerbung dieser Art? Fehlanzeige. Mit Grünzeug lässt sich viel weniger Geld verdienen.

4. Irreführende Infos

„Wertvolles Vitamin C“, „Fix aufgetischt“, „Kleiner Preis“: Hersteller versorgen Eltern gern mit vermeintlich seriösen Produktinformationen. Diese greifen zu – oft, weil sie nicht wissen, wie man gesund und trotzdem günstig und zeitsparend kocht. Saskia Reinbeck plädiert deshalb für ein Verbot irreführender Werbung.

5. Zu kleine Portionen

Klein angegebene Portionen beschönigen oft ­einen hohen Zuckeranteil. Wiegen Sie mal Cornflakes ab: Erst die zwei- oder dreifache Portion macht satt. Damit steigt auch die Zuckermenge!