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Am Silvesterabend, geht es bei vielen Menschen feuchtfröhlich zu. Ethanol, wie die Chemiker sagen, regt an, hebt die Stimmung, löst die Zunge. Kein Wunder, dass nur wenige Feierwütige zu alkoholfreiem Bier oder, auch den gibt es, zu alkoholfreiem Wein greifen.

Schützt Alkohol das Herz?

Für viele Menschen gehört der flüssige Rauschstoff nicht nur um die Jahreswende zum Alltag, und das oft aus anderen Gründen. Sie haben gehört, dass ein Gläschen in Ehren sogar der Gesundheit guttut, das Herz und das Gefäßsystem stützt und vor Herzinfarkt und Schlaganfall schützt – solange man es mit dem Trinken nicht übertreibt.

Doch stimmt das? Expertinnen und Experten benutzen in diesem Zusammenhang gerne das Bild einer J -Kurve. Bei null Alkoholkonsum ist das gesundheitliche Risiko leicht erhöht, das ist der J -Haken ganz links. Bei geringen Alkoholmengen sinkt es (Mitte des J ), bis es mit steigenden Mengen steil ansteigt (ganz rechts des J ). Dass hohe Alkoholmengen allerlei Gesundheitsprobleme verursachen können, ist dabei unbestritten. Weniger klar ist allerdings, ob es ein Optimum gibt, das beim tiefsten Punkt des J liegt.

Unzählige Forscherinnen und Forscher haben das in den letzten Jahrzehnten untersucht, Hunderte von Übersichtsarbeiten die Studienlage bewertet. Mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen: Mal soll ein regelmäßiger geringer Alkoholkonsum das Herz schützen, mal sollen schon kleinste Mengen schädlich sein. Entsprechend unterschiedliche Empfehlungen geben Fachorganisationen verschiedener Länder.

Schon ab 50 Gramm Alkohol pro Woche steigt das Schlaganfall-Risiko

So empfiehlt die US-amerikanische Kardiologie-Vereinigung seit Kurzem, möglichst gar keinen Alkohol zu trinken. Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie hin­gegen bezeichnet 100 Gramm pro Woche als „sicher“. Auf die Woche verteilt heißt das: Täglich bis zu etwa 370 Milliliter Bier oder 160 Milliliter Wein sind „erlaubt“. Also deutlich weniger als der oft in diesem Zusammenhang zitierte halbe Liter Bier oder Viertelliter Wein für Männer.

Die Herzärzte berufen sich dabei auf eine 2018 im Fachmagazin The Lancet erschienene Übersichtsarbeit. Sie erfasst die Daten von rund 600 000 Menschen aus 83 Studien. Fazit: Bei einer Alkoholmenge von bis zu 100 Gramm pro Woche bleibt die ­Lebenserwartung konstant.

Sprich: Moderate Trinker profitieren zwar nicht direkt, aber der Alkohol verkürzt ihr Leben nicht. Dabei gibt es aber große Unterschiede zwischen einzelnen Herz- und Gefäßkrankheiten. So steigt bereits ab 50 Gramm Alkohol pro Woche das Risiko für einen Schlaganfall. Das Risiko für einen Herzinfarkt sinkt bei dieser Menge hingegen sehr deutlich.

Professor Wolfgang Koenig hat an der Analyse mitgearbeitet. Er ist Oberarzt an der Klinik für Herz- und Kreislauferkrankungen des Deutschen Herzzentrums München. „Der Trend geht auch in anderen Studien hin zu geringeren Mengen als früher, die noch als verträglich gelten“, sagt Koenig. Ganz zu verzichten rät er Menschen, die an Vorhofflimmern leiden. Denn schon wenig Alkohol kann eine Episode der häufigen Herzrhythmusstörung auslösen.

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Frauen gefährdeter als Männer?

Noch einen Trend sieht Koenig: Seit Langem gilt die Annahme, dass Frauen durch Alkohol stärker gefährdet sind als Männer. Daraus resultierte die Empfehlung, dass Männer doppelt so viel Alkohol trinken dürfen wie Frauen. Neuere Studien machen oft keinen Unterschied mehr zwischen den Geschlechtern.

Doch die Datenlage bleibt unsicher. Denn alle Studien beruhen auf reiner Beobachtung und sind damit für ­Verzerrungen anfällig. So könnten moderate Trinker alleine deshalb besser abschneiden, weil Abstinenzler an Krankheiten leiden, die sie zum Verzicht auf Alkohol zwingen. Dann wären die Krankheiten das Problem, nicht der Alkohol. Die Unsicherheit ließe sich nur klären, wenn zufällig ausgewählte Menschen gezielt zum Verzicht auf oder Konsum von Alkohol angehalten würden.

Tatsächlich hat die US-amerikanische Gesundheitsbehörde einen solchen Versuch unternommen. Und dann wieder abgeblasen, weil einigen der Wissenschaftler eine zu große Nähe zur Alkoholindustrie vorgeworfen wurde. „Vermutlich werden wir die Frage nie komplett ­lösen können“, meint Koenig. Eines solle man jedenfalls nicht tun: als bisheriger Abstinenzler mit dem Alkoholkonsum anfangen im Glauben, damit etwas für die Gesundheit zu tun.

Alkohol erhöht Risiko einer Krebserkrankung

Werfen wir noch einmal einen näheren Blick auf die Analyse, an der Koenig mitgearbeitet hat. Noch eines fällt dabei auf: Die Zahl der Herzerkrankungen sinkt bei bis zu 100 Gramm Alkohol pro Woche tatsächlich. Und dennoch bleibt die Lebenserwartung gleich. Es muss also etwas geben, was sich negativ auswirkt. Dieses Etwas heißt vor allem: Krebs.

Schon kleine Mengen Alkohol erhöhen das Risiko für Krebs im gesamten Verdauungstrakt von der Mundhöhle bis zum Darm, zudem für Leber- und Brustkrebs. Letzteres wohl, weil Alkohol den Östrogenspiegel im Blut erhöht. Im Prinzip kann jeder Schluck einer zu viel sein.

Doch gilt das gleichermaßen für alle Arten von alkoholischen Getränken? Manche Menschen bezeichnen diese Krankheiten als typische Leiden von Schnapstrinkern. Das stimmt so nicht. „Es geht nur um die Menge des Alkohols, unabhängig von der Art des Getränks“, sagt Dr. Katrin Schaller, kommissarische Leiterin der Stabsstelle Krebsprävention am Deutschen Krebsforschungszentrum ­(DKFZ) in Heidelberg.

Ein viertel Liter Wein enthält 27,5 ml (22 g) Alkohol (genauer Alkoholgehalt auf dem Etikett)

10 ml Schnaps oder Likör enthalten 3,3 ml (2,6 g) Alkohol (genauer Alkoholgehalt auf dem Etikett)

10,7 Liter reinen Alkohol tranken Menschen in Deutschland durchschnittlich im Jahr 2018. Umgerechnet entspricht das gut 29 Millilitern oder knapp 23,5 Gramm pro Tag (Quelle: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen)

22 000 Krebserkrankungen, also etwa vier Prozent aller Fälle, werden in Deutschland jährlich durch Alkohol verursacht. Betroffen sind vor allem Menschen mit erhöhtem Alkoholkonsum (Quelle: IARC/Cancers Attributable to Alcohol)

Ein kleines Bier von 0,3 Litern enthält 14,4 Milliliter (11,5 Gramm) Alkohol.

Ein halber Liter enthält 24 Milliliter (19 Gramm) (genauer Alkoholgehalt auf dem Etikett)

Rauchen und Trinken: Gefährliche Kombination

Besonders warnt Schaller vor der Kombination von Rauchen und Alkohol: „Dabei ­addiert sich das Risiko nicht nur, sondern es vervielfacht sich, insbesondere bei Mundhöhlen- und Kehlkopfkrebs.“ Leider sei die Warnung nur zu berechtigt, denn für viele gehört zum Bier die Zigarette.

Und wenn schon Alkohol, ergänzt Schaller, dann nicht gleich den Körper mit großen Mengen „überschwemmen“, weil mit der Dosis das Krebs­risiko wie auch das Risiko für Herzrhythmusstörungen steigt.

Was also anfangen mit möglichem Nutzen und den Risiken? Von generellen Empfehlungen hält Dr. Manuela Bergmann wenig. Sie leitet das ­Humanstudienzentrum am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke, jahrelang hat sie über den Einfluss von Alkohol auf die Gesundheit geforscht. „Es kommt am Ende auf den Einzelfall an“, sagt sie. „Menschen unterscheiden sich in ihrem Geschlecht, sozialen Umfeld, Stoffwechsel, Alter, Lebensstil, ihrer Ernährung.“ Auch Beobachtungen aus anderen Ländern auf Deutschland zu übertragen sei schwierig.

So würde Rotwein in nördlichen Ländern eher von höher gebildeten Menschen getrunken, in südlichen Ländern gehöre er quasi überall dazu. „Es mag ja sein, dass bestimmte Menschen davon profitieren“, sagt Bergmann, „aber das gilt sicher nicht für alle.“ Zudem habe sie selbst erlebt, wie subtil die Alkohol- industrie Einfluss auf die Forschung nimmt und wie gut sie das zu verschleiern weiß.

Alkohohl kann 200 verschiedene Krankheiten verursachen

Betrachte man die gesamte Bevölkerung, handle man sich mit Alkohol deutliche gesundheitliche Schäden ein. Mehr als 200 verschiedene Krankheiten samt Todesfällen kann Alkohol verursachen. Bei etwa jedem dritten Fall von Totschlag, Körperverletzung oder Vergewaltigung war Alkohol im Spiel. Von Unfällen ganz zu schweigen. Und rund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland sind abhängig, mit allen Folgen für sich und die Familie.

Wer sich nicht beschränken kann, oft ans Trinken denkt und Stress nur mit dem Griff zur Flasche bewältigt, der hat die Sache nicht mehr im Griff. Man sollte sich dann nicht schämen, seine Ärztin oder seinen Arzt darauf anzusprechen. Dabei kann bei vielen Menschen schon die Gewöhnung an kleine Mengen zur Sucht führen.

Was aber gilt für Menschen, die die Kontrolle über sich behalten haben und zum Essen gerne mal Wein genießen oder mit Freunden ein Bier trinken gehen? Hier sollte man die Kirche vielleicht im Dorf lassen. Alkohol ist in Deutschland für rund vier Prozent aller Krebserkrankungen verantwortlich, für etwa 22 000 Fälle pro Jahr. Doch die betreffen vor allem Menschen mit erhöhtem Alkoholkonsum.

Die Balance sollte stimmen

Unter jenen, die sich auf höchstens 20 Gramm täglich beschränken, erkranken jährlich etwa 2700 Menschen an Krebs, der sich auf Alkoholkonsum zurückführen lässt. Rund 37 Prozent aller Krebsfälle in Deutschland wären vermeidbar, ergibt eine Analyse des DKFZ. Auch durch Verzicht auf Alkohol.

Der bedeutendste Risikofaktor ist jedoch das Rauchen. Auch ungesunde Ernährung, starkes Übergewicht und Bewegungsmangel spielen eine größere Rolle als Alkohol. Wer auf Wurst verzichtet, kaum Süßes nascht und 150 Minuten in der Woche sportelt, der werfe den ersten Stein.

Man sollte Alkohol nicht verharmlosen, aber auch nicht verteufeln. Wer sich im Griff hat, darf auch unter dem Weihnachtsbaum einen Schnaps trinken und auf den Jahreswechsel anstoßen. Oder zum Abendessen ein Glas Wein genießen. Es muss ja nicht jeden Tag sein.

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