Tamara Schwab über ihr Spenderherz: „Jeden Tag bin ich aufs Neue dankbar“
Am 1. August feierten Sie Ihren dritten Herzgeburtstag. Wie verlief der Tag, an dem Sie Ihr Spenderherz bekamen?
Tamara Schwab: Die Transplantation war für fünf Uhr in der Früh angesetzt. Nachts ist mir aber gesagt worden, dass sie auf den nächsten Mittag verschoben wird. Ich war sehr nervös, ich dachte, das geht schief und ich werde vielleicht wieder zurück ins Wartekrankenhaus geschickt. War ich froh, als das Ärzteteam, das mein Spenderherz abgeholt hat, meinte: Es passt alles und es kann losgehen.
Sich vorzustellen, dass einem das eigene Herz, das einen am Leben hält, herausgenommen und ein anderes eingesetzt wird, bereitet Gänsehaut …
Schwab: Das Herz ist ein sehr faszinierender Muskel. Normalerweise fängt so ein transplantiertes Herz auch von selbst an zu schlagen. Meines Wissens, indem es durch die neu angeschlossenen Herzkranzgefäße einfach nur mit sauerstoffreichem Blut versorgt wird. Wie von Zauberhand fängt es wieder zu schlagen an. Als würde es sich erinnern, dass es wieder pumpen muss.
Vor der Transplantation hatten Sie einen Defibrillator implantiert. In Ihrem Buch „Dein Herz, mein Herz“ schreiben Sie, dass das Gerät die Hölle war. Warum?
Schwab: Mein Herz war ja kaputt. Ich litt an einer genetisch bedingten Herzerkrankung, wusste das aber lange nicht. Immer wieder hatte ich Kammerflimmern. Währenddessen zittert das Herz nur noch. Der eingesetzte Defibrillator leitet mit Elektroschocks eine Art Neustart ein, um das Herz wieder in seinen normalen Takt zu bekommen.
Wie hat sich das für Sie angefühlt?
Schwab: Als würde man an einen Elektrozaun fassen. Nur dass das Gefühl mitten in der Brust und viel stärker ist. Es haut einen um und ist wahnsinnig schmerzhaft. Darauf bin ich nicht vorbereitet worden. Ich hatte panische Angst, nachdem ich das erste Mal geschockt worden bin. Für mich war das wie eine tickende Zeitbombe in der Brust. Ich wusste nie, wann geht sie wieder los?
Was hat diese Angst mit Ihnen gemacht?
Schwab: Ich konnte nicht mehr allein sein und ich bin wieder bei Papa eingezogen. Außerdem hatte ich große Angst, meinen Puls in die Höhe zu treiben. Die habe ich heute noch, etwa beim Sport.
Bis zu welcher Pulsfrequenz ist es okay?
Schwab: Ab etwa 120 Schlägen pro Minute werde ich nervös. Mit dem neuen Herzen fühlt sich auch alles ein wenig anders an. Ich habe keine Nerven mehr ums Herz. Pulssteigerungen werden durch Adrenalin und nicht durch elektrische Signale getriggert. Dadurch braucht mein Herz länger, um in die Gänge zu kommen und auch um wieder runterzufahren. Etwa beim Joggen: Da dauert es ein paar Minuten, bis das Herz langsamer wird. Kann also sein, es rast noch, auch wenn ich schon eine Weile sitze.
Klingt so, als ob Sie erst lernen mussten, Ihrem neuen Herzen zu vertrauen.
Schwab: Das ist genau der Punkt. Am Anfang hatte ich noch kein Vertrauen. Woher auch? Es war ja ein fremdes Herz. Und es hatte sich noch nicht bewiesen. Ich musste wirklich erst mal lernen: Mir passiert nichts mehr.
Über die Deutsche Stiftung Organtransplantation kann man der Spenderfamilie anonym danken.
Schwab: Ja, das habe ich getan. Man darf ein wenig zu sich und seiner Geschichte erzählen, aber keinen Namen oder Ort nennen.
Haben Sie eine Antwort erhalten?
Schwab: Oh ja, und es hat mich eiskalt erwischt. Ich war zur Routinekontrolle bei meiner Ärztin. Als sie mir einen Brief in die Hand drückte und sagte, der sei von der Spenderfamilie, habe ich geheult wie ein Schlosshund, weil ich null damit gerechnet hatte. Details möchte ich nicht nennen, ich kann aber sagen, dass ich eine Spenderin habe.
Leben Sie heute anders als vorher?
Schwab: Ich bin einfach unfassbar dankbar. Ein normaler Alltag ist für mich was Besonderes. Weil ich den jahrelang nicht hatte. Ich konnte nicht normal arbeiten, keinen Sport machen, reisen, auf Festivals gehen, whatever. Von daher schätze ich diese vermeintlichen Selbstverständlichkeiten anders.
Wie steht es um tägliche Aufreger? Bringt Sie noch etwas aus der Ruhe?
Schwab: Ich denke mir oft: Mein Gott, über was man sich alles aufregen kann. Aber ich schaffs auch nicht bei allem, ruhig zu bleiben. Stau etwa, da kann ich mich bis heute wahnsinnig drüber aufregen. Bei anderen Sachen bin ich deutlich entspannter geworden.
Auch beim Thema Sterben? Sie haben dem Tod ja mehrmals ins Auge geblickt.
Schwab: Durch meine Nahtoderfahrungen bin ich fest davon überzeugt, dass unsere Seelen nicht sterben. Ich kann es schwer erklären, aber es gibt Situationen, da kriege ich plötzlich auf der linken Körperseite Gänsehaut von Kopf bis Fuß. Ich verstehe es nicht und kann das auch nicht steuern. Aber ich habe dann das Gefühl: Das ist meine Spenderin.
Damit Ihr transplantiertes Herz nicht abgestoßen wird, sind Medikamente nötig. Wie viele nehmen Sie täglich?
Schwab: 17. Aber nicht nur die Medis sind wichtig. Ich achte auf ausreichend Schlaf, gesunde Ernährung, bin beim Thema Alkohol sehr streng. Und wenn jemand krank ist, halte ich Abstand, weil ich gesund bleiben will.
Denken Sie manchmal daran, dass Ihr Herz den Geist aufgeben könnte?
Schwab: Dank der heutigen Medizin habe ich viel Vertrauen, dass das nicht passiert. Und man kann viel dagegen tun. Unterbewusst hat man trotzdem Angst, das gebe ich zu.
Lange konnten Sie nicht arbeiten. Jetzt sind Sie Resilienz-Trainerin. Was können andere denn von Ihnen lernen?
Schwab: Seminare und Vorträge halten, anderen Menschen etwas beibringen, das war schon immer mein Traum. Und meine Krankheit hat mir diesen Traum sozusagen erfüllt. Ich weiß nun, wie man mit Rückschlägen und herausfordernden Situationen umgeht, und bringe es anderen Menschen bei.
Sie waren bei der Miss-Germany-Wahl 2024 dabei. Haben Sie teilgenommen, um Ihre Geschichte publik zu machen?
Schwab: Ich wollte die Organspende in die Mitte der Gesellschaft rücken. Das wird zwar viel in Krankenhäusern thematisiert oder bei Ärzten, sonst aber selten. Ich denke, ich konnte viele Menschen erreichen und sie vielleicht dazu bewegen, sich damit zu beschäftigen.
Haben Sie das denn gemacht, bevor Sie selbst dringend ein Organ brauchten?
Schwab: Meine Mama hat mich, als ich 16 wurde, gefragt, ob ich spenden wollen würde, und mir einen Organspendeausweis in die Hand gedrückt. Seitdem trage ich den bei mir. Aber noch viel wichtiger als das Ding in der Tasche ist, sich darüber Gedanken zu machen, eine Entscheidung zu fällen und diese den Angehörigen mitzuteilen. Denn im Fall der Fälle, wenn man als Spender infrage kommt, aber kein Organspendeausweis auffindbar ist, müssen die Angehörigen entscheiden. Wohl jeder von uns wäre dankbar, wenn er dringend ein Organ benötigt, dass er auch die Chance bekommt, eines zu erhalten. Ich bin es zumindest, jeden Tag aufs Neue.
Tamaras Reise
In der Videoreihe erzählt die 31-Jährige vom Leben mit neuem Herzen.