Simon Schwarz : „Ich wollte etwas machen, womit ich richtig auf die Schnauze fallen kann“
Schauspieler Simon Schwarz, 53, ist vielen Zuschauern vor allem durch die „Eberhofer“-Krimis bekannt. Doch neben seiner Kino- und TV-Karriere feiert Schwarz auch Erfolge im Kabarett, er spielte den Teufel im „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen und er hat einen eigenen Podcast. Im Interview mit der Apotheken Umschau spricht Simon Schwarz über seine späte ADHS-Diagnose, woran er regelmäßig im Alltag verzweifelt und warum er derzeit nach Möglichkeiten sucht, um im Job zu scheitern.
Sozial nicht integrationsfähig und nicht beschulbar – so lautete ein Urteil der Schulbehörde über Sie. Sie haben sechs Mal die Schule gewechselt, gingen mit 17 ohne Abschluss ab. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Kindheit?
Simon Schwarz: Ich hatte als Kind Schwierigkeiten, meine Emotionen zu kontrollieren, bin schnell ausgeflippt. Mein großer Bruder hatte einen Freund, der war Jugendboxmeister. Ich habe den mal in meiner Wut so verdroschen, dass er auf dem Boden lag und winselte. Obendrein hatte ich kindliche Epilepsie, die sich zum Glück ausgewachsen hat. Ich wurde schon im Kindergarten in die Kategorie „sozial nicht integrierbar“ gesteckt, aus dieser Ecke kam ich auch nicht mehr raus. Das war schlimm. In einer Grundschule durfte ich ein halbes Jahr in den Pausen nicht im Hof spielen, sondern musste im Sekretariat in der Ecke stehen.
Was hat das mit Ihnen gemacht?
Schwarz: Glücklicherweise haben mich diese Erfahrungen resilienter gemacht. Aber nur aus einem Grund: weil meine Mutter immer an mich geglaubt hat, ihr ganzes Leben lang. Sie hat mir das Gefühl gegeben, dass es nicht an mir liegt, dass ich in der Schule scheitere, sondern am System. Sie sagte mir, ich sei intelligent und nicht dumm, wie die anderen behaupteten. In der Schule setzte meine Mutter immer alle möglichen Hebel in Bewegung, damit die Strafmaßnahmen nicht zu hart ausfielen. Meine Eltern haben das sehr tapfer mit mir durchgestanden. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.
Wussten Ihre Eltern damals schon von Ihrer ADHS-Diagnose?
Schwarz: Nein. Ich habe selbst erst vor ein paar Jahren erkannt, dass ich ADHS habe. Ich las einen Artikel über ADHS bei Erwachsenen. Und ich habe nur noch geheult. All das, was in meinem Leben bisher schiefgegangen war, hat plötzlich Sinn ergeben. Ich begriff, woran ich scheitere und was der Grund dafür ist. Ich habe dann einen psychologischen Test gemacht und hatte recht schnell eine Diagnose.
Was hat sich durch die Diagnose für Sie verändert?
Schwarz: Das war eine Erleichterung, zu wissen, was mit mir los ist. Aber ich mache jetzt keine Therapie und nehme auch keine Medikamente. Ich habe mal mit jemanden gesprochen, der meinte, Medikamente würden ihm in bestimmten Situationen helfen, um sich besser konzentrieren zu können. Konzentration ist natürlich auch bei mir ein Problem. Ich brauche viel Disziplin. Aber ich habe halt auch einen Beruf gewählt, der ADHS so ein bisschen entgegenkommt. Da ist ja immer viel Abwechslung.
Dieses ungefilterte Wahrnehmen von Emotionen, die Impulsivität, die mit ADHS einhergeht – sind das nicht sogar Stärken als Schauspieler?
Schwarz: Ich glaube jetzt nicht, dass ADHS-Menschen per se kreativer sind. In meinem Gehirn habe ich halt ein bisschen andere Denkstrukturen und chemische Reaktionen. Aber ich versuche inzwischen, die positiven Seiten, die ADHS auch hat, besser zu nutzen. Und das klappt ganz gut.
Woran scheitern Sie?
Schwarz: Im Alltag? An allem, was im Entferntesten mit Bürokratie oder Formularen zu tun hat. Mein großer Sohn hilft mir manchmal, Formulare auszufüllen. Während ich für so etwas Tage brauche und zwischendurch einen Nervenzusammenbruch erleide, erledigt der das schnell mal zwischendurch. Im Job hingegen suche ich aktuell eher nach Möglichkeiten, um zu scheitern, auf die Fresse zu fallen, wieder aufzustehen, Dinge besser zu machen.
Das müssen Sie mir erklären.
Schwarz: Ich kann eine Komödie nach der anderen drehen, weil ich halt mit den „Eberhofer“- Krimis sehr erfolgreich war. Das ist Fluch und Segen. In Deutschland wird man als Schauspieler schnell auf bestimmte Rollen festgelegt. Das geht mir auf die Nerven. Ich kann jetzt natürlich die nächsten Jahre weiter das machen, was ich eh kann und was die Leute sehen wollen, ganz ohne Risiko. Aber das reizt mich nicht. Ich wollte unbedingt etwas machen, womit ich richtig auf die Schnauze fallen kann.
Ihr Kabarett-Programm „Restaurant“?
Schwarz: Richtig. Ein guter Freund, der Kabarettist und Schauspieler Manuel Rubey, hat mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm zusammen ein Kabarett auf die Bühne zu bringen. Er wolle nicht mehr allein durch die Lande tingeln und nach der Vorstellung einsam im Hotel sitzen. Am Anfang war es für Manuel ein Albtraum, mit mir zusammen das Programm zu schreiben. Ich hatte so viele Ideen, habe so viel Input hineingegeben, alles wieder umgeworfen. Das ist halt wahrscheinlich auch so ein ADHS-Ding.
In den meisten Städten, in denen Sie mit Ihrem Programm auftreten, sind die Tickets rasch ausverkauft. Das klingt jetzt nicht nach Scheitern.
Schwarz: Das ist echt Wahnsinn. Manuel Rubey war schon vorher als Kabarettist sehr erfolgreich, er hat Bücher geschrieben und arbeitet wahnsinnig strukturiert. Ich habe mit ihm das erste Mal in meinem Leben einen Menschen an meiner Seite, der mir hilft, meine Ideen und diesen Wahnsinn, den ich da in mir trage, zu kanalisieren.
Lassen Sie uns über einen anderen Freund sprechen: Sebastian Bezzel, der den Franz Eberhofer in den Rita-Falk-Verfilmungen spielt. Mit ihm haben Sie auch ein aktuelles Projekt am Start.
Schwarz: Ja. Wir haben für den Bayerischen Rundfunk die sechste Staffel unserer Reisedoku „Bezzel und Schwarz – Die Grenzgänger“ gedreht und sind mit dem Wohnmobil die größten Flüsse in Bayern entlanggefahren.
Nehmen Sie uns ein bisschen mit hinter die Kulissen.
Schwarz: Wir sind ein kleines Team, das sich schon länger kennt. Während der Dreharbeiten teilten Sebastian und ich uns ein Wohnmobil. Das war schon recht komfortabel. Aber klar, zwischendurch wird das auch mal eng, da muss man sich schon mögen. Mit irgendeinem Kollegen, den ich nicht gut kenne, hätte ich das nicht machen können.
Auf Ihrer Reise durch Bayern haben Sie Menschen getroffen, die in besonderer Weise mit den Flüssen verbunden sind. Was hat Sie besonders beeindruckt?
Schwarz: Ich fand die Renaturierungsprojekte von der Altmühl über den Inn und die Isar spannend. Die Flüsse zu begradigen und in Überschwemmungsgebiete hineinzubauen, das war in der Vergangenheit ein großer Fehler. Jetzt erobern sich die Menschen die Flüsse zurück. In München an der Isar spürt man, wie wichtig der Fluss für die Menschen ist. Diese wilde Flusslandschaft mitten in der Stadt. Das ist ein Ort, an dem man sich erholen kann. Die Auen nehmen das Wasser bei Starkregen auf wie ein Schwamm, speichern es für Trockenperioden und sorgen für Kühlung in der Stadt.
Sie waren auf Ihrer Reise auch mit der Wasserwacht unterwegs.
Schwarz: Ich hatte nicht auf dem Schirm, welch wichtigen Job die Menschen bei der Wasserwacht machen. Die retten Leben in ihrer Freizeit, das ist heldenhaft. Sebastian und ich sind übrigens auch in die eiskalte Isar gesprungen und haben uns von der Wasserwacht retten lassen. Ein bisschen Action wollen die Leute ja schon sehen. Dabei kann ich kaltes Wasser nicht ausstehen.
Ich habe über Sie gelesen, dass Sie Talkshows auch nicht ausstehen können.
Schwarz: Wenn ich als Schauspieler sage „Ich bin nicht so mediengeil“, klingt das ein bisschen bescheuert. Aber ich kann mit Talkshows oder mit Social Media wirklich wenig anfangen, auch privat. Ich höre mir lieber einen Podcast über Geopolitik an oder lese ein Sachbuch. Ich hatte immer Komplexe, weil ich in der Schule gescheitert war. Das muss ich wahrscheinlich kompensieren. Ich habe Unmengen gelesen, weiß noch viel zu wenig und finde sehr vieles interessant.