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München, an einem Sommertag im Juli. Rudi Cerne steht vor dem Eingang seines Hotels und wird von einigen Passanten umringt. Statt Anzug und Krawatte trägt er Jeans und Sneaker. Und statt mit Kriminalhauptkommissaren über ungeklärte Raubüberfälle und grausame Morde zu sprechen, schüttelt er an diesem Montagnachmittag viele Hände und macht Fotos mit Fans. Der Moderator ist nach München gekommen, um sich auf die nächste Livesendung von „Aktenzeichen XY … Ungelöst“ vorzubereiten, die hier in der Nähe gedreht wird. Wir sind zum Interview verabredet. Aber erst mal hat er da noch einen kleinen Sicherheitshinweis …

Herr Cerne, …

Rudi Cerne: Der Reißverschluss an Ihrer Tasche ist offen. Den sollten Sie lieber schließen.

Oh, danke schön! Sie sind wohl immer auf der Hut, wenn es um Alltagskriminalität geht!

Cerne: (lacht) Nein, wirklich nicht. Das ist mir jetzt einfach nur aufgefallen.

Im Ernst: Sie moderieren seit mehr als 20 Jahren die Sendung „Aktenzeichen XY … Ungelöst“. Wird man da nicht sehr sensibel für Verbrechen jeglicher Art?

Cerne: Ich bin von Natur aus ein vorsichtiger Mensch. Das war ich schon immer. Durch die Sendung bin ich einfach nur darin bestätigt worden, was alles passieren kann.

Ja eben! Das sind ja furchtbare Dinge, die Sie da jedes Mal zeigen! Mord, Totschlag, Vergewaltigungen …

Cerne: Das stimmt. Wir behandeln Kapitaldelikte, das heißt also Taten von außerordentlicher Schwere. Es geht bei uns in der Regel nicht um Taschendiebstahl.

Manche Menschen behaupten, Ihre Sendung sei die gruseligste im gesamten deutschen Fernsehen.

Cerne: Das höre ich tatsächlich öfter. Was die Zuschauerinnen und Zuschauer natürlich umtreibt, ist, dass das alles den Tatsachen entspricht. Man kann die Geschichten nicht wie einen fiktionalen Krimi einfach beiseitelegen. Und das Wissen, dass Mörder und Vergewaltiger draußen frei rumlaufen, ist verständlicherweise beängstigend.

Trotzdem erfreut sich Ihre Sendung großer Beliebtheit. Um Ihre Quoten dürfte Sie manch anderer Moderator beneiden.

Cerne: Interessanterweise haben wir eine hohe Sehbeteiligung bei jungen Menschen, besonders bei jungen Frauen. True-Crime-Formate sind ja generell gerade sehr beliebt. Ich behaupte ganz selbstbewusst, dass wir da die Vorreiter waren: Ohne unsere Sendung gäbe es diesen Hype nicht.

Was macht diese Formate so populär?

Cerne: Das, was den Leuten einerseits Angst macht, fasziniert sie wahrscheinlich auch: spannende Fälle, die aber gleichzeitig real sind. Der doppelte Grusel beschäftigt die Menschen. Auf der anderen Seite bekommen sie einen Einblick in die Arbeit einer echten Mordkommission. Wann hat man sonst dazu schon die Gelegenheit?

Und in Ihrer Sendung können die Zuschauerinnen und Zuschauer quasi mitmachen. Nach jeder Folge erhält die Polizei etliche neue Hinweise zu den Fällen.

Cerne: Genau. Das unterscheidet uns von anderen Formaten. Wir wollen etwas bewirken! Die Ermittlerinnen und Ermittler kommen ja nicht in unser Studio, weil sie unbedingt mal ins Fernsehen wollen. Bei uns geht es immer darum, Verbrechen aufzudecken.

Wie erfolgreich sind Sie?

Cerne: Fast 40 Prozent aller Fälle, die wir gezeigt haben, konnten aufgeklärt werden. Natürlich ist diese Zahl nicht allein auf Hinweise unserer Sendung zurückzuführen. Manchmal ist aber doch die eine entscheidende Info dabei, die den Stein ins Rollen bringt.

Wir leben in einem der sichersten Länder der Welt. Trotzdem kann ich jedem nur raten, wachsam zu sein und sich immer gut umzuschauen

Würden Sie sagen, Deutschland ist ein sicheres Land?

Cerne: Auf jeden Fall. Wir leben in einem der sichersten Länder der Welt. Trotzdem kann ich jedem nur raten, wachsam zu sein und sich immer gut umzuschauen.

Weil das Böse doch immer und überall lauert?

Cerne: Nein, weil es wichtig ist, kritische Situationen rechtzeitig zu erkennen und Konflikte mit klugem Menschenverstand zu deeskalieren. Wenn ich abends allein unterwegs bin und merke, dass Gefahr im Verzug ist, dann wechsle ich die Straßenseite. Dazu muss ich kein Präventionsexperte sein.

Mal ehrlich: Wie oft hat Sie Ihre Sendung schon um den Schlaf gebracht?

Cerne: Eigentlich noch nie. Nur insofern, als ich eine ordentliche Portion Adrenalin nach so einer Livesendung im Blut habe, die mich wach hält. Aber es gibt in der Tat Geschichten, die mit menschlichem Vorstellungsvermögen nicht mehr nachvollziehbar sind. Und manche Dinge fassen mich natürlich mehr an als andere.

Was geht Ihnen besonders nahe?

Cerne: Alle Fälle, bei denen Kinder Opfer von Gewalt sind. Oder Verbrechen, bei denen du denkst: Mein Gott, da war einfach jemand zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Der Fall Kirsten Sahling ist so einer: eine 39-jährige Psychologin, die draußen im Wald beim Sport erstochen wurde. Der Täter konnte nie gefasst werden. Der Fall beschäftigt mich bis heute.

Über manche Fälle denke ich noch eine ganze Weile nach. Es ist aber nicht so, dass sie mich nächtelang umtreiben würden

Wie gelingt es Ihnen, sich da abzugrenzen?

Cerne: Das ist nicht immer einfach. Der Kopf ist ja keine Festplatte, die man einfach neu formatieren kann. Über manche Fälle denke ich noch eine ganze Weile nach. Es ist aber nicht so, dass sie mich nächtelang umtreiben würden. Ich komme gut klar damit.

Sind Sie eigentlich selbst schon einmal Opfer von Kriminalität geworden?

Cerne: Ich bin tatsächlich vor einigen Jahren mal auf eine Internetseite reingefallen und habe dort Designermöbel bestellt. Das Geld war gleich runter von der Kreditkarte, aber die Ware kam nie an. Zum Glück habe ich es über die Kreditkartenfirma wiederbekommen. Das ist noch mal gut ausgegangen.

Auf dem Rückflug vom Weihnachtsschaulaufen glaubte ein Passagier, in mir den RAF-Terroristen Christian Klar erkannt zu haben

Auf Wikipedia ist zu lesen, dass Sie selbst einmal von der Polizei verhaftet worden sind.

Cerne: Das war 1978, während meiner Eiskunstlauf-Karriere. Auf dem Rückflug vom Weihnachtsschaulaufen glaubte ein Passagier, in mir den RAF-Terroristen Christian Klar erkannt zu haben. Es gab wohl ein Fahndungsfoto, das mir ähnlich sah.

Das klingt ja unglaublich!

Cerne: Ich bin aus dem Flieger raus und habe gar nicht gemerkt, dass alles um mich herum abgesperrt war. Plötzlich stand ein Polizist mit vorgehaltener Waffe vor mir und ich wurde von Beamten mit Maschinenpistolen abgeführt. Gott sei Dank hat sich die Verwechslung schnell aufgeklärt. Der Polizist, der mich festgenommen hatte, hat mir später noch geholfen, meinen Koffer vom Gepäckband zu holen.

Man muss sagen, dass Sie über die Jahre einen umfassenden Einblick in die Polizeiarbeit bekommen haben – aus sämtlichen Perspektiven.

Cerne: (lacht) Stimmt. Und nicht zu vergessen, dass ich in der ZDF-Serie „Die Rosenheim-Cops“ vor einigen Jahren die Rolle eines Mörders spielen durfte.

Ernsthaft?

Cerne: Ja! Der Produzent kam auf mich zu und meinte: „Wir haben vor, Sie als Täter zu besetzen.“ Zuerst dachte ich: Das kommt nicht infrage! Aber nach einiger Bedenkzeit und vielen Gesprächen mit meiner Frau habe ich gesagt: „Was soll’s? Ich mach’s!“

Und? Wie ist es gelaufen?

Cerne: Ich habe es ganz gut hingekriegt. Der Regisseur und der Produzent waren zufrieden. Der Auftritt war eine Herausforderung für mich, ein völliger Kontrast zu meiner sonstigen Arbeit. Aber man muss auch mal gegen den Strich bürsten. Das Böse im Menschen hat mich kurzfristig fasziniert – aber nur als Schauspieler.