Cordula Stratmann: „Humor brauchen wir so dringend wie Wasser“
Komikerin und Autorin Cordula Stratmann, 60, wurde durch TV-Sendungen wie „Schillerstraße“ und „Zimmer frei“ bekannt. Sie arbeitet außerdem als Familientherapeutin. Für ihr neues Buch „Wo war ich stehengeblieben?“ (dtv) hat sie ernsthafte und absurde Beobachtungen gesammelt. Im Interview spricht Cordula Stratmann über die Kopfschmerzen von Hummeln, ihren Hang zur Hypochondrie und wie sie die Auswirkungen der Corona-Pandemie erlebt.
Frau Stratmann, wo zwickt’s heute?
Cordula Stratmann: Derzeit ist es allergisches Geschehen.
Oh, hart. Was hilft?
Stratmann: Antihistamine. Und hoffen, dass die ausreichen, damit ich nicht in so eine jahrelange Desensibilisierung oder ähnlichen Aufwand gehen muss. Das würden Hypochonder natürlich sofort tun. Ich nehme an, Sie spielen auf mein früheres Lieblingsthema an …
Richtig. Ihr Buch über Hypochondrie …
Stratmann: … und wie viele zusätzliche Fragen Hypochonder haben: Warum wird mein Auge milchig? Wobei – das fände ich auch interessant. Ein milchiges Auge sollte sich ein Arzt angucken. Aber ich muss Sie enttäuschen: Ich hab mich vom Hypochondersein abgewendet.
Warum?
Stratmann: Als ich mich damit beschäftigt habe, wurde mir klar, was das für ein Aufwand ist: Man muss sich ständig belauern, alles bei Google eingeben. Das ist mir zu viel Selbstbeobachtung. Es ist wahnsinnig langweilig, sich selbst dauernd im Fokus zu haben. Für eine Hypochonderin bin ich zu faul.
Aber der Hang dazu war da?
Stratmann: Ja. Ich hatte das als nicht ganz ernst gemeinten Selbsttest aufgebaut, konnte all meine Auffälligkeiten aufschreiben und bekam Antworten. Das war prima und hat am Ende ein paar Sorgen für immer genommen.
Ihrem neuen Buch stellen Sie scherzhaft eine Triggerwarnung voran. Warum?
Stratmann: Na, das muss man doch heute. Es sind zunehmend zarte Seelen unterwegs, denen man sagen muss: Vorsicht vor Zugluft, bevor du die nächste Seite umblätterst! Wenn ich den Leuten helfen kann, damit sie sich sicher fühlen – gerne!
Wo kommen die Verunsicherungen her?
Stratmann: Ich habe mir die nicht ausgedacht. Ich komme aus einer Zeit, in der die Welt noch nicht so überfordernd unübersichtlich auf uns eingestürmt ist. Die Unübersichtlichkeit der Welt kann auch beängstigend sein. Leider forschen viele Leute nicht neugierig nach, sondern ziehen sich zurück.
Sie denken dafür in einem Kapitel neugierig über Gehirne von Hummeln nach.
Stratmann: Drängt sich Ihnen nicht die Frage auf, wie das MRT eines Hummel-Kopfes aussieht, mit dem sie dauernd vor die Fensterscheibe knallt? Ein paar Seiten später mache ich mir genauso ernsthaft Gedanken, wie Verantwortung sich heute gestaltet oder Würde. So kreuz und quer geht es auch in meinem Kopf zu: Heiterkeit und Nachdenklichkeit, Ernsthaftigkeit und Albernheit.
Hätten Sie gedacht, dass Sie irgendwann dasitzen und von Hummel bis Würde alles aufschreiben würden?
Stratmann: Ich mache das mein Leben lang so: Wahrnehmen, Nachdenken, Notizen machen, Weiterdenken, Fragen stellen, Kopf schütteln, Weiterdenken, Lachen, Verzweifeln, Lösungen suchen, manche finden.
Kürzer als das Hummel-Kapitel ist nur das Kapitel „Teenager“, bestehend aus zwei Sätzen. Da kennen Sie sich gut aus, Ihr Sohn ist fast volljährig. Was war die schönste Lebensphase mit ihm?
Stratmann: Die von null bis heute. Diese Beziehung fordert dich je nach Alter und Entwicklung anders heraus, und du hast immer denselben Menschen vor dir und bist immer derselbe Mensch. Ich finde es toll zu sehen, wie er sich jetzt darauf vorbereitet, rauszugehen in die Welt und seinen Platz dort zu finden.
Als Ihr Sohn geboren wurde, haben Sie gesagt: Fernsehen und Baby, das geht nicht gleichzeitig.
Stratmann: Ich wollte nicht so zerrissen sein. Aber ich konnte nach einem halben Jahr Auszeit bei „Schillerstraße“ weiterarbeiten – mit Kind und familienfreundlichen Zeiten. Ich habe das große Glück, dass das Schreiben familienkompatibel war und ist. Ich bin für alles dankbar, und ich bin mir auch bewusst, was ich dafür getan habe: Es war viel Gelegenheiten-Wahrnehmen, Sichreflektieren und Seine-Plätze-suchen-und-Finden. Niemand, der ein zufriedenes Leben führt, ist deswegen zufrieden, weil er zu Hause sitzt und das Geile vom Leben einsammelt. Das Leben ist immer auch er-LEBT.
Sie haben nach der Babypause zudem wieder Ihren erlernten Beruf aufgenommen: systemische Familientherapeutin. War das ein Zurückgehen?
Stratmann: Für mich geht’s im Leben nie zurück. Man geht immer weiter. Wohin soll man denn zurückgehen? Das gibt es nicht mehr. Für mich war es ein konsequenter Schritt: Ich habe in meinem Komikerinnen-Dasein immer auch meine andere Arbeit vermisst, mich danach gesehnt, mit Menschen in einem geschützten Raum zu arbeiten. Die Öffentlichkeit ist ein gewaltvoller Ort.
Was ist daran gewaltvoll?
Stratmann: Die Öffentlichkeit war für mich noch nie ein Wohlfühlort. Es gibt Prominente, die fühlen sich da pudelwohl, vermutlich ist das Wesenssache. Ich brauche außerhalb eines Saals oder eines Senders, wenn ich Brötchen kaufe, keinen Applaus.
In der Therapiearbeit fokussieren Sie auf die Kraft des Menschen – wie geht das?
Stratmann: Ich muss eine Entscheidung treffen, meinen vermeintlichen Selbstschutz angucken: Gibt es da draußen echt diesen einen Gegner, der mir das Leben schwer macht? Ist es die ganze Welt? Die Verweigerung von Eigenverantwortung macht Menschen bitter. Sie kriegen die böse Welt nicht verändert.
Und dann?
Stratmann: Menschen brauchen einander, und wir machen einen Fehler, wenn wir ständig Gegnerschaften aufbauen. Es steht keiner morgens auf und denkt, ach, heute mache ich der Stratmann mal das Leben schwer. So wichtig sollten wir uns doch auch nicht nehmen, oder?
Inwiefern nehmen Sie in Ihrer Praxis die Auswirkungen der Pandemie wahr?
Stratmann: An manifestierten Störungen, Ratlosigkeiten. Kinder und Jugendliche haben drei Jahre in erwachsene Gesichter geguckt und sahen Selbstmitleid. Das nehme ich der Erwachsenenwelt sehr übel. Ja, es war für alle eine Herausforderung, das will ich nicht schmälern. Viele haben berufliche, finanzielle Grenzerfahrungen gemacht. Aber was wir uns nie leisten durften, ist, die Kinder so aus dem Blick zu verlieren und ihnen jetzt eine neue PISA-Studie vorzuwerfen.
Sie sind wütend.
Stratmann: Ja, es ist absurd: Kinder und Jugendliche sollen uns permanent keinen Stress machen. Doch wenn sie uns brauchen, gucken wir doof. Das geht nicht. Jeder, der sich beruflich oder privat für Kinder entschieden hat, muss wissen: Ich übernehme eine Mammutaufgabe. In der Pandemie war plötzlich ganz viel Geld da, um zu retten. Wir lernen also: Geldausgeben ist eine Entscheidung. Warum sind dann Alleinerziehende so belastet, warum steigt Kinderarmut in unserem reichen Deutschland?
Da schwindet die Heiterkeit …
Stratmann: Stimmt, da fällt mir kein Witz zu ein. Dabei meine ich es mit dem Humor wirklich ernst: Wir brauchen den so dringend wie Wasser. Ohne Heiterkeit kriegen wir dieses Leben nicht gelebt. Und ohne Großzügigkeit auch nicht.
Ist die Welt gerade unlustig?
Stratmann: Sieht oft so aus, aber das dürfen wir nicht zulassen. Warum sollte ich weiterleben wollen in einer Welt, in der nichts mehr lustig ist? Wenn wir alle denken: So schlimm wie heute war es noch nie – mit dieser Haltung möchte ich mich in den Keller legen und sterben. Es lohnt schon, sich umzugucken: Da sind meine Freundin, mein Bruder, meine Kollegin – wer auch immer. All die guten Leute, die gestern auch schon da waren. Und dann hochrechnen: Von uns gibt’s noch mehr! Das kann doch erfreuen.