Logo der Apotheken Umschau

Senioren Ratgeber: Als "missgünstig" verachtet Ludwig van Beethoven seine von Ihnen gespielte Schwägerin im TV-Film "Louis van Beethoven". Zu Recht?

Johanna Gastdorf: Um eine Rolle gut zu spielen, suche ich mir immer den Punkt: Wo ist die Wunde, wo ist der Schmerz, der sie dazu bringt, so böse zu werden? Ich denke, dass sie Ludwig im Grunde total bewunderte und verehrte. Wenn man dann so deutlich abgelehnt wird – und Beethoven war ja ein notorischer Grantler –, ist das natürlich umso schlimmer. Eigentlich war ihr Charakter nicht sehr kompliziert zu erzählen, die Lage war ziemlich eindeutig.

Ist es reizvoller, eine historische Figur zu spielen?

Nicht unbedingt. Einer historischen Figur gerecht zu werden, ist eine große Verantwortung. Dann wühle ich mich so richtig rein in ihre Geschichte. Ich bin eigentlich eine faule Socke, aber da bleibe ich dran wie ein kleiner Terrier. Ohne reales Vorbild bin ich natürlich freier in meinen Gestaltungsmöglichkeiten.

Die Beethovens waren eine eher schwierige, streitbare Familie. Was bedeutet Familie für Sie?

Für unseren Sohn und uns ist Familie extrem wichtig. Ich komme aus einer Großfamilie, als jüngstes von fünf Kindern – da ist Familie erst einmal alles. Mein Vater ist mit 39 Jahren gestorben. Meine Mutter musste sich dann alleine kümmern. Sie ließ mir große Freiheiten, dafür hat jedes meiner Geschwister ein bisschen an mir herumerzogen. Das Entscheidende für meinen Lebensweg war tatsächlich, die familiäre Sicherheit zu verlassen und nach Hannover an die Schauspielschule zu gehen. Um der Familie dann wieder als gestandene Frau zu begegnen.

Was haben Ihre Eltern beruflich gemacht?

Mein Vater war als Jurist bei den Hamburgischen Electricitäts-Werken in leitender Position. Mit der Witwenrente konnte meine Mutter mit den fünf Kindern zu Hause bleiben. Sie war gelernte Schneidermeisterin. Sie war immer auf meiner Seite, tolerant und offen.

Ihre Filmografie ist sehr umfangreich: Allein 2018 spielten Sie in zehn Produktionen mit.

Der Zeitaufwand hielt sich immer im Rahmen. Meine Hauptrollen lassen sich an einer Hand abzählen.

Bild

Johanna Gastdorf

*1959 in Hamburg

Schauspielerin: Begann 1982 am Staatstheater Hannover, wechselte nach München und Bochum, bis ihre Fernsehengagements überwogen.

Privatfrau: Mit Ehemann und Schauspielkollege Jan-Gregor Kremp hat sie Sohn Leo. Das Paar lebt in Leverkusen.

"Königin der Nebenrollen" ist auch ein schöner Ehrentitel.

Super. Es gibt in meinem Leben so viel, was ich außer der Schauspielerei mache. Seit ich ein Kind war, habe ich mich nicht mehr gelangweilt. Es ist wunderbar so.

Und Sie genießen die größtmögliche Abwechslung, je zahlreicher die Filmprojekte sind!?

Auf jeden Fall. Und auch in die Vorbereitung kleiner Rollen stecke ich sehr viel Aufwand und Zeit, bis ich mit der Figur an dem Punkt bin, wo ich sage: Jetzt kann ich mit ihr antreten.

Wenn Sie vorm Einschlafen noch mal durchs Fernsehprogramm schalten, stoßen Sie da manchmal überraschend auf sich selber?

Das mache ich lieber gar nicht erst. Aber beim Einkaufen werde ich von Bekannten oft mit etwas vorwurfsvollem Unterton angesprochen: "Sie waren schon wieder im Fernsehen!" Das kann ich auch gut verstehen: Meine 2019 gedrehten Filme wurden Anfang diesen Jahres fast alle innerhalb von vier Wochen gesendet.

Sie haben mal gesagt: "Ich wurde immer nur für Charakterrollen angefragt, nie für die Angeschwärmte" …

Letztlich hat es mir genutzt, dass ich nicht als Schönheit angetreten bin. Da kann einem viel Blödes passieren als junge Frau in einer sehr männerdominierten Welt. Ich war beileibe kein Mauerblümchen, ich hatte alles, was zu einem aufregenden Schauspielerleben gehört. Aber ich war nicht definiert über mein Aussehen. So war es auch stets einfach zu sagen: Hier wird nichts gespritzt und nichts geliftet. Mit aufgespritzten Lippen kommen Sie in einem historischen Film auch nicht weit.

Auf welche Erfahrungen hätten Sie in Ihrem Leben nur zu gern verzichtet?

Mit 61 Jahren weiß man: Die Lehren, die man gerade aus Niederlagen zieht, sind unbezahlbar. Die schlimmsten Erfahrungen waren auch die lehrreichsten. Leider.

Wie sah die Straße Ihrer Kindheit aus?

Herrlich! Darauf sind wir mit dem Roller und dem Gokart herumgeeiert, haben in Baugruben gespielt. Wir wohnten gleich gegenüber vom Studio Hamburg. Vom Garten aus konnte ich die kostümierten Schauspieler sehen, wenn sie in den Drehpausen vor den Studiotüren standen und rauchten. Wenn "Disco" mit Ilja Richter aufgezeichnet wurde, bekamen wir eine abgestandene Cola dafür, dass wir im Publikum saßen. Einmal ist mir Inge Meysel auf dem Gelände über den Weg gelaufen. Und Cliff Richard stand mal bei uns im Garten und wurde vor unserer blauen Hauswand fotografiert. Dass ich diese Welt so faszinierend fand, trug bestimmt nicht unerheblich zu meiner Berufswahl bei.

Mit Ihrem Mann engagieren Sie sich für Hospize. Was bedeutet Ihnen diese ehrenamtliche Arbeit?

Ich kann nur jedem empfehlen, einen dieser besonderen Orte zu besuchen. Was dort an Empathie und Hilfe geleistet wird, erlebt man leider in der Gesellschaft viel zu selten. Das ist unglaublich bereichernd.

Ist es nicht auch belastend?

Man lernt dort, das Leben wertzuschätzen. Aus Zeit etwas zu machen. Die Mitarbeiter im Kinderhospiz sagen: Ein Kind, das 24 Stunden bei uns war, hat 24 Stunden bei uns gelebt. Man sagt nicht: Oh Gott, dieses Kind stirbt! Man sagt: Dieses Kind lebt hier bei uns, bis es stirbt. Natürlich ist das hart. Aber lieber mit offenem Visier drauflos und sich umarmen, man bekommt so unglaublich viel zurück von den Todkranken.

Der Begriff "Glück" wird oft überstrapaziert. Haben Sie für sich eine Definition gefunden?

Ich bin mit meinem Zweckpessimismus immer ganz gut gefahren. Aber ich freue mich wie Bolle, wenn ich spüre: Hey, du bist gerade eine von den Glücklichen. Es geht immer auch runter, aber eben auch wieder hoch. Wenn man schon einmal ordentlich auf die Nase gekriegt hat, weiß man es zu schätzen, wenn man das Glück spürt. Aber es zu jagen halte ich für unklug.

Worüber ärgern Sie sich?

Über mangelnde Empathie, Egoismus, vor allem Unfreundlichkeit. Ich sammle in einem Büchlein schlaue Sinnsprüche, einer der schlauesten ist: "Sei freundlich! Jeder, den du triffst, kämpft einen großen Kampf." Genau so ist es.