Senioren Ratgeber

Senioren Ratgeber: Sie beklagen eine "Welt der Geschwätzigkeit" – sieht man Sie darum nie in Talkshows?
Thekla Carola Wied: Ach, da sitzen doch immer dieselben Leute, die den Drang haben, sich zu äußern. Ich war zu meinem 50. Geburtstag bei Biolek und zu meinem 60. bei Beckmann. Schweigen und Stille müssen in dieser geschwätzigen Welt auch ihren Platz haben.

Sie sagen aber auch, dass Sie gerne mit Menschen ins Gespräch kommen.
Oh, ich bin sehr neugierig, das ist schon beruflich bedingt. Ich unterhalte mich, wo und wann immer es geht, etwa auf einer Zugfahrt. Aber da suche ich mir meine Gesprächspartner selber aus und muss mich nicht öffentlich darstellen.

Sie sollen auch eine große Briefeschreiberin sein – ganz klassisch mit Füller?
Nein, ich schreibe sehr gerne mit bestimmten Filzschreibern. Interessant ist: Die meisten Menschen sind es gar nicht mehr gewohnt, Briefe zu bekommen. Aber wer einen Brief bekommt, traut sich dann auch nicht, mit einer SMS zu antworten, sondern schreibt selbst ein paar Zeilen.

Ihr Mann war bei einer Ihrer Lesungen im Publikum, Sie haben sich über Liebesbriefe angenähert ...
Zwei völlig fremde Menschen haben sich über Wochen Briefe geschrieben, und wir haben uns so sehr gut kennengelernt. Natürlich haben wir zwischendurch auch telefoniert. Nach vier Wochen haben wir dann am Telefon aufs "Du" angestoßen, nach sechs Wochen besuchte er mich.

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Und Sie schreiben sich heute noch Reisezettel. Was ist das?
Die sind in der Handtasche oder im Koffer versteckt, und darauf stehen gute Ratschläge und was mein Mann mir alles wünscht für die Reise und den Aufenthalt. Ohne Reisezettelchen geht es nicht.

Thekla Carola Wied

  • geboren am 5. Februar 1944 in Breslau als Thekla Wiedmann, aufgewachsen in Berlin
  • Schauspielstudium an der ­Folkwang-Hochschule in Essen.
  • Viele Bühnen- und TV-Rollen, darunter die Serie "Ich heirate eine Familie". 
  • 1992 heiratete sie Ex-Politiker und Ex-Energiemanager Hannes Rieckhof. Das Paar lebt in München.   

Sie haben kein Smartphone, keine E-Mail-Adresse, keinen Computer. Warum?
Die Elektronik frisst viel Zeit, die wir anders verbringen wollen. Wir schauen noch im Brockhaus nach, das ist eine andere Intensität. Ich will auch nicht pausenlos erreichbar sein. Wenn ich zu einem ersten Drehtag komme, haben die Kollegen schon alles über mich gegoogelt. Aber ich möchte die Menschen entdecken und nicht schon alles wissen, bevor ich sie treffe.

Sie sind im Nachkriegsberlin aufgewachsen. Wie sah die Straße Ihrer Kindheit aus?
Kaputt. Die Schwester meines Vaters lebte in einer ausgebombten, winzigen Wohnung in Haselhorst, einem Ortsteil von Spandau. Da haben wir uns einfach dazubegeben – so waren wir zu sechst. An dieser Wohnungstür würde ich wahnsinnig gerne klingeln und schauen, wie es da heute aussieht. Wir hatten einen Schulweg von zwei Stunden, mit der S-Bahn und zu Fuß.

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Gab es keine Schule in der Nähe?
Doch, schon. Aber mein Vater wollte unbedingt, dass meine beiden Schwestern und ich ein humanistisches Gymnasium besuchen.

Immerhin hat er Sie aufs Gymnasium geschickt. Aber Sie hatten auch Probleme mit Ihrem Vater …
Wir hatten eine sehr karge Kindheit. Mein Vater war nach dem Krieg Katechet und Lateinnachhilfelehrer. Er war eisern und streng. Jahrgang 1891, eine verlorene Existenz zwischen zwei Weltkriegen, eine tragische Figur. Als Student wurde er eingezogen, als junger Soldat verwundet. Sein Studium konnte er nicht abschließen. Aber als Kind verstehst du das nicht. Als ich dann auf der Bühne stand, haben wir unseren Frieden miteinander gemacht.

Wie reagierte er, als Sie ihm ­eröffneten, Schauspielerin werden zu wollen?
Er prophezeite, ich würde im Zirkus die Pferdeäpfel aufsammeln. Das hat mich beleidigt. Und angespornt!

Wann merkten Sie zum ersten Mal, dass es Sie zur Bühne zog?
Beim Krippenspiel. Ich wollte unbedingt den Josef spielen – ich weiß auch nicht, wieso (lacht). Ich musste mir meine eigenen Fantasiewelten bauen, um der Kargheit zu entfliehen. Hinzu kam ja noch, dass unsere Mutter schwer krank war.

Filmfamilien
Mit TV-Ehemann Peter Weck bekam sie als geschiedene Mutter mit drei ­Kindern in "Ich heirate eine Familie" noch ein Kind. An Weihnachten mischte sie die "Familie Bundschuh" im ZDF als Großmutter auf.

War Ihnen damals bei "Ich ­heirate eine Familie" bewusst, dass Sie mit dem Thema Patchwork-Familie Neuland betraten?
Nein, das war uns nicht bewusst. Es war ein großartiges Drehbuch, es waren wunderbare Charaktere, bestes Lustspiel. Wir hatten gehofft, dass es ankommt, aber nie geahnt, dass es ein derartiger Erfolg werden würde. Die Kehrseite: Ich wurde nur noch darauf angesprochen, auch nach vielen anderen interessanten Produk­tionen. Das störte mich anfangs. Aber ich habe längst meinen Frieden damit geschlossen.

Sie haben öfter kritisiert, dass es für Ihre Generation zu wenig gute Rollen im Fernsehen gibt.
Weil die Sender junge Themen wollen, junge Schauspieler für ein junges Publikum. Aber das schaltet ARD und ZDF doch kaum noch ein! Wenn ich junge Leute frage, "Habt ihr den Film gesehen gestern Abend?", antworten sie entrüstet, "Wir schauen kein Fernsehen, wir schauen Youtube oder Netflix."

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Ältere werden auch im Alltag schlicht übersehen, beklagen Sie.  
Die Wahrnehmung für Ältere lässt nach, ja. Ich werde immer mehr angerempelt, mein Mann auch. Wobei: Er lässt es manchmal drauf ankommen und weicht nicht aus, wenn ihm Menschen mit Stöpseln in den Ohren entgegenkommen, die nur Augen für ihr Handy haben. Warum müssen wir Alten für diese Menschen mitschauen?

Sie sind weiter in Ihrem Beruf aktiv, Ihr Mann ist im Ruhestand.
Kommt es da zu Konflikten?

Mein Mann liebt mich, und er liebt auch meinen Beruf. Er wartet nicht den ganzen Tag, dass ich nach Hause komme: Er studiert Philosophie und Geschichte, begleitet mich zu Enga­ge­ments oder besucht mich ein paar ­Tage am Drehort und verbringt dort viel Zeit in Museen.

Wie halten Sie sich fit?
Mein Mann und ich gehen jeden Tag ein bis zwei Stunden zügig spazieren, je nach Wetter. Im Urlaub wandern wir in den Bergen, am liebsten in Südtirol und Österreich.

Denken Sie, dass nach dem Leben noch etwas kommt?
Was im Leben war, ist für mich das Bedeutsame. Mein Mann glaubt dagegen, da beginnt noch mal etwas, von dem wir nichts wissen. Die Fantasie habe ich nicht.

Beneiden Sie Ihren Mann dafür?
Ja, ich finde das schön, tröstlich. Wir sind in fast allem einer Meinung, aber wer weiß, im Jenseits werde ich es ja dann mitbekommen.