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Es gibt Sätze in Schwangerschaftsratgebern, die sollten verboten werden. Dieser zum Beispiel: "In Schwangerschaftswoche 22 spüren die meisten Frauen ihr Baby kräftig strampeln." Verdammt. Ich gehöre nicht zu den meisten.  Nach 23 Wochen und 2 Tagen guter Hoffnung spüre ich nichts. Kein Flattern, kein Kitzeln, kein Blubbern. Und nein, es streichelt auch niemand sanft und zart von innen an meiner Bauchwand herum. Dämliches Ratgeberbuch. Bin beunruhigt. Mal wieder.

Vorderwandplazenta? Klingt logisch!

"Alles ganz normal", hatte mir meine Hebamme bereits bei meiner letzten Notfall-Konsultation erklärt. Damals, zum Schwangerschaftszeitpunkt 19+5 wartete ich bereits seit etwa zwei Wochen auf ein Zeichen aus meinem Bauchinneren und hatte wirklich Grund zur Annahme, dass der Zustand meines Babys sehr kritisch war. Hatte im Internet doch irgendein unsensibler Medien-Gynäkologe verlauten lassen, dass sich vitale Kinder häufig und oft bewegen, während kranke Babys auf Sparflamme im Mutterleib vor sich hin dösen. Meine Hebamme setzte ihr andächtiges Hebammen-Lächeln auf:  "Du hast eben eine Vorderwandplazenta", sagte sie und tippte auf ein weiß schimmerndes Etwas auf dem Ultraschallbild  in meinem Mutterpass herum.   Vorderwandplazenta hörte sich für mein Gefühl sehr dramatisch an.  "Gar nicht schlimm", erläuterte mir die erfahrene Fachfrau, während sie mit einem etwas unappetitlich aussehenden Plüschmutterkuchen vor meiner Nase wedelte, um mir die Sachlage auch optisch zu verdeutlichen. "Deine Plazenta liegt zwischen deinem Baby und der Bauchwand. Die Tritte deines Kleinen werden abgepuffert. Das ist alles." Für's erste war ich beruhigt.

Neidisch auf einen Blubb

Dann traf ich meine Arbeitskollegin auf dem Heimweg in der S-Bahn. Ronja, zwei Wochen später ausgezählt als ich und im Gegensatz zu mir Naturtalent-Schwangere.

"Gestern Abend hat es bei mir Blubb gemacht", teilte sie mir mit. "Blubb?" "Jawohl, das Baby hat sich deutlich bewegt." "So?", lugte ich misstrauisch über meine Brillengläser. "Wie weit warst du doch gleich? Woche 17?"  Ich merkte, wie der böse Stachel des Neides sich langsam in mein überempfindliches Mutterherz bohrte. Ronja setze noch einen drauf. "Also, wenn ich es mir recht überlege, spüre ich es sogar schon seit zwei Wochen", sagte sie grinsend und streichelte  mit seligem Schwangerenlächeln auf ihrem T-Shirt herum.  "Und du?" "Ich hab ne Vorderwandplazenta", murmelte ich böse vor mich hin.  "Oh", sagte Ronja mitleidig.  "Ist das gefährlich?" Ich schüttelte den Kopf. Dann stieg ich aus. Drei Stationen vor meiner Zielhaltestelle.

"Bei Ronja hat's Blubb gemacht", schluchzte ich, als mein Liebster mir die Türe öffnete. "Blubb?" "Ihr Baby hat sich bewegt", erklärte ich  weiter mit zittriger Unterlippe. "Na und?", fragte Felix, völlig verständnislos dreinschauend. "Hallo? Die ist zwei Wochen später ausgezählt als ich", heulte ich, nunmehr wütend, dass ihm der Ernst der Situation mal wieder nicht bewusst war. "Ruh dich mal aus, Spatzl", sagte Felix. "Du hattest sicher einen sehr anstrengenden Tag."  Dann schloss er leise die Türe hinter seinem Arbeitszimmer. Ich trank ein Glas Cola, legte mich flach auf den Boden und atmete tief ein und aus. So zumindest hatte MandymausmitKrümelcheninside – Leidensgenossin aus einem Internetforum – ihr  Faulpelz-Baby zum Blubbern animiert.

Kontaktscheues Kind?

Ich nahm meinen Schwangerschaftsratgeber zu Hand und suchte unter Stichwort Kindsbewegungen: "Schon jetzt lässt das Bewegungsmuster Ihres Babys Rückschlüsse auf sein späteres Temperament zu", stand da auf Seite 52.

Na, Dankeschön! Ich kriege ein unzuverlässiges Kind. Es meldet sich ja jetzt schon nicht bei mir. Vermutlich werde ich mir alle Jahre wieder am Neujahrsabend einreden, dass das überlastete Handynetz die  Happy-New-Year-Nachricht meines Sohnes – bin mir ja sicher, dass es ein Junge wird – gefressen hat. Er wird mit meiner bösen Schwiegertochter in den Urlaub fahren und mir nie eine Karte schreiben. Und vermutlich wird er nächtelang mit seinen  unzuverlässigen Hallodri-Freunden um die Häuser ziehen, während ich hinter ihm her telefoniere. Wirklich. Ich bin untröstlich.

Ein paar Tage nach meiner traumatischen Begegnung mit Ronja war ich wieder einigermaßen hergestellt. Auch die Pränataldiagnostikerin, die den Feinultraschall durchführte, hatte mich beruhigen können. "Alles ganz normal", hatte sie gesagt. "Das mit den Kindsbewegungen ist völlig im Rahmen – vor allem bei einer Vorderwandplazenta. Und: "Lassen Sie es, sich mit anderen Müttern und Kindern zu vergleichen. Das geht auf dem Spielplatz früh genug los."

Ich nahm mir also vor, von jetzt an sämtliche Prahlereien anderer werdender Mütter cool an mir abprallen zu lassen – und mein Baby samt Vorderwandplazenta, Fruchtwassermenge und Oberschenkelknochenlänge mutig zu verteidigen.

Herber Rückschlag im pränatalen Mütterkonkurrenzkampf

Dann traf ich Ronja wieder. "Du glaubst gar nicht, was mir mein Frauenarzt gestern gesagt hat", sagte sie kichernd. "So, was denn?", entgegnete ich schmallippig. Sie grinste. "Ich konnte es ja erst gar nicht glauben, aber er meinte, ich hab auch so ein Vorderwanddingsda." Mir wurde schlecht.  Ronja redete weiter. "Ich hab den Arzt mal gefragt, woran das liegen kann, wenn man sein Kind nicht spürt", erzählte sie weiter. "Er meinte mit einer Vorderwandplazenta muss das gar nichts zu tun haben. Man sucht halt immer nach Erklärungen."

Ich starrte auf den Boden. Ich murmelte etwas von "individuell, dickes Bauchfell, Kindslage und Fruchtwassermenge". In Wirklichkeit war ich am Boden zerstört. Ronja merkte nichts. Sie  spazierte freudestrahlend weiter neben mir her und fragte ganz nebenbei, ob wir eigentlich auch schon ein Kinderbett und die Wickelkommode aufgestellt hätten. Die Möbel müssten ja mindestens ein paar Wochen auslüften. Das, sagte sie, habe ihr die  Geburtsvorbereitungskurshebamme bei der Kreißsaalführung erklärt.

"Spatzl, ich verbiete dir den Umgang mit Ronja", redete Felix auf mich ein, während ich am gleichen Abend heulend auf dem Wohnzimmerparkett lag, eine Flasche Cola neben mir. Der Zustand meiner Vorderwandplazenta tangierte ihn weniger als die Tatsache, dass Ronjas Liebster offensichtlich schon die Kinderzimmereinrichtung zusammengeschustert hatte. "Die spinnen doch mit ihrem Übereifer", sagte er sichtlich erzürnt. "Die sind viel schwangerer als wir", schluchzte ich.

Noch am gleichen Abend blätterte Felix nervös im aktuellen Katalog eines schwedischen Möbelherstellers. Ich durchforstete derweil die Homepages sämtlicher Münchner Geburtskliniken nach Möglichkeiten der Kreißsaalführung. Hatte ich richtig verstanden, dass  sich Ronja bereits zu einem Geburtsvorbereitungskurs angemeldet hatte? Aaaaaaah!

Erster an der braunen Linie: Punkt für mich!

Um endlich zum Happy-End zu kommen: Gestern saß ich wieder neben Ronja in der S-Bahn. "Ich habe heute gelesen, dass manche Frauen so einen braunen Streifen am Bauch haben", sagte sie nachdenklich und zupfte nervös an ihrem T-Shirt. "Klar", antwortete ich. "Hab ich auch." Ronja schaute irritiert. "Echt?", fragte sie mit beleidigtem Unterton. "Wie lange schon?" "Och, so acht bis zehn Wochen schon", nuschelte ich vor mich hin. Kurz darauf verließ Ronja die S-Bahn. Zwei Haltestellen früher als gewöhnlich.

Ätsch, ich hab nen braunen Streifen auf dem Bauch und du nicht Ronja! Und wenn ich das mal sagen darf: mein Bauch ist auch viel dicker als deiner.

Upps.

Kein Scherz. Ich glaub, es hat gerade blubb gemacht.