Was Früherkennung leisten kann
Von 1000 Frauen würden normalerweise im Schnitt 30 im Laufe ihres Lebens an Gebärmutterhalskrebs erkranken. Eine einfache Untersuchung reduziert diesen Anteil drastisch: Durch einen Abstrich beim Gynäkologen können Zellveränderungen frühzeitig entdeckt werden. Folge der Früherkennung: Statistisch gesehen erhält nicht einmal mehr eine von 1000 Frauen die Diagnose Gebärmutterhalskrebs.
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Auch die Darmspiegelung erkennt nicht nur bereits bestehende bösartige Tumore. Polypen werden entdeckt und entfernt, ehe sie entarten. Laut Statistik erkranken von 1000 Frauen über 50 innerhalb von zehn Jahren bis zu 14 an Darmkrebs. Durch die Vorsorge sind es bis zu zehn weniger.
"Stellen Sie sich vor, Sie haben Ihr ganzes Leben auf Ihre Gesundheit geachtet, sich ausgewogen ernährt und viel Sport getrieben, um gesund alt zu werden. Aber am Ende erkranken Sie mit 60 an einem Darmkrebs, den man einfach mit einer Vorsorgeuntersuchung verhindern hätte können", sagt Dr. Markus Frühwein.
Der Münchner Facharzt für Allgemein- und Ernährungsmedizin betont: "Ich glaube, dass wir Ärzte am besten fahren, wenn wir nicht warten, bis die Leute krank zu uns kommen, sondern wenn wir schon vorher Gesundheitsrisiken herausfinden und Gegenmaßnahmen ergreifen."
Wann Vorsorgeuntersuchungen sinnvoll sind
Je früher bestimmte Krankheiten oder die Risiken dafür entdeckt werden, desto eher können Arzt und Patient handeln – und desto weniger Schaden entsteht im Körper. Aus diesem Grund erstatten die gesetzlichen Krankenkassen erwachsenen Frauen und Männern Vorsorgeuntersuchungen.
Krebsfrüherkennung gehört dazu, aber auch der Check-up beim Hausarzt sowie Screening auf spezielle Gesundheitsrisiken, etwa das Bauchaorten-Aneurysma, das eine lebensgefährliche Blutung auslösen kann.
Ob Vorsorgeleistungen in den Katalog der Krankenkassen aufgenommen werden, entscheidet der sogenannte Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA). Vertreter der Kassen, der Kassenärzte sowie der Deutschen Krankenhausgesellschaft wägen dabei die gesundheitlichen Vor- und Nachteile für den Patienten gegeneinander ab.

Dr. Klaus Koch
© W&B/Henning Ross
Fehler passieren
"Es ist nämlich so, dass bei Vorsorgeuntersuchungen Fehler vorkommen, die zu falschen Befunden oder sogar zu unnötigen Behandlungen führen können", sagt Dr. Klaus Koch, Ressortleiter Gesundheitsinformation beim Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Deshalb müsse man diese Untersuchungen so sorgfältig und kritisch bewerten wie Medikamente oder andere medizinische Leistungen.
Beispiel Mammografie: Wenn 1000 Frauen zwischen 50 und 69 nicht daran teilnehmen, sterben etwa 19 von ihnen an Brustkrebs. Mit regelmäßigen Screenings im Abstand von zwei Jahren sind es 2 bis 6 Frauen weniger – das ist der Benefit.
"Wenn man diese Fallzahlen liest, wirkt der Effekt sehr überschaubar", sagt Professor Michael Leitzmann, Leiter des Instituts für Epidemiologie und Präventivmedizin an der Universität Regensburg.
"Aber wenn man die Zahl hochrechnet auf die Millionen Frauen, die in Deutschland leben, ist man bei Tausenden Leben, die durch die Untersuchung gerettet werden können." Für Menschen mit größerem familiären Erkrankungsrisiko kann der statistische Nutzen außerdem noch deutlich höher liegen.
Entscheidungen nur mit guter Aufklärung treffen
Allerdings gibt es durch das Brustkrebs-Screening auch Verunsicherung: Bei der Mammografie erhalten von 1000 untersuchten Frauen etwa 30 einen auffälligen Befund. Durch weitere Untersuchungen stellt sich aber dann bei 24 Patientinnen heraus: Es liegt kein Brustkrebs vor. Diese sogenannten falsch positiven Befunde können Betroffene stark verängstigen.
Vor solchen Untersuchungen sollten Patienten deshalb unter anderem darüber informiert werden, welche Ergebnisse wie häufig sind – sodass sie mit einem abklärungsbedürftigen Befund eher zurechtkommen.
IQWiG- Experte Klaus Koch plädiert dafür, dass jeder Mensch möglichst gut aufgeklärt sein sollte, um eine bewusste Entscheidung für oder gegen eine Vorsorgeleistung treffen zu können. Zur Unterstützung bieten mehrere Institutionen im Internet leicht verständliche Broschüren an.
Check-up gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Nicht alle Früherkennungsangebote, die die Kassen bezahlen, sind unumstritten. Immer wieder für Diskussionen unter Experten sorgt etwa der Check-up beim Hausarzt. Studien konnten bisher nicht belegen, dass dieser tatsächlich Herzinfarkte oder Schlaganfälle verhindert oder zu einer Verlängerung der Lebenserwartung führt. "Das liegt vielleicht daran, dass vor allem Menschen die Vorsorge wahrnehmen, die auch sonst häufiger zum Arzt gehen, also ohnehin relativ oft untersucht werden", mutmaßt Klaus Koch.
Der Gesundheits-Check-up soll gleich mehrere Erkrankungen erkennen. Zuerst fragt der Arzt nach Krankheitsgeschichte sowie nach familiären und anderen Risikofaktoren. "Das finde ich ganz wichtig, dass man einfach mit dem Patienten spricht und auch mal zuhört: Wo drückt es denn, wo sind seine Probleme. Darüber lassen sich aus meiner Sicht die meisten Risiken herausfinden", sagt Mediziner Frühwein.
Außerdem werden Herz und Lunge abgehört, Reflexe überprüft. Der Impfschutz wird gecheckt, ein EKG geschrieben. Blutdruck, -fette und -zucker werden gemessen. Eine Analyse des Urins zeigt, ob Nierenerkrankungen – etwa durch Diabetes – vorliegen. Vorrangiges Ziel des Check-ups: Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorzubeugen.
Vorsorgeuntersuchungen ersetzen nicht einen gesunden Lebensstil
Bisher nehmen laut Zahlen der Krankenkassen aber nur 17 Prozent der Frauen und Männer dieses Vorsorgeangebot wahr. Möglicherweise würden gerade die anderen 83 Prozent profitieren, die weniger gerne zum Arzt gehen. Allgemeinmediziner Frühwein: "Gerade jüngere Leute sehe ich sonst nur in meiner Praxis, wenn sie mal eine Erkältung haben. Und das ist dann nicht der ideale Zeitpunkt für einen Check."
Warum so wenige die Untersuchungen machen lassen, könnte laut Präventionsexperte Leitzmann an unzureichender Information liegen. "Außerdem höre ich immer wieder mangelnde Zeit als Argument. Aber das ist eher eine Frage von Prioritätensetzen."
Doch auch wer alle Screenings in Anspruch nimmt: In erster Linie trägt der individuelle Lebensstil dazu bei, wie lange jemand gesund bleibt. Leitzmann rät unter anderem dazu, exzessives Sonnenbaden, Alkohol und Übergewicht zu vermeiden. Und Klaus Koch ergänzt: "Wer nicht raucht, tut mehr für seine Gesundheit, als er mit allen Vorsorgeuntersuchungen zusammen tun könnte."