Senioren Ratgeber

Ob neues Hüftgelenk oder neue Herzklappe: Eine Operation belastet besonders Ältere. Die Narkose ist ein Ausnahmezustand fürs Gehirn. Nach Operationen ist davon im Schnitt jeder Dritte, auf Intensivstation jeder Zweite betroffen. Die Patienten sind nach dem chirurgischen Eingriff oft verwirrt, desorientiert, haben Gedächtnislücken. Sie sehen Mäuse in Zimmer­­ecken, möchten ihre verstorbenen Eltern besuchen oder wirken, ganz entgegen ihrer Art, hyperaktiv.

Ein Delir, wie Mediziner das nennen, kann sofort nach dem Erwachen aus der Narkose auftreten, aber auch erst mehrere Tage danach. Was dabei im Gehirnstoffwechsel passiert, ist noch nicht genau untersucht. Ursache ist meist ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren, sagt Professorin Claudia Spies, Leiterin der Klinik für Anästhesiologie an der Berliner Charité. Dazu gehören etwa Durchblutungsstörungen oder bereits vorhandene geistige Einbußen. Auch bestimmte Arzneien oder Narkosemittel, die nicht an den älteren Patienten  angepasst sind, können das Risiko erhöhen. "Bei einem Eingriff kann das den Organismus so überfordern, dass Nervenzellen zugrunde gehen", sagt Spies.

Wer ist gefährdet?

  • Ältere Menschen: Ab 70 Jahren steigt das Risiko sprunghaft an.
  • Menschen, die durch mehrere Grunderkrankungen vorbelastet sind (z.B. Diabetes, Depressionen, Herz-Kreislauf-Leiden) oder bestimmte Medikamente einnehmen (z.B. Antidepressiva, Benzodiazepine)
  • Patienten nach schweren Eingriffen und langen Narkosen

Patienten mit Delir haben weit weniger gute Heilungschancen als andere Patienten. Unbehandelt kann das Delir in eine Demenz übergehen.

Operation kann beim Patienten lange nachwirken

Ein Delir kann schlimme Folgen haben. Knapp jeder zweite Betroffene ist noch nach einem Jahr in seinen Aktivitäten eingeschränkt. Etwa sieben Prozent erholen sich nicht mehr und werden dauerhaft pflegebedürftig. Außerdem steigt das Risiko, an einer Demenz zu erkranken.

Die Gefahr für ein Delir verschärft sich, wenn der Patient den Klinikaufenthalt als extrem belastend empfindet. Die fremde Umgebung, ungewohnte Geräusche, ständig andere Schwestern, neue Untersuchungen, die oft angstbesetzte Narkose und Operation. "Manche produzieren vor einem Eingriff schon viele Stresshormone – was dem Gehirn schadet", sagt Anästhesistin Dr. Simone Gurlit.

Leider lässt sich nicht voraussagen, ob bei jemandem ein Delir auftritt und wie lang es dauert. Die gute Nachricht: Es gibt einiges, was man tun kann. Wenn Ärzte, Pfleger und Angehörige zusammenwirken, lässt sich die ­Gefahr deutlich verringern. Auch der Patient kann einiges tun – und das schon vor dem Eingriff:

1. Nachfragen

Viele Operationen lassen sich planen. Fragen Sie nach, ob und wie sich die Ärzte speziell auf die Bedürfnisse Älterer einstellen. Ist es etwa erlaubt, bis zwei Stunden vor dem Eingriff zu trinken? Manche Kliniken bieten sogar eigene Delir-Sprechstunden an.

2. Fitness steigern

Ob Gymnastik oder Gehirnjogging: Wer rechtzeitig vor einem Eingriff seine Fitness verbessert, bewältigt eine Operation leichter. Fragen Sie Ihren Hausarzt. Atemübungen etwa sind ideal vor Baucheingriffen.

3. Ehrlich sein

Haben Sie Kummer? Waren Sie nach einem früheren Eingriff schon einmal verwirrt? Seien Sie beim Aufklärungsgespräch ehrlich. So ist es für die Ärzte einfacher, ein Delir zu verhindern. Bitten Sie Ihren Apotheker, eine Medikationsliste zu erstellen, die Sie zur Aufnahme mitnehmen.

4. Bedürfnisse äußern

Die Bettdecke ist zu warm, das Schnarchen des Bettnachbarn hält Sie wach? Äußern Sie Bedürfnisse klar. Wer sich unwohl fühlt, produziert unnötig viel Stress, was eine Verwirrtheit begünstigt.

5. Den Tag strukturieren

Schlafen Sie tagsüber nicht zu viel und kommen Sie rasch in Bewegung. Gehen Sie, wenn möglich, täglich an die frische Luft. Bitten Sie Angehörige um regelmäßige Besuche – diese helfen, den Tagen Struktur zu geben. Mitgebrachte Fotos, Zeitschriften oder eine Hör-CD sind eine schöne Abwechslung zum Fernsehprogramm. Gespräche fordern das Gehirn!

6. Keine falsche Scham

Sie fühlen sich nach der Operation komisch, haben starke Schmerzen, bemerken Gedächtnislücken? Sprechen Sie Ihren behandelnden Arzt auf solche Dinge an. Je rascher ein drohendes Delir erkannt wird, desto besser sind Ihre Aussichten.

Was Kliniken gegen ein Delir tun

Viele Kliniken versuchen, das Risiko für ein Delir mit speziellen Programmen und Konzepten zu senken. Zum Beispiel so:

  • Intensiv betreuen. Idealerweise begleiten Ärzte und Pflegekräfte ihre Patienten von der Aufnahme bis zur Entlassung und erklären ihnen in Ruhe, was gerade passiert. Sie erinnern täglich ans Datum, fragen ein Kochrezept ab oder sprechen mit ihm über Reisen. Das gibt Halt und Orientierung. Auch Quizze, Kartenspiele oder psysiotherapeutische Bewegungsübungen können helfen. Mit Gedächtnistests lassen sich Veränderungen schneller erkennen.
  • Beruhigungs- und Schlafmittel vor der OP reduzieren. Viele Kliniken setzen die  Medikamente bei über 70-Jährigen nicht mehr ein. Wer vor Aufregung nicht schlafen kann, bekommt stattdessen Baldrian oder Melatonin, die auf sanftere Art beruhigen. Auch Akupressur oder eine Massage sind Alternativen.
  • Zu tiefe Narkosen vermeiden. Tiefe Narkosen und lange Operationen sind für Senioren besonders riskant. Häufig werden deshalb möglichst kurz wirksame Medikamente verwendet, damit der Patient schnell nach der Narkose wach wird. Wo es geht, nimmt man örtliche oder regionale Betäubungen, bei denen man während des Eingriffs wach bleibt.
  • Gesunden Schlaf-Wach-Rhythmus fördern. Ein normaler Rhythmus tut dem Gehirn gut, das bestätigen Studien. Spezielle Lichtdecken sorgen deshalb auf manchen Stationen für Helligkeit am Tag und schummriges Licht ab 21 Uhr. Sind Arbeits- und Alarm­geräusche gedämmt, können Patienten besser durchschlafen.
  • Erhöhtes Risiko früh erkennen: Je schwerer und akuter eine Erkrankung ist - etwa ein Schenkelhalsbruch, ein Schlaganfall oder eine Infektion - desto höher ist das Risiko, ein Delir zu entwickeln. Bei älteren Menschen, die ein Delir entwickeln, liegen meist mehrere Grunderkrankungen vor.

Gut für die Orientierung

  • Große Tageskalender und Uhren in Sichtweite
  • Fotos von zuhause und der Familie aufstellen
  • Wasser trinken – bis zwei Stunden vor der OP.
  • Keine Scheu vor der Bettpfanne – unbedingt auch nach einer OP ausreichend trinken!
  • Brille, Hörgerät, Prothese: Nehmen Sie in die Klinik alles mit, was Sie normalerweise für die Orientierung brauchen.
  • Schlafen in der Nacht, aktiv sein am Tag!

Was Angehörige tun können

  • Besuchen Sie den Patienten, so oft es geht. Angehörige sind die Verbindung zur gewohnten Welt
  • Fotos, Lieblingsmusik und Lieblingskuchen mitbringen
  • Lesen Sie aus der Zeitung vor, auch Quiz-Spiele regen an
  • Übergeben Sie der Station eine Liste aller Medikamente, die Ihr Angehöriger einnimmt
  • Sobald Sie feststellen, dass Ihr Angehöriger sich anders verhält als sonst: die Station informieren!
  • Bei Notfällen: Begleiten Sie den Patienten in die Notaufnahme einer Klinik. Nehmen Sie genug Wasser, etwas zu essen und etwas zum Beschäftigen für die Wartezeit mit

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