Gespräch mit einer Hüftprothese: „Ich bin ein Gleitkünstler“
Was ist ein Arzt ohne sein Stethoskop? Eine Chirurgin ohne ihr Skalpell? Oder gar eine Apothekerin ohne Medikamente? Sie können nicht ohne einander. In der Gesundheitsberichterstattung werden die einzelnen Instrumente, Geräte und Arzneimittel dennoch oft zu wenig berücksichtigt. Anders in der Kolumne von Sonja Gibis. Hier kommen die Gegenstände selbst zu Wort und berichten humorvoll aus ihrer Geschichte und ihrem Alltag. In dieser Folge: die Hüftprothese.
Ich begrüße heute einen Gast, der normalerweise unsichtbar ist. Seine Aufgabe erfüllt er nämlich im Inneren des Körpers.
Ganz richtig. Daher auch mein Name: Endoprothese. Wie viele Wörter des sogenannten Ärztelateins kommt „endo“ aus dem Griechischen und bedeutet „innen“ oder „innerhalb“.
Oh, wie interessant! Und wie nennt man dann eine Beinprothese, die außen sitzt?
Ist doch logisch: eine Exoprothese. Und bei beidem gibt es tolle neue Entwicklungen. Inzwischen sind wir echte Hightechprodukte.
Das mag sein. Aber bei der Vorstellung, dass man in meinem Inneren ein Ersatzteil einbaut, gruselt es mich dennoch ein wenig. Als wäre der Mensch eine Maschine.
Und ist er das nicht auch ein wenig? Die Schrift „L’Homme machine“, auf Deutsch „Der Mensch eine Maschine“, stammt von einem Philosophen aus der Zeit der Aufklärung. Den Menschen so zu sehen war damals etwas völlig Neues. In der Medizin hat diese Sicht großartige Fortschritte gebracht. Denken Sie nur an Herzschrittmacher, künstliche Augenlinsen – oder eben Gelenkprothesen.
Das beginnt eine überraschend tiefgründige Diskussion zu werden. Sie denken nicht, dass der Mensch mehr ist als eine Maschine?
Ach ja, darüber haben sich die Menschen über Jahrhunderte die Köpfe eingeschlagen. Und ich gebe zu: Alles, was lebt, ist nicht nur eine Maschine. Schließlich kann es wachsen, sich selbst erneuern. Aber das hat Grenzen. Und dann brauchen Sie zum Beispiel mich. Inzwischen werden in Deutschland jährlich etwa 200 000 von meiner Art eingesetzt.
Seit wann gibt es Sie denn?
Mit künstlichen Gelenken experimentiert man schon seit über 100 Jahren. Aber es dauerte, bis es Erfolge gab. So kommt es zum Beispiel auf das richtige Material an. Denn die Anforderungen an mich sind hoch. Bei jedem Schritt gleitet der Kopf des Oberschenkelknochens in der Hüfte und ist dabei starken Kräften ausgesetzt. Und was passiert, wenn zwei Oberflächen dauernd aufeinander reiben?
Sie scheuern sich ab.
Genau! Das passiert leider auch in den Gelenken. Die ersten künstlichen Kniegelenke waren aus Elfenbein. Man dachte wohl: Knochen durch Knochen ersetzen, das sollte prima klappen. Fehlanzeige! Man experimentierte dann mit Plexiglas. Doch es rieb sich viel zu schnell ab. In den 1950er-Jahren kombinierte man dann einen Metallkopf mit einer Teflonpfanne. Doch das hakte beim Gleiten. Besser klappte es dann mit einem speziellen Kunststoff: Polyethylen.
Und daraus bestehen auch Sie?
Zum Teil. Wir Endoprothesen sind heute ein buntes Team und bestehen oft aus verschiedenen Materialien, die sich als tolle Partner erwiesen haben. Das heißt: Wir sind echte Gleitkünstler. Man kombiniert Metalle, Kunststoffe und Keramik – eine Wissenschaft für sich.
Und das hält dann für den Rest des Lebens?
Das ist das Ziel. Im Moment habe ich eine Lebenserwartung von 15 bis 25 Jahren. Damit ich möglichst lange halte, sollten Sie einiges befolgen. Auch Dinge, an die viele nicht denken. Dazu gehört zum Beispiel gute Zahnpflege. Denn im Körper hängt alles zusammen. So kann zum Beispiel eine scheinbar harmlose Zahnfleischentzündung über das Blut zu einer Infektion in der Hüfte führen. Sie sehen: Der Mensch ist eben doch mehr als eine Maschine.
Quellen:
- Hilburg N: Kompendium der Hüftendoprothetik, Dissertation zum Erwerb des Doktorgrades der Medizin an der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität zu München. https://edoc.ub.uni-muenchen.de/... (Abgerufen am 15.05.2024)
- Eder C: Parodontitis – eine Gefahr für den orthopädischen Gelenkersatz?. dzw: https://dzw.de/... (Abgerufen am 15.05.2024)