Testosteronersatz hilft alternden Männern nicht bei sexueller Dysfunktion
„Altwerden ist nichts für Feiglinge“ – ob dieser Spruch nun ursprünglich von Joachim Fuchsberger, Uwe Seeler oder der US-Schauspielerin Bette Davis stammt, ist umstritten. Klar ist, dass sich in unserem Körper mit fortschreitendem Alter alles Mögliche verändert. Und dass uns vieles davon nicht gefällt. Bei älteren Männern beispielsweise lässt oft die Libido nach, Erektionsprobleme häufen sich.
Ob das mit einem im Alter sinkenden Spiegel des männlichen Sexualhormons Testosteron zusammenhängt und wie stark dieser Spiegel jenseits der 40 wirklich sinkt, ist entgegen vieler gegenteiliger Behauptungen im Internet wissenschaftlich noch nicht endgültig geklärt. Das gilt auch für den Nutzen einer Ersatztherapie mit Testosteron, die nachlassender Manneskraft und anderen Alterserscheinungen entgegenwirken soll. Trotzdem sind Testosteron-Präparate insbesondere in den USA sehr populär.
Was ist Cochrane?
Cochrane ist ein internationales Forschungsnetzwerk, das seit über 30 Jahren systematische Übersichtsarbeiten – die sogenannten Cochrane Reviews – erstellt. Diese Übersichtsarbeiten fassen den aktuellen, weltweiten Wissensstand der Forschung zu Fragestellungen aus Medizin und Gesundheit zusammen und bewerten die Vertrauenswürdigkeit der zugrundeliegenden Studienergebnisse. Damit bilden Cochrane Reviews eine zentrale Grundlage der evidenzbasierten Medizin.
In dieser Kolumne für die Apotheken Umschau stellen Mitarbeitende von Cochrane Deutschland in Freiburg die Ergebnisse aktueller Cochrane Reviews vor.
Wenn normale Veränderungen zur Krankheit erklärt werden
Für Kritiker ist die Testosteronersatztherapie für ansonsten gesunde ältere Männer ein Paradebeispiel für das sogenannte „Disease mongering“, bei dem normale Erscheinungen und Veränderungen des Körpers zu therapiebedürftigen Krankheiten aufgebauscht werden, um dann teure Therapien an den Mann bringen zu können.
Testosteronpräparate versprechen bessere Leistungsfähigkeit, gesteigertes sexuelles Verlangen, zunehmende Muskelmasse und abnehmendes Körperfett, ohne dass Studienergebnisse diese Vorteile der Ersatztherapie ausreichend belegen.
Die Macher eines Anfang des Jahres erschienenen Cochrane Reviews[1] wollten herausfinden, welche Schlüsse die bisher erschienenen klinischen Studien zu Wirksamkeit und Risiken der Testosteron-Ersatztherapie auf das sexuelle Befinden wirklich erlauben. Auf der Suche nach aussagekräftigen Forschungsarbeiten zum Thema fand das Cochrane-Team 43 randomisierte kontrollierte Studien.
Insgesamt hatten daran 11.419 Männer im Alter ab 40 Jahren ohne organische Ursachen für einen Testosteronmangel teilgenommen, die unter Störungen ihrer Sexualfunktion in Form einer verminderten Libido und/oder Erektionsstörungen litten. Sie erhielten per Zufallsprinzip entweder Testosteron (zum Einnehmen, als Gel zum Auftragen auf die Haut, als Pflaster oder als intramuskuläre Injektion) oder ein Placebo (Scheinmedikament).
Testosteron: Wahrscheinlich kein besserer Sex beim gesund alternden Mann
Für den zentralen Vergleich von Testosteron versus Placebo zeigte sich ein allenfalls geringer, in der Praxis als unbedeutend eingestufter Effekt von Testosteron auf die Erektionsfähigkeit und die sexuelle Zufriedenheit. Selbst dieser geringe Effekt war nicht konsistent mit allen verwendeten Fragebögen nachweisbar. Dabei war das Cochrane-Team mit der Qualität der Studien halbwegs zufrieden und bewertete die Vertrauenswürdigkeit der zugrundeliegenden Evidenz als „moderat“.
Dem Nutzen stehen für jedes Medikament die möglichen Gefahren gegenüber. Die Studien liefern zwar keine Indizien für eine befürchtete Erhöhung des Risikos von tödlichen Herz-Kreislauf-Ereignissen wie Infarkt und Schlaganfall. Allerdings gelten all diese Ergebnisse lediglich für kurze Untersuchungszeiträume von drei bis zwölf Monaten. Für längere Zeiträume, wie sie für eine Testosteronersatztherapie üblich sind, gibt es kaum Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit. Die Frage möglicher Langzeitrisiken, zu denen neben kardiovaskulären Erkrankungen auch eine erhöhte Rate von Prostatakrebs zählen könnte, bleibt also vorerst unbeantwortet. Diese Risiken machen sich typischerweise erst über längere Zeit bemerkbar.
Nach bestem Wissen
In den USA hat intensives Marketing der Hersteller in den letzten 20 Jahren zu einem regelrechten Boom des Testosteronersatzes als Lifestyle-Therapiebereich geführt. In Deutschland sind Testosteronersatztherapien dagegen für ansonsten gesunde Männer mit lediglich altersbedingt niedrigeren Testosteronwerten nicht zugelassen. Ärztlich verschrieben werden dürfen sie hierzulande nur bei krankhaftem Hypogonadismus, also einem klinisch und labormedizinisch bestätigten, erheblichen Testosteronmangel, der in der Regel klare körperliche Ursachen hat. Dies schließt den Einsatz als Anti-Aging-Mittel für den alternden Mann aus.
Trotzdem schwappt der Testosteron-Boom aus den USA auch zu uns herüber: Allein zwischen 2002 und 2011 verachtfachte sich hierzulande die Zahl der Testosteron-Verordnungen – offenbar liegt eben auch hier einiges im ärztlichen Ermessen. Die Ergebnisse dieses Reviews machen jedenfalls deutlich: Wer sich vom Extra-Testosteron eine Verjüngung erhofft, wird aller Wahrscheinlichkeit nach enttäuscht. Dies gilt ausdrücklich nur für ansonsten gesunde Männer, nicht für solche mit einem meist durch organische Gründe krankhaft erniedrigten Testosteron-Spiegel (Hypogonadismus), für die eine Ersatztherapie nicht umstritten ist.
Wer trotzdem zum Testosteron-Gel greift, sollte noch eine zusätzliche Gefahr bedenken: Bei Hautkontakt mit der Auftragungsstelle kann das Hormon auch an Familienmitglieder und Haustiere übertragen werden. So wurden schon Fälle von Kindern bekannt, bei denen versehentlicher wiederholter Hautkontakt mit Testosterongel zur einer verfrühten Pubertätsentwicklung führte.
Quellen:
- [1] Lee H, Hwang EC, Oh CK et al.: Testosterone replacement in men with sexual dysfunction.. In: Cochrane Database of Systematic Reviews 2024: 15.01.2024, https://doi.org/...