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Reismehlbrötchen, glutenfreie Pizza oder Gummibärchen – in Supermärkten stehen immer mehr Lebensmittel ohne Gluten im Regal. Aber für wen ist es überhaupt sinnvoll, auf glutenfreies Essen zu achten? Wir beantworten die wesent­lichen Fragen. Das Wichtigste vorweg: Ernähren Sie sich nicht einfach auf Verdacht hin glutenfrei, sondern nehmen Sie Kontakt zu ­Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt auf, falls Sie das Gefühl haben, Lebensmittel mit Gluten nicht gut zu vertragen.

Ist es ungesund, Gluten zu essen?

Nicht generell. Gluten ist ein Eiweiß, das in Getreide vorkommt. Für gesunde Menschen ist es gesundheitlich unproblematisch. Anders bei Menschen, die an Zöliakie leiden, einer schweren Glutenunverträglichkeit. Sie müssen selbst winzige Spuren von Gluten meiden. Auch Menschen, die an einer sogenannten Glutensensitivität leiden, geht es oft besser, wenn sie weniger glutenhal­tige Lebensmittel essen. Vollständig darauf verzichten müssen sie im Gegensatz zu Zöliakie-Betroffenen jedoch nicht.

Ich bekomme Bauchweh, wenn ich Backwaren esse. Kann das am Gluten liegen?

„Ja!“, sagt Professor Detlef Schuppan, Leiter des Instituts für Translationale Immuno­logie von der Universitätsmedizin Mainz. „Es könnte eine Zöliakie vorliegen.“ Bei dieser Autoimmunerkrankung führt Gluten zu einer schweren Entzündung im Dünndarm – und damit zu Verdauungsproblemen. Doch nicht immer. „Viele Patienten leiden eher an Symptomen wie Kopfschmerzen oder Erschöpfung“, so Schuppan. Bei Kindern können auch Wachstumsstörungen, Konzentrationsprobleme oder eine Blutarmut, die sich oft durch Blässe zeigt, auf ­eine Zöliakie hindeuten. Ein häufiger Hinweis sind Aphthen, kleine Entzündungen der Mundschleimhaut, die immer wiederkehren. Insgesamt haben Menschen, die bereits eine andere Autoimmunerkrankung wie Diabetes Typ 1 oder Hashimoto (entzündete Schilddrüse) aufweisen, ein erhöhtes Risiko, an Zöliakie zu erkranken.

Liegt es nur am Gluten, wenn ich Bauchweh von Brot bekomme?

Nein! Hinter den Bauchschmerzen können auch andere Erkrankungen stecken, etwa eine Weizenallergie. Betroffene reagieren dann meist schon wenige Minuten nach dem Essen von weizenhaltigen Produkten mit Bauchschmerzen oder Durchfall.

Darüber hinaus kann noch eine andere Krankheit Ursache der Beschwerden sein, über die die Wissenschaft allerdings noch wenig weiß. Es gibt nicht mal eine eindeutige Bezeichnung. Manche Expertinnen und Experten sprechen von einer „Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität“, andere von „Glutensensitivität“. Bei dieser Erkrankung gibt es viele Unbekannte. Unklar ist etwa, ob Gluten die Beschwerden auslöst oder an­dere Weizeninhaltsstoffe, zum Beispiel sogenannte ATI (Amylase-Trypsin-Inhibitoren). Auch diese Eiweiße stecken unter anderem in Getreide wie Weizen.

Wie finde ich heraus, ob ich eine Zöliakie habe?

Die gute Nachricht zuerst: Tatsächlich hat nur etwa ein Prozent der Menschen eine schwere Glutenunverträglichkeit, also eine Zöliakie. „Bevor man auf eigene Faust Gluten vermeidet, sollte man eine Zöliakie unbedingt sicher ausschließen lassen“, sagt die Münchner Ernährungstherapeutin Dr. Imke Reese. Die Untersuchungen sollten dabei in einer Phase erfolgen, in der man ganz normal isst. „Eine Zöliakie kann man nur bei einem ausreichenden Getreide­konsum ausschließen“, so Reese. Nimmt man länger kein Gluten zu sich, erholt sich die Darmschleimhaut. Auch die Antikörperspiegel im Blut normalisieren sich.

Um die Diagnose zu stellen, wird in der Regel ein Bluttest auf Antikörper und auf das körpereigene Enzym Transglutaminase vorgenommen. Bei auffälligen Werten sichert die Ärztin oder der Arzt die Diagnose mithilfe einer Spiegelung des Magens und des angrenzenden Zwölffingerdarms. Dabei werden einige Gewebeproben entnommen und anschließend untersucht. Bei einer Zöliakie ist die Darmschleimhaut je nach Stadium der Erkrankung verändert. Es finden sich vermehrt Entzündungszellen. In fortgeschrittenem Stadium sind auch die Darmzotten abgeflacht, was die Nährstoffauf­nahme stark vermindert. Sicher ist die Diagnose, wenn die Beschwerden durch glu­tenfreie Diät verschwinden.

Gibt es ein Medikament gegen Zöliakie?

Derzeit ist kein wirksames Mittel verfügbar. Ein Forschungsteam um Professor Detlef Schuppan, auf den auch der Antikörpertest auf das Enzym Transglutaminase zurückgeht, hat bei der Entwicklung eines Wirkstoffs aber erste Erfolge erzielt. Das Mittel blockiert die körpereigene Transglutaminase. Sollte es zugelassen werden, wird es voraussichtlich aber nicht für alle Zöliakie-­Betroffenen verfügbar sein, sondern zunächst nur für Patientinnen und Patienten, die unter glutenfreier Diät noch immer Beschwerden haben oder die Diät nicht einhalten können, etwa auf Fernreisen. Darüber hinaus sind noch weitere medikamen­töse Ansätze in der Entwicklung.

Zöliakie - kurz zusammengefasst

Patienten mit Zöliakie reagieren auf Gluten, ein in verschiedenen Getreidesorten enthaltenes Eiweiß. Nahrungsmittel, die Gluten enthalten, können bei ihnen beispielsweise Symptome wie Durchfall, Bauchschmerzen oder Blähungen hervorrufen. Insgesamt sind die Symptome eine Zöliakie sehr unterschiedlich. Manchmal verläuft sie über Jahre unbemerkt. Mithilfe von Bluttests und einer Dünndarmbiopsie diagnostiziert der Arzt eine Zöliakie. Die Behandlung besteht dann in einer lebenslangen glutenfreien Diät.

Bin ich auf Weizen allergisch oder reagiere ich darauf empfindlich?

Auf die Spur einer möglichen Weizenallergie kommt man zunächst mittels eines Beschwerdetagebuchs. Wichtig ist, auch Beschwerden zu notieren, die erst Stunden nach dem Verzehr auftreten. Denn bei ­atypischen Weizenallergien, die oft über­sehen werden, können die Symptome deutlich später auftreten. Danach folgt der Test auf spezifische IgE-Antikörper und ein Hauttest. Ähneln die Symptome denen ­einer Zöliakie, treten also etwa nach dem Verzehr von Weizen Bauchkrämpfe, Durchfall oder Übelkeit auf, ist es immer wichtig, ­diese Erkrankung auszuschließen.

Bei der umstrittenen Weizensensitivität gibt es bislang keine praxistauglichen Diagnosemethoden. Meist wird die (Verdachts-)Diagnose gestellt, nachdem eine Zöliakie und eine Weizenallergie medizinisch ausgeschlossen wurden.

Wann muss ich auf Gluten verzichten?

Wenn die Diagnose „Zöliakie“ gestellt wurde, muss die Patientin oder der Patient Gluten komplett meiden. „Bei einer Zöliakie muss man viel strenger auf Gluten verzichten, als es den meisten Menschen bewusst ist“, betont ­Imke Reese. „Es reicht nicht, einfach kein glutenhaltiges Brot und keine glutenhaltigen Nudeln zu essen.“ Schon winzige Brotkrümel könnten ernste Beschwerden auslösen und den Darm schädigen. Im Alltag bedeutet das eine große Umstellung. „Man darf als Betroffener nicht einmal den gleichen Toaster verwenden wie jemand ohne Zöliakie“, so Reese.

Bei Lebensmitteln muss auf der Zutatenliste angegeben werden, ob diese Gluten oder Weizen enthalten. Glutenfreie Produkte für ­Zöliakie-Betroffene sind europaweit am Siegel der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft erkennbar. Es zeigt eine durchgestrichene Getreide­ähre.

Wer eine Weizenallergie hat, muss nicht ganz so streng auf Gluten verzichten. Wichtig ist, dass Weizen und verwandte Ge­treide­-
sorten vom Speiseplan gestrichen werden. Hierzu gehören etwa Dinkel und Grünkern. Um trotz Diät eine ausgewogene Ernährung zu sichern und eine Alternative fürs Kochen und Backen zu schaffen, ist eine indivi­duelle Ernährungstherapie sinnvoll.

Bei einer Weizensensitivität sollten Betroffene ihren Konsum von glutenhaltigen Nahrungsmitteln um mehr als 90 Prozent verringern. Der positive Effekt einer solchen Diät hat aber in der Regel nichts mit dem Gluten selbst zu tun. Ursache ist vermutlich, dass man bei Glutenverzicht auch andere Eiweiße wie ATI meidet. Diese finden sich ebenfalls in vielen Getreiden.

Lebe ich gesünder, wenn ich Gluten beim Essen vorsichtshalber weglasse, auch wenn ich keine Zöliakie habe?

„Nein. Ein freiwilliger Verzicht auf Gluten ist nicht gesünder, sondern kann sogar mit Nachteilen und Risiken einhergehen“, so Imke Reese. Wenn man die fehlenden glutenhaltigen Produkte durch viel Gemüse, Obst, hochwertiges Eiweiß und gesunde Fette ersetzt, ist das oft eine gesündere Ernährung. „Wenn man aber nur Glutenhaltiges gegen stark verarbeitete, glutenfreie Produkte austauscht, wird die Ernährung problematisch.“