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Der Appell des norwegischen Mediziners Per Fugelli war mehr als eindringlich: „Die Patientin Erde ist krank. Es ist an der Zeit für die Ärzte, eine Diagnose zu stellen und mit der Therapie zu helfen.“ Fugelli sah Ärztinnen und Ärzte genauso in der Verantwortung, die Erde zu retten, wie Umweltschützerinnen, Ökologen und Politikerinnen. Denn Fugelli war schon 1993 klar, als er seinen Appell formulierte: Die Klimakrise würde auch extreme Folgen für die Gesundheit der Menschen haben. So entstand „Planetary Health“, eine medizinische Bewegung, die Mensch und Planet als Einheit zu schützen versucht. Ein wichtiger Teil der Therapie: die Ernährung.

Planetary Health Diet ist keine Abnehm-Diät

Knapp dreißig Jahre später hat die „Planetary Health Diet“ einen Namen und ein wissenschaftliches Fundament. Keine Diät zum Abnehmen, sondern eine Ernährung zum Schutz der Gesundheit des Planeten und der Menschen. So abgestimmt, dass sie im Jahr 2050 zehn Milliarden Menschen nachhaltig versorgen kann.

Erarbeitet hat das Konzept eine Gruppe von 37 Expertinnen und Experten, die vom medizinischen Fachblatt The Lancet und der gemeinnützigen europäischen Organisation EAT berufen wurde. Vor drei Jahren legte die Kommission ihren ersten Bericht vor, der zeigt: Die Therapie ist möglich. Und nicht einmal besonders schwierig.

Belastungsgrenzen der Erde an vielen Stellen überschritten

Unterdessen wird immer deutlicher, wie schlecht es bereits um die Patientin Erde steht. Hitzewellen, Überschwemmungen, Brände und Dürren häufen sich, auch in Europa. „Was auf dem Spiel steht, und zwar für uns alle, ist die Bewohnbarkeit unseres Planeten“, sagt der Mediziner Dr. Martin Herrmann. Mit einer Gruppe von Kolleginnen und Kollegen sowie Studierenden hat er 2017 KLUG gegründet, die Deutsche Allianz für Klimawandel und Gesundheit. Der Verein will den Gesundheitssektor klimaneutral gestalten und setzt sich dabei insbesondere für die Planetary Health Diet ein. „Es gibt mehrere Felder, auf denen wir dringend etwas tun müssen. Eines davon ist die Energie. Genauso wichtig aber ist die Ernährung“, sagt Herrmann.

Tatsächlich ist die Nahrungsmittelproduktion des Menschen für etwa ein Drittel der globalen Emissionen von Treibhausgasen verantwortlich. Faktoren also, die den Klimawandel maßgeblich beschleunigen. Mehr als die Hälfte dieser ernährungsbedingten Emissionen stammen aus der Herstellung von Fleisch und Milchprodukten. Zusätzlich zerstört die Landnutzung durch die Agrarwirtschaft die Lebensräume vieler Pflanzen und Tiere, bringt die Böden aus ihrem natürlichen Gleichgewicht und raubt ihnen Phosphor und Stickstoff, die für das Wachstum von Pflanzen unerlässlich sind.

Eine gesunde Ernährung stärkt Mensch und Planet

Wie wir uns ernähren, hat somit entscheidend dazu beigetragen, dass die Belastungsgrenzen der Erde an vielen Stellen bereits überschritten sind. Werden sie dauerhaft gesprengt, kann der Mensch nicht mehr sicher auf der Erde leben. Und er bleibt auch nicht gesund. „Wir dürfen nicht vergessen, dass die Art und Weise, wie die Menschheit sich im Westen heute ernährt, unmittelbar krank macht“, sagt Herrmann.

Der hohe Anteil an stark verarbeiteten Produkten, Zucker und rotem sowie verarbeitetem Fleisch in der Ernährung etwa sei verantwortlich dafür, dass immer mehr Menschen am Herz-Kreislauf- oder Krebserkrankungen leiden. „Und das ist nur ein Beispiel dafür, dass die Rettung des Planeten durch eine andere Ernährung auch die Rettung der Menschen vor schwerem Leid und frühem Tod bedeutet“, sagt Herrmann.

Pflanzliche Nahrungsmittel als Basis der Planetary Health Diet

Anders als im Fall der Energieversorgung ermöglicht eine Ernährungsumstellung zudem, gleichzeitig etwas für sich und gegen die Klimakrise zu tun. Denn zumindest in der westlichen Welt ist praktisch jede und jeder sofort in der Lage, anders zu essen. Wie dieses „anders“ aussehen sollte, hat die EAT-Lancet-Kommission in ihrem Report zur Planetary Health Diet ausführlich beschrieben.

Wer sich im Sinne der Planetary Health ernähren möchte, muss weder vegan noch rein vegetarisch leben.

Die breite Basis bilden pflanzliche Nahrungsmittel – eine Empfehlung, die nicht völlig neu ist, aber durch den Klimawandel eine besondere Bedeutung erhält. Dazu gehören vor allem Getreide, Gemüse und Obst; in moderaten Mengen Nüsse, Knollen und Hülsenfrüchte. Zusammen mit hochwertigen Ölen sollte dieser pflanzliche Anteil etwa 80 Prozent der täglichen Energiezufuhr ausmachen. Auf der Liste stehen aber auch tierische Lebensmittel – Fisch, Milchprodukte, Eier, Geflügel, sogar das besonders klimaschädliche Rindfleisch.

„Wer sich im Sinne der Planetary Health ernähren möchte, muss weder vegan noch rein vegetarisch leben“, sagt Dr. Lisa Pörtner, Internistin und Ernährungsexpertin im Team von KLUG. „Es kommt eher darauf an, die Menge an tierischen Produkten auf dem eigenen Speiseplan in der richtigen Weise anzupassen.“

Wie Fleischkonsum angepasst werden sollte, variiert je nach Region

Diese Anpassung hängt davon ab, in welcher Region der Erde man wohnt. In den USA etwa konsumieren die Menschen derzeit mehr als das Sechsfache der zuträglichen Menge an rotem Fleisch, mehr als das Doppelte der entsprechenden Menge an Geflügel – und fast dreimal so viele Eier wie von der Lancet-Kommission empfohlen. In Indien sind Nahrungsmittel so knapp, dass auch die Versorgung mit tierischem Eiweiß bisher zu gering ausfällt. Essenzielle Nährstoffe fehlen. In Südasien sollten Menschen für eine gesunde Ernährung daher deutlich mehr Fisch, Fleisch, Eier und Milchprodukte essen, als ihnen derzeit zur Verfügung stehen.

Für Deutschland gilt das Gegenteil. Zwar sinkt der Verzehr von Fleisch hierzulande seit Jahren erkennbar. Mit rund 160 Gramm Fleisch pro Kopf und Tag gelangt in der Bundesrepublik aber noch immer deutlich zu viel Tier auf den Teller. Durchschnittlich ein Drittel dieser Menge – und davon wiederum nur ein Drittel Rind, Lamm oder Schwein – wäre für den Planeten laut Kommission noch akzeptabel.

Planetary Health Diet = Gesunde Mittelmeerdiät

„Das bedeutet nicht, jeden Tag mit der Waage in der Küche zu hantieren“, sagt Lisa Pörtner. Es gehe darum, vor allem pflanzenbasierte Gerichte zu essen, gelegentlich Fisch und sehr selten ein Stück Fleisch. Milchprodukte sind keine Alternative. Auch sie sollten nur in Maßen verzehrt werden. Würden die Deutschen Milch nur trinken, kämen sie dem für die Zukunft des Planeten akzeptablen Maß zwar nahe. Aber die weitaus größere Menge wird zusätzlich in konzentrierter Form genossen: als Butter, Sahne, Käse und Joghurt.

Was aber isst man, wenn Gäste kommen, die sich auf einen Braten freuen? „Sich im Geiste der Planetary Health zu ernähren kann sehr sinnlich, sogar festlich sein und große Freude machen“, sagt Martin Herrmann. Es handle sich immerhin um eine Ernährung, wie sie in vielen Ländern einmal üblich gewesen sei. „Die traditionelle italienische Küche zum Beispiel entspricht im Wesentlichen der Planetary Health Diet, mit einem Anteil Fisch, wenig Fleisch, dafür viel Gemüse, Hülsenfrüchte, Samen und Nüsse.“ Es lohne sich, gemeinsam zu experimentieren. „Man kann sich gegenseitig anstecken, indem man etwas ausprobiert, andere einlädt“, erklärt der Arzt. „Nach und nach werden immer mehr Menschen merken: Das schmeckt ja toll!“

Effektiv: Nachhaltiges Essen in Gemeinschaftseinrichtungen anbieten

„Es gibt verschiedene Möglichkeiten“, sagt Corinna Hawkes, Mitglied der EAT-Lancet-Kommission und Expertin für Ernährungspolitik an der City University of London. Ein erster Schritt, um der Planetary Health Diet Vorschub zu leisten, sei zum Beispiel die Gemeinschaftsverpflegung. „Wenn Schulen, Kindergärten, Gefängnisse, die Kantinen am Arbeitsplatz oder auch das Militär damit beginnen, nachhaltiges Essen im Sinne der Planetary Health anzubieten, wäre das schon ein großer Schritt“, sagt Hawkes.

Genau daran arbeitet derzeit Lisa Pörtner in einem Projekt der Berliner Charité, das die Verpflegung von Patientinnen und Patienten sowie dem medizinischen Personal neu gestalten soll. Ebenfalls in Berlin gibt es die „Kantine Zukunft“, von der sich Küchenteams beraten und schulen lassen können, um stärker pflanzenbasiert, zugleich aber auch regional und saisonal für viele Menschen zu kochen.

Die Klimakrise ist da. Aber, betonen die Vertreter von Planetary Health: Es ist nie zu spät, etwas zu tun. Per Fugelli, der vor 30 Jahren die Diagnose gestellt hat, betonte, nicht vorschnell aufzugeben. Die Patientin ist krank, ja. Aber wie in der Medizin bleibe immer die Hoffnung, dass die Therapie ihr helfen kann.

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Quellen:

  • Statista: Pro-Kopf-Konsum von Zucker in Deutschland in den Jahren 1950/51 bis 2020/21 . Online: https://de.statista.com/... (Abgerufen am 26.07.2022)
  • Statista: Statistiken zu Milch und Milchprodukten. Online: https://de.statista.com/... (Abgerufen am 26.07.2022)
  • Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung: Versorgungsbilanz Fleisch und Geflügel. Online: https://www.ble.de/... (Abgerufen am 26.07.2022)
  • Bundeszentrum für Ernährung: Planetary Health Diet, Speiseplan für eine gesunde und nachhaltige Ernährung. Online: https://www.bzfe.de/... (Abgerufen am 26.07.2022)
  • Donanto Foundation: Fighting our Food Fallacy. Online: https://donanto.org/... (Abgerufen am 26.07.2022)
  • Heinrich Böll Stiftung: Fleischatlas 2021. Online: https://www.boell.de/... (Abgerufen am 26.07.2022)
  • Speiseräume F+B GmbH: Kantine der Zukunft. Online: https://kantine-zukunft.de/... (Abgerufen am 26.07.2022)
  • Institut für Public Health, Charité Berlin: Umsetzbarkeit der Planetary Health Diet in Einrichtungen des Gesundheitswesens – ökologische, gesundheitliche und ökonomische Aspekte. Online: https://iph.charite.de/... (Abgerufen am 26.07.2022)
  • Rockström, J et al: Planetary Boundaries: Exploring the Safe Operating Space for Humanity . Ecology and Society: https://www.ecologyandsociety.org/... (Abgerufen am 26.07.2022)
  • Romanello, M et al: The 2021 report of the Lancet Countdown on health and climate change: code red for a healthy future. The Lancet: https://www.thelancet.com/... (Abgerufen am 26.07.2022)
  • KLUG Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit: KLUG Über uns. Online: https://www.klimawandel-gesundheit.de/... (Abgerufen am 26.07.2022)
  • Willett, W et al: Food in the Anthropocene: , the EAT–Lancet Commission on healthy diets from sustainable food systems. The Lancet: https://www.thelancet.com/... (Abgerufen am 26.07.2022)
  • EAT-Lancet: How was the EAT-Lancet Commission funded. Online: https://eatforum.org/... (Abgerufen am 26.07.2022)
  • Per Fugelli: In Search of a Global Medicine. Forum for Developmental Studies: https://www.med.uio.no/... (Abgerufen am 26.07.2022)