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Vier-Sterne-Wellness-Urlaub inklusive Mikrobiomanalyse. Ja, das könnten Sie so buchen. Recherchiert man sich durch die verschiedenen Angebote, bekommt man den Eindruck: Wer gut auf sich und seine Gesundheit achten möchte, für den ist die
Mikrobiomanalyse ein Muss. Inzwischen kann man auf verschiedenste Weise in die Welt der eigenen Darmflora eintauchen. Es gibt Tests für zu Hause, Labore bieten unterschiedlichste Pakete an. Kauft man das günstigere, wird nur ausgewertet, wie die Verteilung von „guten“ zu „schlechten“ Darmbakterien ist. Für mehr Geld (bis zu 300 Euro) kann man aber auch viele einzelne Bakterienarten genetisch bestimmen lassen – und erhält eine Darstellung, wie die Arten verteilt sind.

Manche Anbieter haben auch gleich die entsprechenden Nahrungsergänzungsmittel oder eine Ernährungsberatung im Angebot, wenn die Analyse leider einen Mangel an „guten“ Bakterien aufzeigt. Praktisch. Aber kann man sich auf diese Empfehlungen verlassen? „Das ist alles eine große Geldmachmaschine“, so lautet das Urteil von Dr.
Viola Andresen, Oberärztin an der Medizinischen Klinik des Israelitischen Krankenhauses Hamburg und Leiterin des Ernährungsteams. Unser Stuhlgang besteht aus 25 bis 50 Prozent Bakterien, dementsprechend viele leben in unserem Darm. Ohne sie ist eine „normale“ Verdauung nicht denkbar. Manche nützen durch ihre Produkte dem Darm und dem Immunsystem.

Andere, wie der Bakterienstamm der Firmicutes, können aus Nahrung durch spezielle Aufspaltung besonders viel Energie (Kalorien) herausholen. Diese Stämme waren in manchen Untersuchungen bei Übergewichtigen mehr vorhanden. Wenn Anbieter von Mikrobiom- analysen von „schlechten“ Bakterien sprechen, sind daher häufig Firmicutes gemeint. Andresen versteht diese Einteilungen nicht: „Eigentlich gibt es keine Normwerte. Diese Auswertung: zu wenig von Bakterium XY, das hat also absolut keinen wissenschaftlichen Hintergrund.“

Unser Mikrobiom ist so individuell und unterschiedlich wie die Menschen selbst. „Verschiedene Bakterien können unterschiedliche Aufgaben bei zwei Menschen übernehmen. Das heißt, das Mikrobiom ist bei diesen zwei Personen nicht gleich, beide sind aber gesund, einfach weil die Aufgaben der Bakterien verschieden verteilt sind. Die Bakterien tauschen sogar ihre Fähigkeiten aus“, erklärt Andresen.

Manchmal gibt es von den Anbietern nach der Analyse den allgemeinen Ratschlag, sich ballaststoffreicher zu ernähren. Dies fördert eine größere Vielfalt der Bakterien. „Aber dass zum Beispiel die mediterrane Ernährung gut ist für das Mikrobiom, ist allgemein bekannt. Dafür braucht es nicht extra einen Stuhltest“, so Andresen. Denn eine individuelle Empfehlung, je nach Mikrobiom-Zusammensetzung – wie es die Firmen versprechen – macht nach aktueller Studienlage keinen Sinn.

„Wir stehen am Anfang der komplizierten Mikrobiom-Forschung. In zehn Jahren wissen wir vielleicht schon mehr und können sinnvolle Erkenntnisse aus Stuhlproben gewinnen und Konsequenzen ziehen – aber jetzt noch nicht“, sagt Andresen. Es sei schade: Dank molekularbiologischer Technik könne man Unmengen an Daten finden – aber nicht interpretieren. Ähnlich fällt die Bewertung der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten aus. Sie rät von den teuren Analysen ab, da derzeit aufgrund der fehlenden Forschung noch keine sinnvollen Konsequenzen aus dem Ergebnis gezogen werden können.

Sicher ist: Leidet jemand unter schwerwiegenderen Problemen wie häufigen Durchfäl-
len, Bauchschmerzen oder sogar blutigem Stuhlgang, ist dringend eine ärztliche Vorstellung angeraten. Denn nur durch weitere Untersuchungen, etwa eine Darmspiegelung, lassen sich ernste Probleme wie chronisch entzündliche Darmerkrankungen feststellen oder ausschließen. Die Mikrobiomanalyse jedoch ist überflüssig und zudem sehr teuer. Die Kosten werden – aufgrund fehlender Belege für Vorteile – nicht von den Kassen übernommen. Ob Ernährungsumstellung oder Nahrungsergänzungsmittel Sinn machen, lässt sich aufgrund der Mikrobiomanalyse ebenfalls nicht sagen.


Quellen:

  • Bojanova D, Bordenstein S: Fecal Transplants: What Is Being Transferred?. In: PLOS Biology 12.07.2016, 14: 7
  • DGVS : Teuer und sinnlos: DGVS rät von Stuhltests zur Analyse des Darm-Mikrobioms ab. https://www.dgvs.de/... (Abgerufen am 14.07.2022)
  • Verbraucherservice Bayern e. V.: Ernährung, Top oder Flop? Darmtests für zuhause. https://www.verbraucherservice-bayern.de/... (Abgerufen am 14.07.2022)
  • Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V.: Ernährung und Mikrobiom – Spannende Einblicke in die Forschung, Wissenschaftliches Symposium der DGE am 29. September 2021. https://www.dge.de/... (Abgerufen am 14.07.2022)
  • Sender R, Fuchs S, Milo R: Are We Really Vastly Outnumbered?, Revisiting the Ratio of Bacterial to Host Cells in Humans. . In: Cell 01.01.2016, 164: 337-340