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Zu dem romantischen Hochtal am Fuße von Fast-Dreitausendern wie der majestätischen Madrisa führt gerade mal eine einzige Straße. Und die endet auch gleich hinter Gargellen. Kurz: Wer den Weg in den Hochgebirgswinkel auf rund 1400 Metern Höhe einschlägt, sucht bewusst die Natur und Abgelegenheit eines Talschlusses. Doch von wegen tote Hose! Selbst wenn in dem im Grenzgebiet zur Schweiz gelegenen Ort gerade einmal 110 Einwohner leben – Abwechslung gibt es mehr als genug.

Zum Beispiel jedes Jahr beim Theaterstück „Auf der Flucht“. Basierend auf Zeitzeugenberichten, historischen Dokumenten und literarischen Texten von Franz Werfel, Jura Soyfer und anderen nimmt das Drama die Zuschauer mit auf eine Reise in die Vergangenheit – und auf eine mehrstündige, rund 500 Höhenmeter umfassende Wanderung. Die Bühne wechselt, das Publikum zieht mit. Von Akt zu Akt. Allein die Gehzeit liegt bei zweieinhalb Stunden. Insgesamt dauert die Veranstaltung locker doppelt so lang. „Mit guten Wanderschuhen, Tritt­sicherheit und einer gewissen Grundkondition schafft man das problemlos“, versichert Friedrich Juen. Der 53-Jährige Gargellner muss es wissen: Er ist auch im zehnten Jubiläumsjahr als Wanderbegleiter tätig.

An drei Wochenenden (15.–17.7., 26.–28.8., 2.–4.9., Tickets 42 Euro) empfängt Juen das rund 40 Personen umfassende Publikum morgens vor der Kirche. Hier, mitten in Gargellen, findet der erste Akt statt. Danach setzt sich der Pulk in Bewegung. Den fünf Schauspielern des „teatro caprile“ wird – dafür sorgt Juen – etwas Vorsprung gewährt. So können sie sich am nächsten Open-Air-Spielort umziehen und einstimmen, bevor sie dem kurz danach eintreffenden Publikum die nächste Szene darbieten. Mal im Wald, mal auf der Bergwiese, mal vor einer Alphütte. Immer anders, immer ohne technische Verstärkung. Mikros und Scheinwerfer gibt es nicht, dafür eine Aufführungsgarantie: Die Darstellung findet bei jedem Wetter statt. „Bei Nebel oder Regen wird ganz besonders deutlich, dass eine Flucht kein Zuckerschlecken ist“, sagt Juen, dessen Großonkel selbst vor den Nazis flüchten musste. Eben genau hier. „Der Wanderweg hinauf zur Rongg- und zur Röbialpe ist nicht zufällig gewählt“, erklärt die Schauspielerin Katharina Grabher, „es ist einer jener Orte, an dem sich schicksalhafte Szenen abgespielt haben.“

Für Juen kam die Schauspielerei nie infrage. Er mimt lieber den Erzähler, begleitet die Zuschauerinnen und Zuschauer zwischen den Akten, beantwortet deren Fragen – auch bei der Brotzeit am herrlichen Aussichtspunkt an der Oberen Röbi auf über 1900 Metern. Ist Gargellen vielleicht nur etwas für Reisende mit Hang zu ernsten Themen? Mitnichten. In der Wandersaison von Ende Juni bis September kommen bewegungsfreudige Naturfans voll auf ihre Kosten. Dutzende Rad- und Wanderwege liegen direkt vor der Haustür. Von der Bergstation der Schafbergbahn geht es ­etwa zum magischen Gandasee, auf dem Schmugglerwanderweg hinüber zum Gafierjoch oder zum Klettersteig auf die Gargellner Köpfe. Apropos Klettersteig: Durch die Röbischlucht führt eine besonders attraktive Route direkt über den gurgelnden Röbibach und seine schönen Gumpen. Dank Schwierigkeitsgrad B/C eignet sich die insgesamt rund eineinhalbstün­dige Tour auch für Kinder, Einsteigerinnen und Einsteiger. Wer ganz viel Zeit hat, nimmt sich die 13 Tagesetappen der „Montafoner Hüttenrunde“ vor. Sie führt gleich durch mehrere Gebirgsgruppen: das von verwunschenen Mooren und Seen gesäumte tundraartige Verwall, das kalkige, dolomitenhafte Rätikon und schließlich die rauen Dreitausender der Silvrettagruppe hinter Gargellen. Da gerät Friedrich Juen einfach ins Schwärmen. Voller Stolz sagt er: „Vor Jahrmillionen ist hier im Montafon auf kleinster Fläche die wohl größte geologische Mannigfaltigkeit der Alpen entstanden.“


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