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„Das ist ein Meilenstein für die Früherkennung“, freut sich Krebsmediziner Professor Martin Widschwendter, Leiter des verantwortlichen Forschungsteams. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten zeigen: Die Zellen im Gebärmutterhals einer Frau spiegeln auch das Krebsrisiko in ihrer Brust und ihren Eierstöcken wider. In Zukunft könnte daher ein einfach zu gewinnender Gebärmutterhals-Abstrich ausreichen, um das individuelle Risiko für gleich mehrere Tumorarten zu bestimmen.

Das wäre hoch erwünscht, sagt auch Professorin Barbara Schmalfeldt, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Gynäkologie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. „Für Frauen unter 45 gibt es aktuell keine Methode, das Risiko für Brustkrebs zu erkennen. Für Eierstockkrebs existiert gar keine routinemäßige Früherkennung.“ Die Ultraschalluntersuchung, die Frauenärztinnen und -ärzte ihren Patientinnen hierzu anbieten, müssen diese selbst bezahlen – und sie ist unter Fachleuten umstritten.

Ändern könnten diese unbefriedigende Situation Erkenntnisse aus der Epigenetik. Dieser Wissenschaftszweig hat schon länger aufgeräumt mit der Annahme, unser genetische Ausstattung wäre einmal festgelegt und würde sich anschließend nicht mehr verändern. Inzwischen ist klar: Gene können – ähnlich wie eine Lampe – an- und ausgeknipst werden. Fachleute sprechen von Methylierung beziehungsweise Demythelierung.

Bei Brustkrebs findet sich ein verändertes Methylierungsmuster in bestimmten Zellen der Brust. Das Team in Innsbruck konnte zeigen: Diese Veränderungen finden sich bei Brust- und Eierstockkrebspatientinnen auch in den Zellen im Gebärmutterhals. Hier sind sie leichter zu entnehmen – mit einem Abstrich statt mit Gewebeproben.

Wie schon geschrieben, konnte die Epigenetik belegen, dass unsere Gene sich im Laufe unseres Lebens verändern. Was genau diese Veränderungen hervorruft und beeinflusst, ist allerdings noch nicht vollständig erforscht. Die meisten Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass hier viele Dinge eine Rolle spielen, die auch unsere Gesundheit beeinflussen – zum Beispiel Rauchen oder unsere Ernährungsweise.

Im Zusammenhang mit gynäkologischen Krebsarten stehen Hormone im Fokus, genauer Progesteron. Es reguliert im Körper der Frau normalerweise Vorgänge wie den Menstruations­zyklus. Ist der Spiegel des Hormons allerdings über Jahrzehnte erhöht, kann das die DNA-Methylierung behindern. Zugleich wird der sogenannte programmierte Zelltod gehemmt. Das heißt: Entartete Zellen sterben nicht ab, sondern vermehren sich weiter. Daraus kann dann ein Tumor erwachsen. „Wir haben uns gefragt, ob sich das veränderte ­Methylierungsmuster bei Brust- und Eierstockkrebs auch in den Epithelzellen des Gebärmutterhalses findet“, erläutert Krebsexperte Widschwendter. Die Antwort lautet: Ja, dort treten ebenfalls die Veränderungen auf.

Das Innsbrucker Forschungsteam um Widschwendter hat den WID („Women’s Cancer Risk Identification“)- Index entwickelt. Er erfasst anhand einer einzigen Probe, ob die sogenannten Epithelzellen des Gebärmutterhalses eine veränderte Methylierung aufweisen. Dieser Test wird für Brust- und Eierstockkrebs gesondert durchgeführt. „Je stärker die Veränderung des Methylierungsmusters an bestimmten Punkten der DNA, desto höher das Krebsrisiko“, erläutert Widschwendter.

Weitere wissenschaftliche Studien müssen nun belegen, ob der WID-Test den Erfolg von Vorsorgemaßnahmen steigern kann. Ergibt der Abstrich zum Beispiel ein hohes Brustkrebsrisiko, könnten ein Brust-MRT oder spezifische Vorsorgemaßnahmen folgen. „Entscheidend ist jetzt, wie sicher der Test ist“, betont Expertin Schmalfeldt. Dies sei gerade bei der Prävention von Eierstockkrebs wichtig. „Die Entfernung der Eierstöcke ist derzeit die einzige Methode, um vorzubeugen. Da wäre ein falsch-positives Ergebnis fatal.“ Denn dann gäbe es Frauen, die sich dieser einschneidenden Operation grundlos unterziehen.

Für die relativ junge Wissenschaftsrichtung der Epigenetik wäre die Einführung eines solches Tests ein riesiger Schritt – von der Grundlagenforschung hin zu einer Routineanwendung in der Praxis. Doch was würde der Test für Patientinnen bedeuten?

Erst einmal nichts. Der Test befindet sich aktuell noch nicht in der Anwendung. Bewährt sich das Verfahren, schätzt Martin Widschwendter, könnte es in rund fünf Jahren für Routineuntersuchungen bei Frauenärztinnen und -ärzten zur Verfügung stehen.

Sollte es tatsächlich so weit kommen, wäre das in der Tat ein Meilenstein. Denn: Dieses Verfahren würde ein erhöhtes Risiko aufdecken – möglicherweise lange bevor sich Krebs überhaupt entwickelt. „Die Methode lässt sich prinzipiell auch in der Prävention einsetzen, denn sie zeigt veränderte Epithelzellen, bevor ein Tumor entsteht“, betont Widschwendter. Das heißt: Statt einer Brustkrebsfrüherkennung wäre eine Vorsorge möglich. Und bei Eierstockkrebs hätte die Medizin endlich überhaupt etwas in der Hand, um hier schneller einzugreifen als bisher.

Was aber unbedingt erwähnt werden muss: Das Ergebnis dieses Tests könnte viele Frauen – vor allem solche, die noch keine Familie gegründet haben – vor schwere Entscheidungen stellen. Denn um bei einem erhöhten Risiko das Entstehen von Tumoren sicher zu verhindern, existiert aktuell nur eine Möglichkeit: Brustgewebe und Eierstöcke müssen entfernt werden. Der Beratungsbedarf zu diesem Thema dürfte in den gynäkologischen Praxen deshalb vor allem bei jüngeren Patientinnen sprunghaft ansteigen.

Der Abstrich selbst dagegen würde für Frauenärztinnen und -ärzte kaum Mehraufwand bedeuten. Der sogenannte Pap-Test ist bereits eine Routineuntersuchung in gynäkologischen Praxen und trägt schon heute effektiv zur Früher­kennung von Gebärmutterhalskrebs bei. Die Entnahme der Zellen kann hier weit weniger invasiv erfolgen als zum Beispiel bei einer Biopsie des Brustgewebes.


Quellen:

  • James E Barrett 1 2 3 , Allison Jones 3 , Iona Evans 3 , Daniel Reisel 3 , Chiara Herzog 1 2 , Kantaraja Chindera 3 , Mark Kristiansen 4 , Olivia C Leavy 5 6 , Ranjit Manchanda 7 8 9 , Line Bjørge 10 11 , Michal Zikan 12 13 , David Cibula 13 , Martin Widschwendter 14 15 16 17: The DNA methylome of cervical cells can predict the presence of ovarian cancer. In: Nature communications 01.02.2022, 13: 448-459
  • Barrett JE, Herzog C, Jones A, Leavy OC, Evans I, Knapp S, Reisel D, Nazarenko T, Kim YN, Franchi D, Ryan A, Franks J, Bjørge L, Zikan M, Cibula D, Harbeck N, Colombo N, Dudbridge F, Jones L, Sundström K, Dillner J, Rådestad AF, Gemzell-Danielsson K, Pashayan N, Widschwendter M.: The WID-BC-index identifies women with primary poor prognostic breast cancer based on DNA methylation in cervical samples.. Nature communications: https://www.nature.com/... (Abgerufen am 28.06.2023)
  • DKFZ Heidelberg: Schutzschild gegen Krebs, Methyl-Markierung des Erbguts bremst Tumorwachstum. Pressemitteilung: https://www.dkfz.de/... (Abgerufen am 28.03.2022)