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Als würde die Verdauung auf einmal verrücktspielen – und nicht mehr damit aufhören: Krämpfe, Blähungen oder im Wechsel Durchfall und Verstopfung. Je nach Schätzung leiden bis zu elf Millionen Menschen in Deutschland am sogenannten Reizdarm-Syndrom (RDS). Doch bis es zu einer solchen Diagnose kommt, ist es oft ein langer Weg. Und um den Auslösern auf die Schliche zu kommen, ist anschließend ein gewisser Spürsinn gefragt. Ein guter Tipp: Häufig liegt der Grund für den Aufruhr im Bauch auf dem Teller. Diese Erkenntnis ist mittlerweile auch in die Behandlungsleitlinie eingeflossen.

„Beim Reizdarm ist es so, dass der Darm an sich ein Problem hat und gewisse Nahrungsmittel, die bei Gesunden kein Problem sind, nicht ohne weiteres toleriert – auch deswegen hat die neue Leitlinie zum Reizdarmsyndrom nun einen besonderen Fokus auf das Thema Ernährung erhalten“, erklärt Professor Peter Layer. Er ist ärztlicher Direktor am Israelitischen Krankenhaus in Hamburg und hat die Arbeit an der im Juni 2021 veröffentlichten Therapieleitlinie koordiniert. „In älteren Leitlinien war das Thema nur ein Nebenaspekt, aber viele Studien haben inzwischen gezeigt, dass eine Ernährungsumstellung bei vielen Reizdarmpatienten eine erhebliche Linderung der Symptome mit sich bringen kann.“

Die Hauptverdächtigen sind: Weizen, Hefe, Milch, Ei und vor allem sogenannte FODMAPs. Gemeint sind damit schnell vergärende Kohlenhydrate, wie sie beispielsweise in Süßigkeiten, Brot, Milchprodukten, Steinobst oder Kohl stecken. Ein Verzicht kann hier laut Mediziner Layer insbesondere bei Blähungen helfen.

Bevor Betroffene ihren Speiseplan analysieren, sollte der Weg aber zunächst zu Hausärztin oder Hausarzt führen. Denn beim RDS handelt es sich immer um eine sogenannte Ausschlussdiagnose „In der Praxis können andere Ursachen für die Darmbeschwerden ausgeschlossen werden – darunter auch die Glutenunverträglichkeit, die mit einem einfachen Bluttest geprüft werden kann. Oder Nahrungsmittelallergien“, erläutert Professorin Yurdagül Zopf, die am Universitätsklinikum Erlangen die Zusammenhänge von RDS und Ernährung genauer untersucht. Vor allem bei Alarmzeichen wie Blut im Stuhl, Fieber oder familiärer Krebsbelastung sollte nicht mit einem Arztbesuch gezögert werden.

Ist Schlimmeres ausgeschlossen, wird dann tatsächlich häufig ein Reizdarm diagnostiziert. „Oft ist es so, dass Menschen mit diagnostiziertem Reizdarm schon immer leichte, aber nie nennenswerte Probleme mit der Verdauung hatten. Aber irgendwann bringt eben zum Beispiel eine Antibiotikabehandlung oder ein Infekt die Verdauung aus dem Gleichgewicht und sorgt dauerhaft für Beschwerden“, berichtet Expertin Zopf. Mit der Diagnose allein ist allerdings noch niemandem wirklich geholfen. Denn nun gilt es herauszufinden, was genau die Symptome auslöst. Die Spurensuche beginnt.

Aber: Bevor Betroffene jetzt radikal den Rotstift am Speiseplan ansetzen, lieber innehalten. „Wichtig ist, dass man sich zunächst Zeit nimmt und einen Blick auf das Ernährungsverhalten und den Lebensstil wirft“, betont Zopf. Denn eventuell sind die Auslöser gar nicht die Nahrungsbestandteile selbst, sondern wie diese verarbeitet wurden. „Stark industriell verarbeitete Lebensmittel mit ihren vielen Zusatzstoffen, zu viel Zucker und Salz – das ist auf Dauer Gift für unseren Darm“, erläutert Zopf und ergänzt: „Ich bin mir sicher, dass ein Großteil der Reizdarm-Patienten wesentlich weniger Beschwerden hätten, wenn sie nur wenig verarbeitete Produkte und ordentliches Sauerteigbrot bei einem ordentlichen Bäcker kaufen würden.“ Und die These mit dem Brot ist nicht aus der Luft gegriffen.

Eine 2020 im Fachblatt Journal of Cereal Science veröffentlichte Studie der Universität Hohenheim hat untersucht, wie sich Rohstoffe und Backprozess bei der Brotherstellung im Hinblick auf das Reizdarm-Syndrom auswirken. Beziehungsweise auf den FODMAP-Gehalt. Diese bestimmten Kohlenhydrate werden im Korn gespeichert und gelten als möglicher Auslöser für Reizdarmsymptome. Denn sie können im Dünndarm der Betroffenen nicht ausreichend abgebaut werden. Als Folge bilden sich im Dickdarm daraus Wasserstoff, Kohlendioxid und Methan. Oder mit anderen Worten: Blähungen. Die Forschenden nahmen an, dass die Hefen oder Bakterien im Sauerteig die FODMAPs abbauen – wenn man denn ihnen genügend Zeit lässt. Und genau das ist der Fall. Bereits nach zwei Stunden Gärzeit sank der FODMAP-Anteil um 75 Prozent.

Eine weitere Hilfe für Menschen mit Reizdarm kann laut Expertin Zopf ein Ernährungstagebuch sein. Dort wird genau festgehalten, was man über den Tag zu sich nimmt – und wann welche Beschwerden auftreten. „Dadurch können RDS-Patienten selbst Zusammenhänge feststellen. Und so eine Anamnese ist zudem für die weitere Diagnostik sehr hilfreich.“ Denn wenn eine erste sanfte Ernährungsumstellung keine Besserung bringt, wird sich auf die weiteren Hauptverdächtigen konzentriert: Weizen, Hefe, Milch und Ei. „Zuvor sollten jedoch Allergien und Kreuzallergien abgeklärt werden. Denn wer zum Beispiel eine Birkenpollenallergie hat, kann auch entsprechend auf Weizen mit einer atypischen Allergie, also zeitverzögert, reagieren“, sagt Medizinerin Zopf. „Erst dann, wenn Fertigprodukte und Allergien als Auslöser ausgeschlossen werden können, würde ich bestimmte Lebensmittel für eine gewisse Zeit auslassen. Mit dem Weizen würde ich anfangen.“

Zwei Wochen nach Ernährungsumstellung sollten sich die Symptome bereits gebessert haben. „Dann ist es jedoch wichtig, das Nahrungsmittel wieder zuzuführen, um zu sehen, ob die Beschwerden wieder auftreten“, erklärt Zopf. Denn nicht selten steckt doch ein anderer Auslöser dahinter – etwa ein bestimmtes, hochverarbeitetes Produkt, nicht aber das Nahrungsmittel selbst.

Die Taktik des Weglassens sei ohnehin nicht förderlich: „Ich habe so viele Patientinnen und Patienten, die nur noch ganz wenige Nahrungsmittel zu sich nehmen – aus Angst, die Symptome wieder zu verstärken.“ Das kann am Ende kontraproduktiv sein. „Unser Darm hat eine ständige Toleranz. Lässt man etwas lange Zeit weg, verliert der Darm diese Toleranz und reagiert heftiger“, betont Zopf. Auch deswegen rät die Expertin dringend davon ab, sich auf eigene Faust intensiver auf Spurensuche zu begeben: „Ich kann nur dazu raten, das gemeinsam mit einer Fachkraft zu machen – denn Patienten machen hier oft Fehler. Zum Beispiel bei den FODMAPs.“

„Da gibt es im Internet lange Listen von Nahrungsmitteln, die diese Kohlenhydrate enthalten – und Patienten, die dann alles, was dort steht, weglassen. Das ist gefährlich.“ Die Gastroenterologin empfiehlt, die Veränderungen des Speiseplans ausschließlich in Begleitung eines Ernährungsmediziners oder spezialisierten Ernährungsberaterinnen zu planen. Versicherte erkundigen sich am besten vorab bei ihrer Krankenkasse, ob und in welchem Umfang die Kosten für eine Ernährungsberatung übernommen werden.


Quellen:

  • Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS): Reizdarmsyndrom. Leitlinie: 2021. https://www.dgvs.de/... (Abgerufen am 22.03.2022)

  • Würschum et al.: Influence of wheat variety and dough preparation on FODMAP content in yeast-leavened wheat breads. In: Journal of Cereal Science 01.09.2020, 95: 0