Künstliche Ernährung mit Sondenkost

Sondenkost hilft, wenn Betroffene nicht mehr alleine essen können
© W&B/Dr. Ulrike Möhle
Einen Löffel Spargelsuppe darf sie noch essen. "Aber wenn sie Klümpchen hat, melde ich mich sofort", sagt Uta D. Seit einem Hirnschlag vor sechs Jahren kann die 81-Jährige kaum noch schlucken – durch eine Kanüle in der Luftröhre saugen Pflegekräfte ständig Schleim ab. Rutscht ein Bissen in die Luftröhre, droht Lebensgefahr. "Deshalb kriege ich ja fast nur dieses Essen", erzählt die Münchnerin und zeigt auf eine Plastikflasche, die neben ihrem Sessel am Infusionsständer hängt. Darin steckt D.s Mittagsmahl.
Von der Sonde in den Magen
Die Rentnerin muss es weder kauen noch schlucken. Das flüssige Menü gelangt über einen Schlauch ohne Umweg in ihren Magen. So wie bei schätzungsweise 140.000 Schlaganfallkranken, Menschen im Wachkoma oder Patienten mit Tumoren im Rachenraum, die jährlich eine sogenannte PEG-Sonde erhalten.
Dieser spezielle Zugang zum Verdauungstrakt schützt Schwerkranke, die längere Zeit nichts oder kaum etwas essen, vor Mangelerscheinungen. Ohne aufwendige Infusionstherapie, betont Dr. Maria-Franziska Flock: "Künstliche Ernährung ist auch in der häuslichen Pflege machbar", sagt die Apothekerin und Ernährungsexpertin aus Mannheim.
Sondenkost: Nicht ohne Pflegedienst
Ohne Profis geht es aber nicht. Auch Uta D. aus München braucht Hilfe. Rund um die Uhr kümmert sich ein ambulanter Intensivpflegedienst um die Witwe. Heute ist Sandra Werda da. Sanft schiebt die Krankenschwester den Pullover der 81-Jährigen hoch und blickt auf den Bauch der Seniorin. "Alles prima." Die Stelle, an der die Sonde durch die Haut tritt, ist weder rot noch eitrig. Vorsichtig bewegt Sandra Werda den Schlauch ein Stück vor und zurück, um zu vermeiden, dass er mit der Haut verwächst.
Nur wer das nötige Know-how mitbringt, darf an dem Magenkatheter hantieren. "Betroffene oder Familienmitglieder sollten sich vorher von Mitarbeitern der ambulanten Pflege und Sondenspezialisten schulen lassen", betont Marc Scheliga aus Mannheim. Der Krankenpfleger berät neben Ärzten, Apothekern und Pflegepersonal auch Patienten und Angehörige im Umgang mit dem Schlauch und der Spezialkost.
Auch Medikamente werden über die Sonde verabreicht
"Viele haben anfangs Angst, etwas falsch zu machen", weiß der Mannheimer Sondenexperte aus Erfahrung. Die Scheu schwindet meist rasch, "vorausgesetzt, man wird nicht mit Infos überhäuft". Etwa beim Thema Verbandwechsel mit seinen strengen Hygieneregeln, der zunächst ausschließlich in die Hände von Profis gehört, sagt Scheliga. "Es bleibt noch genug übrig, was man lernen muss."
Die Lektion Geduld meistert Uta D. aus München mit Bravour. "Gucken Sie, die muss ich alle nehmen", sagt die Alleinlebende. Vor ihr auf dem Tisch türmen sich Arzneischachteln. Blutdruckpillen, Schmerztabletten, Magenmittel, Herzmedikamente. Acht Mittel sind es jeden Tag. Jedes einzelne löst Krankenschwester Sandra Werda in Wasser auf und gibt es im 20-Minuten-Abstand durch die Sonde. Ob Medikamente für die Sonde geeignet sind, muss vorher mit Arzt und Apotheker besprochen werden.
Tüftelarbeit für Profis ist auch das Berechnen der Spezialkost. Wie viel Sondenkost benötigt jemand? Und in welchem Tempo? "Frau D. hat anfangs zugenommen und Durchfall bekommen", erzählt Sandra Werda. Inzwischen läuft alles gut. "Sie erhält jeden Tag 1200 Kilokalorien über die Sonde", erklärt die Schwester. In gut verträglichen Portionen, 125 Milliliter pro Stunde befördert die Spezialpumpe in den Magen der Kranken.
Große Auswahl an Sondensystemen
Gut leben mit Sondenkost heißt ausprobieren – und feste Regeln befolgen: "Der Kranke muss während der Mahlzeit und eine Zeit danach sitzen, oder sein Oberkörper muss 30 Grad hoch gelagert sein", erklärt Apothekerin Flock aus Mannheim. Stößt die Kost übel auf, ist sie vielleicht zu kalt, verkeimt oder zu schnell eingelaufen. Erste Hilfe bietet dann womöglich ein magenfreundlicher Tee, den es im Beutel anzuhängen gilt. Nur in welchen? Die Auswahl an Sondensystemen plus Zubehör ist groß. Auch hier gilt: nicht einfach Hand anlegen, sondern Profis fragen.
Wenn sämtliche Speisen aus dem Beutel kommen, fühlt Sandra Werda mit: "Es tut mir weh, wenn jemand aus medizinischen Gründen nichts mehr essen darf." Aber die Krankenschwester weiß: Wer dennoch heimlich zum Lieblingskeks greift, bringt sich in große Gefahr. Auch Uta D. muss aufpassen. Ein Löffel Suppe ab und an haben die Ärzte ihr zwar ausdrücklich erlaubt, "aber nur, wenn jemand von uns dabei ist", betont Werda.
Genießen kann die 81-Jährige trotzdem: "Ich würde so gerne mal eine vegetarische Wurst ausprobieren." Püriert natürlich, fügt sie dann hinzu.
Sondenkost: Auf einen Blick
1. Verbinden
Pflegeprofis inspizieren die Einstichstelle und verbinden sie bei Bedarf. Heilt die Stelle gut ab, wird oft kein Verband angelegt.
2. Essen
Patienten dürfen je nach Grundleiden auch mal Joghurt oder ein bisschen Suppe löffeln. Aber nur, wenn es der Arzt erlaubt hat, und unter Aufsicht eines Pflegeprofis.
3. Dosieren
Die Kost läuft mithilfe einer Pumpe kontinuierlich über den Tag verteilt – oder man gibt sie portionsweise. Angebrochene Flaschen innerhalb eines Tages aufbrauchen.
4. Auswählen
Sondennahrung enthält alle lebenswichtigen Nährstoffe. Kalorien-, Flüssigkeits- und Eiweißgehalt wählt der Arzt nach Bedarf. Es gibt ballaststoffarme oder faserreiche Produkte.
5. Fragen
Wenn Nahrung ausflockt, die Haut um die Sonde wund wird, der Schlauch verstopft, einen Profi um Rat fragen. Nie in Eigenregie handeln und mit Gewalt Tabletten durch die Sonde drücken.