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Frau Keil, bei einer Mediation wird ein Konflikt konstruktiv gelöst, mit einer neutralen Person die zuhört. In der Pflege haben die meisten davon noch nie gehört. Warum?

Krankheit, Tod, Pflege, das sind immer noch Tabuthemen. Keiner sagt: Ich finde das eklig, ich will meiner Mutter nicht den Hintern abwischen. Schon gar nicht, wenn sie dabei ist. Aber weil man nicht darüber spricht, werden auch keine Regelungen getroffen. Und das macht es nur noch schlimmer.

Wer sind die Leute, die sich an Sie wenden?

Oft sind es Angehörige, die bei der Pflege die Hauptarbeit leisten. Die sagen: Ich kann nicht mehr, ich schmeiß hin, jetzt müsst ihr was machen. Leider kommen die meisten Leute erst, wenn die Hütte brennt. Wenn die Familie nicht mehr miteinander redet oder streitet. Oder, wenn einer ins Burnout schlittert. Man sieht unglaublich viel Leid als Mediator. Oft denke ich mir: Was hättet ihr euch erspart, hättet ihr euch am Anfang zusammengesetzt.

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Ich versuche, alle an einen Tisch zu bringen: die pflegebedürftige Person, aber auch die Angehörigen.

Mediatorin Katja Keil

Warum gibt es in der Pflege so viele Konflikte?

Wenn ein Pflegefall auftritt, ist das für die Familie oft völlig überraschend. Da wird erst mal das ganze System gekippt. Die Kinder werden zu Pflegenden, die Eltern verlieren ihren Elternstatus. Das sind Grenzerfahrungen für alle Beteiligten. Dazu kommt, dass oft alte Konflikte wieder aufbrechen. Mütter, die depressiv waren, Väter, bei denen die Hand locker saß. Dann denken sich Sohn oder Tochter vielleicht: Und die soll ich pflegen? Nicht euer Ernst! Manchmal wollen auch die Eltern nicht, dass ihr Kind sie pflegt. Aus einer unbewussten Angst heraus, da kommt vielleicht etwas zurück. Das ist schwierig. Aber darin liegt auch eine Chance, alte Sachen zu befrieden.

Wie läuft eine Mediation ab?

Ich mache Hausbesuche, weil eine Anreise für pflegende Angehörige oft nicht in Frage kommt. In der allerersten Sitzung kann es sinnvoll sein, alleine zu sprechen, ohne die pflegebedürftige Person. Dann sind die Angehörigen meist offener. Ich frage erst mal: Was ist Ihr Anliegen? Oft geht es um Fragen wie: Wie regeln wir das Finanzielle? Wie entlasten wir die Person, die pflegt? Soll unsere Mutter ins Heim? Da sind die Fronten oft verhärtet. Einer sagt: Auf keinen Fall! Der andere sagt: Doch, anders geht es nicht mehr! So sitzt man am Anfang oft da.

Und dann?

Dann sage ich zum Beispiel: Gemeinsam ist Ihnen, dass Sie wollen, dass es Ihrer Mutter gut geht. Dann kann man langsam gucken, was das für jeden bedeutet.

Wie sehen Sie Ihre Aufgabe als Mediatorin?

Ich versuche, alle an einen Tisch zu bringen: die pflegebedürftige Person, aber auch die Angehörigen. In der Mediation ist wichtig, dass alle gesehen werden: Großeltern, Eltern, Kinder, Enkelkinder. Jeder darf seine Sicht erklären. Ich sorge dafür, dass sich die Leute nicht anmaulen, nicht mit alten Vorwürfen zuknallen, sondern wertschätzend miteinander kommunizieren, mit Ich-Botschaften. Tun sie das nicht, greife ich ein. Ich stehe auf keiner Seite, bin kein Anwalt. Und ich bin frei von gesellschaftlichen Erwartungen, wie "du musst deine Mutter pflegen". In dem Moment muss keiner etwas. Ich höre zu und fasse zusammen, was gesagt wurde. Hab ich Sie richtig verstanden, dass Ihnen wichtig ist, dass der Haushalt Ihrer Mutter sauberer ist? So lassen sich Missverständnisse vermeiden. Dieses Wiederholen nimmt die Geschwindigkeit raus beim Sprechen.

Wie gehen Sie mit den Einschränkungen älterer Menschen um?

Ein normaler Mediator schreibt gern Stichpunkte auf Flipcharts. Damit sind alte Menschen oft überfordert. Die hören‘s nicht, sehen‘s nicht oder können nicht so lange sitzen. Man muss rücksichtsvoll sein, nachfragen: Geht es noch? Vielleicht gibt es einen Ruheraum, in dem man eine Pause einlegen kann. Wird es zu viel, kann man auch überlegen: Wo muss der ältere Mensch dabei sein? Und was können wir alleine besprechen? Wichtig ist auch, in einfachen Worten und kurzen Sätzen zu sprechen.

Was ist bei einer Demenz?

Das kommt auf den Grad der Demenz an. Man soll nicht von vornherein ausschließen, dass eine demente Person dabei ist. Mit manchen Fragetechniken kommt man trotzdem noch weit. Zum Beispiel: Eine demente alte Dame möchte, dass ihre Tochter Johanna ihr zum Geburtstag einen Kuchen bäckt. Aber Johanna ist nur noch im Stress. Wenn man der Dame sagt: Für Johanna ist es ganz schwierig, Zeit dafür zu finden. Möchten Sie, dass es für sie schwierig wird? Dann sagt auch eine demente Person oft: Nein, das möchte ich nicht.

Mal angenommen, ich möchte mit meiner pflegebedürftigen Mutter eine Mediation besuchen – aber sie will an keiner teilnehmen. Wie kann ich Sie überzeugen?

Wenn die Mutter noch unterwegs sein kann, könnten Sie sagen: Ich möchte dir jemanden vorstellen. Wir treffen uns auf neutralem Boden, gehen ein Käffchen trinken, ganz unverbindlich. Dann kann man das Thema vorsichtig einkreisen. Oft zeigt man sich Fremden gegenüber eher aufgeschlossen. Aber eine Mediation macht nur Sinn, wenn alle freiwillig teilnehmen. Wenn die Mutter nicht will, können Sie die Mediation ohne sie durchführen und ihr die Protokolle des Gesprächs zukommen lassen. Vielleicht gibt es dann doch Punkte, zu denen sie sich äußern möchte.

Katja Keil ist Expertin in "Altersmediation" - darunter versteht man die Mediation aller Konflikte, die mit dem Älterwerden zu tun haben. Sie weiß, was es heißt, zu pflegen: Ihr Vater hatte mit 81 Jahren einen Schlaganfall, die Eltern zogen bei ihr ein. 

Katja Keil ist Expertin in "Altersmediation" - darunter versteht man die Mediation aller Konflikte, die mit dem Älterwerden zu tun haben. Sie weiß, was es heißt, zu pflegen: Ihr Vater hatte mit 81 Jahren einen Schlaganfall, die Eltern zogen bei ihr ein.