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Eva war immer ein bisschen anders. Eine Spätentwicklerin, sagt ihre Mutter Christine P. In der Schule blieb sie zweimal sitzen, kam dann auf eine Sonderschule. Trotzdem ging sie ihren Weg. Mit 24 zog sie in eine eigene Wohnung. Sie reiste gern, arbeitete mit Begeisterung als Küchenhilfe in einer Kantine. Doch irgendwann merkte ihr Chef, dass etwas nicht stimmte. „Sie kam mit der Spülmaschine nicht mehr zurecht“, erinnert sich ihre Mutter. Mitte 50 war Eva da. Es folgten Untersuchungen, beim Hausarzt, beim Neurologen, schließlich die Diagnose: Alzheimer – und Down-Syndrom. Eva hatte eine seltene Form davon, die niemand bemerkt hatte.

Die erste ältere Generation

Gut alt werden – das wünschen sich auch Personen mit Trisomie 21. Ihre Lebenserwartung ist in den vergangenen 20 Jahren deutlich gestiegen, auch dank medizinischer Fortschritte. Inzwischen werden viele Menschen mit der Genvariante 60 Jahre oder älter. „Das ist die erste Generation von Menschen mit Down-Syndrom, die so alt wird“, sagt die Pflegewissenschaftlerin Prof. Dr. Anne Roll von der Hochschule für Gesundheit Bochum. Diese Gruppe muss stärker in den Blick rücken, fordert sie. Und das, obwohl sie sehr unterschiedlich ist. Das Down-Syndrom wirkt sich ganz verschieden aus: Manche führten wie Eva ein selbstständiges Leben, einige studieren sogar. Andere sind immer auf Hilfe angewiesen.

„Menschen mit Trisomie 21 altern vorzeitig“, so Roll. Sie können etwa früh schwerhörig werden oder Grauen Star bekommen. Betroffene haben oft einen Herzfehler und ein erhöhtes Risiko für Arthrose, Epilepsie und Schlafapnoe. Aus genetischen Gründen erkranken sie auch deutlich öfter an Alzheimer. „Die Krankheit tritt bei Menschen mit Down-Syndrom verhältnismäßig früh auf, in der Regel vor dem 60. Lebensjahr“, sagt Johannes Levin, Professor für klinische Neurodegeneration an der Neurologischen Klinik am LMU Klinikum in München. Dort hat er eine der wenigen Spezialambulanzen für Patienten mit Alzheimer und Down-Syndrom aufgebaut.

Levin kämpft dafür, dass Menschen mit Trisomie 21 eine bessere medizinische Versorgung bekommen. Denn bisher fehlt es oft an passgenauen Therapien. Medikamente gegen Alzheimer wurden zum Beispiel deutlich seltener an ihnen erprobt. Auch bei der Diagnose laufen sie häufig unter dem Radar – etwa, weil Vergesslichkeit bei geistigen Einschränkungen nicht so schnell auffällt.

Neben dem Gedächtnis könne auch das Verhalten ein Warnhinweis sein. „Wenn jemand mit Down-Syndrom ab dem 40. Lebensjahr Fähigkeiten und Angewohnheiten ändert, sollte man hellhörig werden“, rät Levin. Er empfiehlt regelmäßige Arztbesuche, damit Veränderungen rasch auffallen. Nicht immer steckt eine Demenz dahinter. „Bei Schlafapnoe sind Patienten tagsüber oft hundemüde und können sich deshalb nichts merken“, so Levin. Auch die häufige Schilddrüsen-Unterfunktion könne die Ursache sein.

Mutter und Tochter erzählen von ihren Erfahrungen:

„Die Welt wäre ohne Menschen mit Trisomie 21 um einiges ärmer. Das sind so fröhliche und herzliche Menschen! Für meine Tochter Jessica wünsche ich mir, dass sie auch im Alter später in ihrer Wohnanlage für behinderte Menschen bleiben kann. Viele Menschen mit Trisomie 21 entwickeln früh Alzheimer. Falls das bei Jessica eintritt, hoffe ich, dass die Einrichtung ihr Konzept so anpasst, dass sie dort weiterleben kann.“

Mutter Andrea Marmann-Leim, 61

„Ich bin mit 19 von zu Hause ausgezogen und lebe jetzt in einer Wohnanlage. Mir gefällt es hier. Die Betreuer sind nett, die Mitbewohner auch. Das Schönste ist, dass ich hier selbstständig bin – und die Mama nicht immer da ist! Wenn ich einmal alt bin, möchte ich hier bleiben.“

Tochter Jessica Leim, 31

Umdenken bei Angehörigen

Familien sind es oft gewohnt, die Person miteinzubinden und zu fördern. „Aber Aufforderungen wie ‚Bitte deck den Tisch‘ sind bei Menschen mit Demenz oft nicht mehr hilfreich, wenn jemand das nicht mehr kann“, sagt Roll. Wichtig sei es, die Person nicht zu korrigieren und ihre Gefühle ernst zu nehmen. Bei der Pflege helfe es, sich zusammen das eigene Unterstützungsnetzwerk bewusst zu machen. „Etwa Nachbarn, Freunde, aber auch der Hausarzt oder der Fahrer zur Werkstätte.“ Und: Frühzeitig Kontakt zu einem Pflegeheim aufzunehmen, dort einen Kaffee trinken oder das Sommerfest zu besuchen – das erleichtert den Umzug, falls notwendig.

Viele Menschen mit Trisomie 21 leben in Einrichtungen der Eingliederungshilfe, also nicht bei ihren Familien, sondern in Wohngruppen, von denen aus sie in Werkstätten gebracht werden. „Die meisten Einrichtungen haben als oberstes Ziel, dass die Person dort so lange wie möglich leben kann“, sagt Roll. Was aber, wenn jemand mehr Pflege braucht? Alten- und Pflegeheime seien auf Betroffene oft nicht gut vorbereitet – dann sitze etwa ein 60-Jähriger mit Trisomie unter lauter 95-Jährigen.

Die beste Lösung finden

Eva P. lebte nach der Diagnose noch mehrere Jahre allein. Ihre Familie unterstützte sie, dreimal am Tag kam ein Pflegedienst. Doch zum Schluss ging es nicht mehr. Die Eltern, beide über 80, kämpften selbst mit gesundheitlichen Problemen. Schweren Herzens suchten sie ein gutes Heim. „Wir haben das aufgrund unseres Alters gemacht“, sagt Mutter Christine P. Seit Sommer 2021 lebt Eva in einer Einrichtung. Für die Bewohner wird viel organisiert, vom Zeichnen bis zum Zoo-Ausflug. „Teilweise haben wir immer noch ein schlechtes Gewissen“, erzählt ihre Mutter. „Aber wenn Evi dann so lächelt, wissen wir, wir haben alles richtig gemacht.“

Nützliche Adressen

Bundesvereinigung Lebenshilfe (lebenshilfe.de)

Down-Syndrom-Netzwerk Deutschland e. V. (Down-Syndrom-Netzwerk.de)

Arbeitskreis Down-Syndrom Deutschland e. V. (Down-Syndrom.org)