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Medikamente gegen Erektionsstörungen, sogenannte PDE5-Hemmer wirken, indem sie bei sexueller Erregung die Durchblutung des Penis verbessern. Doch der Wirkstoff Sildenafil, besser bekannt unter Markennamen wie Viagra, verbessert auch den Blutfluss im Gehirn. Dadurch könnte er vielleicht eine sogenannte vaskuläre Demenz verhindern. Das legt zumindest eine aktuelle Studie nahe, die vor kurzem im Fachmagazin „Circulation Research“ veröffentlicht wurde. Was ist dran?

Was ist eine vaskuläre Demenz?

Allein in Deutschland leben rund 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung. Betroffene leiden unter fortschreitenden Gedächtnis- und Konzentrationsproblemen.

  • Rund 70 Prozent der Menschen mit Demenz haben die Alzheimer-Krankheit.
  • Am zweithäufigsten ist die sogenannte vaskuläre Demenz mit einem Anteil von circa 15 Prozent. Sie ergibt sich aus einer gestörten Durchblutung des Gehirns, meist als Folge von Schlaganfällen oder Gefäßverengungen.
  • Weitere rund 15 Prozent haben eine Mischform von Alzheimer und vaskulärer Demenz.

Blutdrucksenker, Cholesterinsenker und Medikamente, die den Blutzucker normalisieren oder gegen Diabetes helfen, können dazu beitragen, einer vaskulären Demenz vorzubeugen. „Die Gefäßveränderungen direkt behandeln kann man jedoch nicht“, erklärt Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.

Wie wirkt der Viagra-Wirkstoff Sildenafil?

Sildenafil wurde ursprünglich zur Behandlung von Angina pectoris und Bluthochdruck entwickelt. Heute wird der Wirkstoff vor allem bei Erektionsproblemen eingesetzt. Er gehört zur Gruppe der PDE-5-Hemmer. Zu ihnen zählen auch die Substanzen Tadalafil, Vardenafil und Avanafil.

PDE-5-Hemmer blockieren ein Protein, das unter anderem bei der Erektion eine wichtige Rolle spielt. Das Protein (die Phospodiesterase-5) baut den Botenstoff cGMP ab. PDE-5-Hemmer verhindern den Abbau, sodass cGMP länger und stärker wirken kann. Das erweitert die Blutgefäße, es strömt mehr Blut in den Penis und der Mann kann seine Erektion besser halten. Doch nicht nur im Penis, auch in anderen Organen weiten PDE-5-Hemmer die Blutgefäße, beispielsweise in der Lunge und im Gehirn.

Was hat die aktuelle Studie zu Demenz und Viagra untersucht?

Insgesamt 75 Patienten und Patientinnen nahmen an der Studie teil. Alle hatten bereits einen Schlaganfall erlitten, der leichte bis mittelschwere Schäden an der weißen Hirnsubstanz hinterlassen hatte. Das führt häufig zu einer vaskulären Demenz.

Je drei Wochen lang bekamen die Untersuchten entweder Sildenafil, ein Placebo oder den Wirkstoff Cilostazol verordnet. Letzterer ist ein Medikament zur Behandlung von arteriellen Durchblutungsstörungen, wie der Schaufensterkrankheit. Nach jeweils drei Wochen wurden die Präparate getauscht, sodass alle Patientinnen und Patienten jede Behandlung einmal durchmachten.

Um die jeweiligen Effekte zu untersuchen, führten die Forschenden verschiedene Untersuchungen durch: Sie bestimmten etwa den Sauerstoffgehalt und die Durchblutung des Gehirns mithilfe von bildgebenden Verfahren.

Was ist das Ergebnis der Studie?

In der Studie zeigte sich, dass der Viagra-Wirkstoff Sildenafil den Blutfluss im Gehirn steigert und die Funktion der Gefäße bei Patienten mit erhöhtem Risiko für vaskuläre Demenz verbessert. Sowohl Sildenafil als auch Cilostazol senkten den Blutgefäßwiderstand im Gehirn. Beide Medikamente verursachten Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, bei Cilostazol kam manchmal Durchfall dazu, weshalb insgesamt acht Teilnehmer die Studie abbrachen.

„Dies ist die erste Studie, die zeigt, dass Sildenafil bei Menschen mit dieser Vorgeschichte in die Blutgefäße des Gehirns gelangt, den Blutfluss verbessert und die Reaktionsfähigkeit dieser Gefäße erhöht“, sagt Dr. Alastair Webb, Erstautor der Studie, in einer Pressemitteilung. Dies zeige das Potenzial dieses gut verträglichen Medikaments zur Vorbeugung von Demenz. Bislang gibt es dafür aber keinen klaren Beweis.

Was bedeutet die Studie für Patientinnen und Patienten?

Die Forschenden haben erstmals den Effekt des Viagra-Wirkstoffs Sildenafil auf die Blutgefäße im Gehirn genau untersucht. Die Fallzahl von 75 sei zwar recht gering, die Methodik der Studie aber nicht zu beanstanden, sagt Neurologe Berlit. Mit einer gesamten Studiendauer von nur drei Monaten ließe sich allerdings noch keine definitive Aussage zu möglichen Risiken treffen.

„Es ist völlig offen, ob die gefundenen Änderungen tatsächlich klinische Relevanz haben“, ergänzt Berlit. Will heißen: Es ist unklar, ob sie den Behandelten spürbare Verbesserungen, etwa bezüglich des Gedächtnisses, bringen. Größere Studien mit mehr Freiwilligen und einem längeren Untersuchungszeitraum sind nötig, um das herauszufinden. Noch könne man das Potenzial von Sildenafil und anderen PDE-5-Inhibitoren bei der Vorbeugung und Behandlung der vaskulären Demenz nicht einschätzen.

Wichtig: Sildenafil ist verschreibungspflichtig. Es soll also keinesfalls ohne ärztliche Rücksprache eingenommen oder gar im Internet bestellt werden. Bei unsachgemäßer Einnahme können Nebenwirkungen wie Kreislaufprobleme, Schwindel und Herzrhythmusstörungen auftreten.

Könnten PDE-5-Hemmer bei Alzheimer-Demenz helfen?

Studien deuten darauf hin, dass Sildenafil und verwandte Wirkstoffe das Risiko reduzieren könnten, an einer Demenz zu erkranken. Durch die Auswertung von Patientendaten fand ein Team des University College London heraus, dass Männer, die PDE-5-Hemmer einnahmen, ein um 18 Prozent geringeres Risiko hatten, in den Folgejahren an Alzheimer zu erkranken. Bei jenen, die es binnen fünf Jahren mehr als 20-mal verschrieben bekamen, lag das Risiko sogar um 44 Prozent niedriger als bei der Vergleichsgruppe, die die Medikamente nicht als Erektionshilfe genutzt hatte.

Eine Studie der US-amerikanischen Cleveland Clinic kam zu einem ähnlichen Ergebnis. Allerdings handelte es sich in beiden Fällen lediglich um statistische Beobachtungen. Sie eignen sich nicht, um nachzuweisen, ob ein Medikament vor Alzheimer schützt. So lassen sich die Ergebnisse zum Beispiel auch dadurch erklären, dass Männer, die PDE-5-Hemmer nutzen, möglicherweise einen gesünderen und aktiveren Lebensstil pflegen. Das senkt erwiesenermaßen auch das Risiko, an Alzheimer zu erkranken.

Es gibt also bislang keinen guten Beleg dafür, dass PDE-5-Hemmer etwas gegen diese Form von Demenz bewirken könnten.


Quellen:

  • Webb A J S, Birks J, Feakins K A et al. : Cerebrovascular Effects of Sildenafil in Small Vessel Disease, The OxHARP Trial. In: Circulation Research 04.06.2024, 1: 00
  • Adesuyan M, Jani Y H, Alsugeir D et al. : Phosphodiesterase Type 5 Inhibitors in Men With Erectile Dysfunction and the Risk of Alzheimer Disease, A Cohort Study. In: Neurology 27.02.2024, 102: 209131
  • Dhruva G, Pengyueb Z, Kumar G A: Sildenafil as a Candidate Drug for Alzheimer’s Disease, Real-World Patient Data Observation and Mechanistic Observations from Patient-Induced Pluripotent Stem Cell-Derived Neurons . In: Journal of Alzheimer's Disease 19.03.2024, 98: 643-657
  • Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE): Vaskuläre Demenz, Wenn die Durchblutung im Gehirn eingeschränkt ist . Online: https://www.dzne.de/... (Abgerufen am 12.06.2024)