Therapie-Kompass soll Orientierung bei Long- und Post Covid bieten
Die Zeit nach einer Infektion mit dem Corona-Virus SARS-CoV2 wird für einige Betroffene zu einem zähen Kampf. Sie leiden unter vielfältigen Symptomen wie dem chronischen Erschöpfungssyndrom Fatigue, Brain Fog, Kopfschmerzen, Atembeschwerden, Autoimmunerkrankungen, Muskelschmerzen, Bluthochdruck, Schlafstörungen und Depressionen.
Das kann so gravierend sein, dass sie am Arbeits- Familien- und Sozialleben nicht mehr teilhaben können. Halten die Symptome über mehr als vier Wochen nach Abklingen der Infektion noch an und lassen sich nicht auf andere Ursachen zurückführen, sprechen Fachleute von Long Covid. Bleiben sie über mehr als zwölf Wochen, ist die Rede von Post Covid.
So soll der Therapie-Kompass helfen
Wie viele Menschen darunter leiden, lässt sich nicht genau beziffern. Das ist zum Teil dem vielfältigen Erscheinungsbild geschuldet. Laut Studien ist aber davon auszugehen, dass zwischen sechs und 15 Prozent der Corona-Infizierten an Long Covid erkranken. Eindeutige Kriterien für die Diagnostik gibt es nicht – ebensowenig wie eine gezielte Therapie.
Hoffnungslos sei die Lage trotzdem nicht, wie Professor Bernhard Wörmann von der Charité Universitätsmedizin Berlin sagt. Er ist Vorsitzender einer Gruppe von Fachleuten, die im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit prüft, welche Wirkstoffe zur Behandlung von Long Covid in Frage kommen. Am 17. September stellte die Expertengruppe einen Therapie-Kompass vor, der die Auswahl geeignete Medikamente zur Behandlung individueller Symptome von Long und Post Covid unterstützt.
„Bis wir über spezielle Wirkstoffe zur gezielten Behandlung von Long Covid verfügen, ist es sinnvoll, auf bereits bekannte Medikamente zurückzugreifen,“ betont Wörmann. „Wir kennen einige Wirkstoffe, die zur Therapie anderer Erkrankungen zugelassen sind, und bei denen Studiendaten nahelegen, dass sie auch bei Long Covid sinnvoll sein können.“
So verdichten sich die Hinweise, dass Cholesterinsenker aus der Gruppe der Statine sowie bestimmte Bluthochdruckmittel die klinischen Symptome bei Long Covid verbessern können. Auch Glucocorticoide wie Kortison, bestimmte Diabetes-Medikamente oder manche Antidepressiva sind vielversprechende Kandidaten.
Hilfestellung für niedergelassene Ärzte
Noch allerdings sind diese Wirkstoffe zur Behandlung von Long Covid nicht zugelassen und werden nur im Rahmen von Studien eingesetzt. „Unsere Gruppe prüft aktuell die Datenlage zu insgesamt elf Wirkstoffgruppen, um Empfehlungen auszusprechen, welche dieser Medikamente sich für die Long-Covid-Therapie eignen“, so Wörmann.
Auf der Grundlage dieser Empfehlungen entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) darüber, welche Wirkstoffe künftig regulär bei Long Covid-Betroffenen eingesetzt werden können – über ihre bisherige Zulassung hinaus. Fachleute sprechen vom genehmigten Off-Label-Use. Erste Ergebnisse aus dieser Bewertung hofft das Expertengremium im März 2025 vorzulegen.
Doch bereits jetzt wollen sie mit ihrem „Therapie-Kompass Long Covid“ die Behandlungssituation für Betroffene verbessern. Der Kompass listet Medikamente auf, die sich zur Behandlung bestimmter Long-Covid-Symptome eignen und auch verschrieben werden dürfen – als Hilfestellung für niedergelassene Ärzte.
Nebenwirkungen nicht unterschätzen
„Besonders wichtig bei Long Covid ist die Beachtung der Vielschichtigkeit des Krankheitsbildes“, erklärt Wörmann. „Einige Wirkstoffe, die bei bestimmten Symptomen helfen, verstärken als mögliche Nebenwirkung andere Symptome der Betroffenen.“
Konkret bedeutet das zum Beispiel, dass manche Antidepressiva, die etwa gegen Stimmungsschwankung und depressive Verstimmungen im Zusammenhang mit Long Covid helfen können, gleichzeitig Fatigue verstärken, während diese Nebenwirkung bei anderen Präparaten nicht bekannt ist. Ähnliches ist von Betablockern gegen Bluthochdruck bekannt: Auch hier eignen sich manche für Long-Covid-Betroffene, während andere Fatigue verstärken.
Der Therapie-Kompass bietet nun eine konkrete Entscheidungshilfe, um geeignete Medikamente für zwölf Symptomgruppen auszuwählen – bei gleichzeitiger Sicherheit, dass die Krankenkassen die Kosten tragen. Zusätzlich gibt der Kompass Empfehlungen zur Therapie von Kindern und Jugendlichen.
Oft fehlt die Erfahrung
„Viele niedergelassene Kollegen sind unsicher im Umgang mit Long-Covid-Patienten“ sagt Dr. Claudia Ellert, Fachärztin für Allgemein- und Gefäßchirurgie in Wetzlar. „Es fehlt in aller Regel die Erfahrung mit dem Krankheitsbild, Beschwerden werden falsch eingeordnet. Das führt nicht selten dazu, dass mögliche symptombasierte Therapien nicht stattfinden.“ Gerade Hausarztpraxen sind aber eine wichtige Säule in der Versorgung – die Kapazitäten der Spezialambulanzen reichen nicht aus.
Ellert hat selbst die Erfahrung gemacht, sich nach einer Covid-19-Erkrankung der Belastung im Arbeitsalltag kaum noch gewachsen zu fühlen. Sie vertritt in der Expertengruppe die Interessen der Betroffen. „Ich habe große Hoffnung, dass Patientinnen und Patienten durch den Kompass die notwendige und gezielte Hilfe erhalten“, unterstreicht die Ärztin. „Gleichzeitig erwarte ich, dass Betroffene mehr Sichtbarkeit bekommen und mit ihren Symptomen ernst genommen werden.“
Andere Virus-Erkrankungen im Blick
Einzelne Symptome zu lindern stellt zwar keine umfassende Therapie gegen Long Covid dar. „Wir sehen jedoch, dass für Betroffene oft schon eine kleine Verbesserung von, sagen wir mal, 20 Prozent ein großer Fortschritt ist, weil sie wieder mehr am Leben teilnehmen können“, so Wörmann.
Das gelte aber letztlich nicht nur für Long Covid. „Auch anderen Virus-Erkrankungen, können anhaltende Symptome nach sich ziehen.“ So leiden manche Menschen nach einer Infektion mit dem Epstein Barr-Virus unter langanhaltender Erschöpfung. „Auch diese Betroffenen behalten wir bei unserer Arbeit im Blick – um ihnen künftig mehr Hilfe anbieten zu können.“
Quellen:
- Bundesministerium für Gesundheit: Long COVID - Arzneimittel: Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung von Long COVID-Erkrankten. Bundesministerium für Gesundheit: https://www.bfarm.de/... (Abgerufen am 26.09.2024)
- Robert Koch Institut: Long COVID. Robert Koch Institut: https://www.rki.de/... (Abgerufen am 26.09.2024)