Haben Fledermäuse etwas mit der Babysterblichkeit zu tun?
Wie wirkt es sich auf den Menschen aus, wenn die Natur aus dem Gleichgewicht kommt? Eine neue Studie will eine Kettenreaktion in ländlichen Regionen der USA gefunden haben: Weil die Zahl der Fledermäuse dort aufgrund einer Pilzerkrankung dramatisch sank, habe das indirekt zu einem Anstieg der Säuglingssterblichkeit geführt – behauptet zumindest ein Forscher der University of Chicago. Seine Untersuchung wurde jetzt im Fachmagazin Science veröffentlicht.
Das „Science Media Center“ (SMC) berichtete vorab über den Inhalt der Studie, ließ sie von unabhängigen Experten einschätzen – neben Lob gab es auch harte Kritik.
Was sollen Fledermäuse mit Säuglingssterblichkeit zu tun haben?
Die Studie stellt eine Verbindung zwischen der Fledermauspopulation und Säuglingssterblichkeit her – das Stichwort lautet: Insektizide. Wenn die Anzahl der Fledermäuse in einer Region abnimmt, steigt gleichzeitig die Anzahl der Schädlinge, die nun nicht mehr gefressen werden. Landwirte bekämpfen diese dann vermehrt mit Insektiziden.
Forscher Eyal Frank betrachtete für seine Studie eine Reihe Countys (vergleichbar mit Landkreisen in Deutschland) in den USA, in denen zwischen 2006 und 2014 unter den Fledermäusen die Weißnasenkrankheit ausbrach. Diese Pilzerkrankung wurde 2006 vermutlich aus Europa in die USA eingeschleppt. Die Sterblichkeit in den Fledermausbeständen war hoch, sie lag durchschnittlich bei 70 Prozent.
Für seine Studie verglich der Forscher dann Countys mit normaler Fledermauspopulation mit den Countys, in denen der Bestand stark zurückgegangen war.
Wie entwickelte sich die Säuglingssterblichkeit?
In den Countys mit erkrankten Fledermäusen seien laut Studie im Jahr des Ausbruchs sowie vier bis sechs Jahre später statistisch signifikant mehr Insektizide verwendet worden: im Durchschnitt um etwa 30 Prozent mehr. Die Studie geht laut SMC nicht darauf ein, welche Insektizide genau verwendet wurden. Auch wurde nicht berücksichtigt, wie stark verschiedene Bevölkerungsgruppen dem ausgesetzt waren.
Im vierten Jahr nach Ausbruch der Erkrankung unter den Fledermäusen sei die Säuglingssterblichkeit – basierend auf behördlichen Daten in betroffenen Countys – statistisch signifikant erhöht gewesen. Durchschnittlich habe sie laut der Studie über die Jahre acht Prozent höher gelegen als in den Countys ohne vermehrtes Fledermaussterben. Wie der erhöhte Insektizideinsatz genau zur erhöhten Säuglingssterblichkeit geführt haben soll, wird nicht erklärt.
Wie seriös ist diese Studie?
Grundlage der Studie war ein sogenanntes „natürliches Experiment“. Davon spricht man, wenn sich in einem natürlichen Umfeld zufällig eine Versuchs- und eine Kontrollgruppe herausgebildet haben – die beiden Gruppen also nicht durch Forschende eingeteilt wurden. Wenn die Zuordnung unabhängig von wichtigen Merkmalen der Gruppen passiert, gilt sie als randomisiert. Dann lassen sich bei einer solchen Beobachtungsstudie, ähnlich wie bei einer randomisiert kontrollierten Studie, Rückschlüsse auf eine mögliche Kausalität ziehen.
In diesem Fall ergaben sich Versuchs- und Kontrollgruppe – Countys mit erhöhtem Fledermaussterben und Countys mit unveränderter Fledermauspopulation – laut Studienautor tatsächlich quasi zufällig.
In einer Stellungnahme für das SMC nennt Prof. Martin Huber, Professor für Angewandte Ökonometrie und Politikevaluation an der Universität Freiburg (Schweiz), die Methode „sehr plausibel“. Es sei entscheidend, dass die Versuchs- und Vergleichsregionen „vor dem Pilzbefall hinsichtlich Kindersterblichkeit, Einsatz von Insektiziden und soziodemografischen Faktoren vergleichbar waren“, was hier wohl der Fall gewesen ist.
Auch Prof. Dr. Martin Quaas, Forschungsgruppenleiter Biodiversitätsökonomik am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung Halle-Jena-Leipzig spricht gegenüber dem SMC von einer sehr sorgfältigen Untersuchung. Die Methode gelte „als besonders zuverlässig, um Ursache-Wirkungs-Beziehungen nachzuweisen.“ Die Studie liefere „ein wichtiges Stück Evidenz dafür, wie sich ökologische Veränderungen auf die Wirtschaft und auf Menschen auswirken.“
Harsche Kritik kommt hingegen von Prof. Dr. Rita Triebskorn, Professorin für Physiologische Ökologie der Tiere und Arbeitsgruppenleiterin am Institut für Evolution und Ökologie, Eberhard Karls Universität Tübingen: „Es ist für mich sehr erstaunlich, dass die Studie von ‚Science‘ zur Publikation angenommen wurde.“ Sie hält die statistischen Tests für zu einfach, „um komplexe Zusammenhänge, wie sie in dem Artikel postuliert werden, zu analysieren.“ Aussagen zu kausalen Zusammenhängen seien auf der Basis der durchgeführten Analysen „schlichtweg nicht möglich“. Nach ihrer Meinung sei keiner der beschriebenen Zusammenhänge belegt.
Kritik kommt auch von Prof. Dr. Christoph Rothe, Leiter des Lehrstuhls für Statistik an der Universität Mannheim. Er bemängelt, dass das verwendete statistische Verfahren nicht mehr zeitgemäß sei, da es „als anfällig für bestimmte Verzerrungen bekannt ist.“ Es lasse sich aber nicht sagen, ob dadurch die Ergebnisse der Studie substanziell beeinflusst wurden.
In Hinblick auf die eingesetzten Insektizide sagt Prof. Dr. Carsten Brühl, Außerplanmäßiger Professor und Leiter der Arbeitsgruppe Ökotoxikologie und Umwelt, Institut für Umweltwissenschaften, Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau: „Von Interesse wäre, um welche Substanzen es sich dabei handelt und wie deren Wirkung auf die Gesundheit von Kindern bisher bewertet wird.“ Da die Studie 2017 endete, die Weißnasenkrankheit sich aber weiter ausbreitete, könnte man zudem prüfen, ob sich in neu betroffenen Gebieten eine ähnliche Entwicklung zeigt, wie die Studie sie beschreibt.
Was ließe sich aus der Studie auf Deutschland übertragen?
Prof. Dr. Julia Mink, Juniorprofessorin für Umweltökonomik, Nachhaltigkeit und Ungleichheit an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, erklärt, es sei „schwer einzuschätzen“, wie sich die Ergebnisse auf Deutschland übertragen lassen. Ein entscheidender Grund: Es mangelt hierzulande an Daten zur Pestizidbelastung der Bevölkerung. Sie mutmaßt allerdings: „Für eine ähnliche Exposition sind sehr wohl ähnliche Effekte in Deutschland zu erwarten.“ Die Umweltökonomin hält weitere Studien zu dem Thema für erforderlich.
Ein Massensterben von Fledermäusen in Europa hält Prof. Dr. Rita Triebskorn für unwahrscheinlich. Die europäischen Fledermausarten hätten offensichtlich langfristig eine Toleranz gegenüber dem Erreger der Weißnasenkrankheit entwickelt. Generell sei es schwierig, einen vermehrten Pestizideinsatz kausal mit Wirkungen beim Menschen in Zusammenhang zu bringen, das zeigten unter anderem die aktuellen Geschehnisse um die Wiederzulassung von Glyphosat.
Für Prof. Dr. Martin Quaas liege es nach dieser Studie zum Beispiel nahe, „den Einsatz von Insektiziden durch Regulierung zu begrenzen, da sie für Menschen, insbesondere für Säuglinge, schädlich sind.“ Und müsste die Landwirtschaft vielleicht sogar Maßnahmen ergreifen, um Fledermauspopulationen aufzubauen, fragt der Experte. „Das folgt aus dieser Studie noch nicht, denn sie setzt überhaupt nicht voraus, dass die Landwirtinnen und Landwirte um die Funktion der Fledermäuse wissen.“