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Bei einer Untersuchung von Tieren aus Pelzfarmen in China haben Forscher mehr als 125 Virusarten entdeckt. Darunter befanden sich 36 neue Arten und 39 Virusstämme, bei denen ein „hohes Risiko“ einer Übertragung zwischen verschiedenen Arten besteht. Das könnte etwa eine Übertragung vom Tier auf den Menschen sein. Von diesen 39 Viren mit erhöhtem Übertragungsrisiko zwischen unterschiedlichen Arten sind 13 neu.

Für die Studie, die jetzt im Fachjournal Nature veröffentlicht wurde, konnten die chinesischen Wissenschaftler Proben aus Lunge und Darm von 461 Tieren gewinnen, darunter Nerze, Füchse, Kaninchen und Marderhunde. Dabei handelte es sich um Tiere, die an einer Krankheit gestorben waren. Das war einer der Gründe, warum die Forscher an so viele Proben gekommen sind.

Die Pelztierhaltung in vielen Ländern ist eine regelrechte Black Box

„Die Pelztierhaltung in vielen Ländern ist eine regelrechte Black Box. Wissenschaftler haben kaum die Gelegenheit, dort Proben zu gewinnen. Die neue Studie bringt nun etwas Licht in diese Black Box“, sagt Professor Martin Beer, Leiter des Instituts für Virusdiagnostik am Friedrich-Loeffler-Institut (FLI), dem Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit auf der Insel Riems bei Greifswald.

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Wie schätzen Experten die Viren-Funde in Pelztierfarmen ein?

„Dass hier viele Viren kursieren, das hat die Fachwelt schon erwartet. Das neue, was die Studie zeigt, ist das Ausmaß: Es ist doch eine erhebliche Menge an verschiedenen Viren“, sagt Martin Beer, der auch Vizepräsident des FLI ist.

Besonders besorgniserregend sind die 39 Virusstämme, die zwischen Arten übertragen werden können. Bei Meerschweinchen, Nerzen und Bisamratten wurden außerdem verschiedene Influenzaviren nachgewiesen, auch sieben Arten von Coronaviren haben die chinesischen Forscher gefunden. Allerdings ist keines davon eng verwandt mit SARS-CoV-2.

Ein bei zwei gezüchteten Nerzen gefundenes Coronavirus namens HKU5 kursiert normalerweise unter Zwergfledermäusen. HKU5 kann nach aktuellem Kenntnisstand bislang nicht auf den Menschen übertragen werden, ist aber verwandt mit dem für Menschen gefährlichen Coronavirus des Middle East Respiratory Syndrome (MERS). „Es belegt, dass eine artübergreifende Übertragung zwischen Fledermäusen und Nerzen stattgefunden hat“, sagt Beer.

Das alles zeige, dass Pelztiere wie Nerze für eine Vielzahl von Viren empfänglich seien, unter anderem Coronaviren und Influenzaviren. „Für einige dieser Viren – zum Beispiel für Influenzaviren – kommen sie dann auch als eine Art Mischgefäß infrage, mit dem Risiko der Entstehung neuer Virusvarianten“, erklärt der Experte weiter. Das gilt nicht nur für Pelztiere, sondern genauso für Schweine in Massentierhaltung.

Warum kursieren in Pelztierfarmen so viele Viren?

„Im Vergleich etwa zu Geflügelfarmen, wo Vogelgrippe eine ständige Bedrohung ist und häufig engmaschige Kontrollen stattfinden und Hygienemaßnahmen an der Tagesordnung sind, geht es in Pelztierfarmen unseres Wissens nach eher unbedarft zu“, sagt Ulf Dittmer, Direktor des Instituts für Virologie am Uniklinikum Essen. „Die Pelztiere sind meist nicht ausreichend isoliert, manchmal können Wildtiere wie Marder von außen eindringen. Und mangelnde Schutzmaßnahmen für die Mitarbeiter sorgen für ungeschützte Mensch-Tier-Kontakte“, sagt Dittmer.

Die Kontakte zwischen Menschen, gehaltenen Tieren und Wildtieren sind unnatürlich hoch

Die Folge: „Die Kontakte zwischen Menschen, gehaltenen Tieren und Wildtieren sind unnatürlich hoch. Weil die gehaltenen Pelztiere nicht ausreichend isoliert sind, kann zum Beispiel eine Zwergfledermaus eher eindringen oder – angezogen von den Insekten dort – von oben Kot abwerfen und so einen Virus auf die Nerze übertragen“, erklärt der Tiermediziner Professor Fabian Leendertz, Direktor des Helmholtz-Instituts für One Health in Greifswald.

Hinzu kommt, dass Pelztiere wie Nerze eine besonders hohe Empfänglichkeit für unterschiedlichste Viren besitzen. „Die Kombination der hohen Tierzahlen und der Haltungsdichte ergibt eine gefährliche Mischung: Die Tiere können sich eher mit Viren anderer Arten anstecken und diese weiter vermehren und übertragen“, sagt Beer.

Welche Konsequenzen wären nach den Virenfunden für Pelztierfarmen sinnvoll?

Pelztierfarmen engmaschig zu überwachen, Biosicherheitsstandards konsequenz umzusetzen und im Laufe der Zeit solche Haltungen generell abzuschaffen – das wären sinnvolle Maßnahmen, findet Martin Beer. Er kritisiert: „Das ganze Konzept der Pelztierfarmen ist zweifelhaft.“ Man solle sich fragen: Brauchen wir heute überhaupt noch Pelztierfarmen?

Denn auch aus Tierwohlsicht seien diese Farmen sehr kritisch zu sehen. „Nicht nur in China werden sehr viele Tiere auf engem Raum unter oft erschreckenden Bedingungen gehalten. Es gibt viele andere Länder mit Pelztierfarmen, wo wir im Grunde gar nichts über die Haltung wissen“, sagt Martin Beer. Wenngleich die Zahl der Pelztierfarmen rückläufig ist, hat allein China 2023 mehr als 10 Millionen Nerze, Füchse und Waschbären für die Felle getötet.

Immerhin gibt es in Deutschland seit einigen Jahren schon keine kommerzielle Pelztierhaltung mehr. „Die Tierschutzauflagen sind inzwischen so hoch, dass eine Pelztierhaltung hierzulande nicht wirtschaftlich durchführbar ist, und das ist gut so“, sagt Beer.

Die engen Kontakte sind wie ein Trainingscamp für die Viren – und machen sie anpassungsfähiger

Auch Fabian Leendertz aus Greifswald plädiert angesichts der neuen Studie dafür, so weit wie möglich Einfluss zu nehmen, um das Konzept von Pelztierfarmen infrage zu stellen. „Die engen Kontakte dort sind wie ein Trainingscamp für die Viren – und machen sie anpassungsfähiger. In den allermeisten Fällen schaffen sie es trotzdem nicht, auf eine neue Art überzuspringen. Aber das Risiko steigt eben mit Orten wie den Pelztierfarmen, dass es doch einmal ein Virus schafft und eine neue Pandemie unter Menschen auslöst“, sagt Leendertz.

Natürlich sei der Einfluss von Deutschland auf Pelztierfarmen in China begrenzt. „Aber man kann das durchaus politisch zum Thema machen. Und natürlich spielt auch die Nachfrage eine Rolle: Der Konsum von Pelzen und Nerzen für die Mode – hier kann auch eine sinkende Nachfrage der Verbraucher Druck machen“, sagt Leendertz.

Wie hoch ist das Risiko einer neuen Pandemie?

Dass es wieder zu einer Pandemie kommen wird, gilt als hochwahrscheinlich. Doch wann und wo sie ihren Ursprung nimmt, weiß niemand. „Die Studie der Pelztierfarmen zeigt, dass es Reservoire gibt, die wir nicht vollständig erfasst haben“, sagt Martin Beer.

In Bezug auf Viren, die sich womöglich verändern und auf Menschen überspringen können, sollte man Beer zufolge besonders die Grippeviren auf dem Schirm haben: „Die meisten der bisherigen Pandemien stammen von Grippeviren, die etwa vom Schwein oder vom Geflügel auf den Menschen übergesprungen sind“, sagt Beer.

So birgt Massentierhaltung generell das Risiko für neue Pandemien. Sie spielt eine entscheidende Rolle bei der Entstehung und Verbreitung gefährlicher Krankheiten – sowohl für Viren als auch für Bakterien. Denn große Tierbestände bieten ideale Bedingungen für die schnelle Ausbreitung, Mutation und Kombination von Keimen.

Dittmer sieht auch ein Risiko beim Jagen, Erlegen und Schlachten von Tieren, insbesondere von exotischen Tieren in Afrika. „HIV etwa wurde ziemlich sicher einmal über das Blut von einem Affen auf Menschen übertragen und hat sich dann so weiterentwickelt, dass schließlich eine Pandemie entstanden ist“, sagt Dittmer.


Quellen:

  • Zhao J, Wan W, Yu K et al.: Farmed fur animals harbour viruses with zoonotic spillover potential. Nature: https://www.nature.com/... (Abgerufen am 13.09.2024)
  • Block K: Fur farm investigation exposes immense suffering and disease risk in China. The Humane Society of the United States: https://www.humanesociety.org/... (Abgerufen am 13.09.2024)