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Husten, Schlappheit, Appetitlosigkeit, Fieber: Im Herbst sind grippale Infekte allgemein wieder auf dem Vormarsch. In diesem Jahr vermehrt unterwegs: die sogenannten Mykoplasmen, ein Bakterium der Gruppe Mollicutes. Betroffen sind am häufigsten Kinder und Jugendliche.

Die Bakterien können eine Lungenentzündung auslösen – in der Fachsprache Pneumonie genannt. Weil die Symptome eben auch anderen Atemwegserkrankungen ähneln und eine durch Mykoplasmen ausgelöste Lungenentzündung eher schleichend beginnt und oftmals milder verläuft, wird sie manchmal nicht sofort erkannt.

Was sind Mykoplasmen und wie wirken sie?

Mykoplasmen sind besonders kleine Bakterien, die keine Zellwand besitzen. Manche von ihnen können Geschlechtskrankheiten übertragen. Andere, die sogenannten Mycoplasma pneumoniae, können Lungenentzündungen verursachen. Sie werden derzeit besonders häufig nachgewiesen, vor allem bei Kindern und Jugendlichen.

Wie lösen die Mollicutes eine Lungenentzündung aus?

Die Mykoplasmen befallen unter anderem Lungenzellen und vermehren sich dort allmählich. Wegen der langsamen Vermehrung der Mollicutes braucht es recht lange, um Beschwerden auszulösen: Die Inkubationszeit, also die Zeit zwischen Eindringen der Erreger und Auftreten der ersten Symptome,liegt etwa bei ein bis drei Wochen.

„Grundsätzlich ist das Bakterium eher langsam, schwerfällig und behäbig. Das führt glücklicherweise auch dazu, dass die meisten Mykoplasmen-Pneumonien vergleichsweise mild verlaufen“, sagt Privatdozentin Dr. Nicole Töpfner aus der Kinderinfektiologie der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Uniklinikum Dresden und stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI).

Wie äußert sich eine Lungenentzündung durch die Bakterien?

In vielen Fällen verläuft eine Infektion mit Mycoplasma pneumoniae ohne Krankheitszeichen und Beschwerden. Nur selten äußert sie sich etwa als Rachen-Mandel-Entzündung oder eben als Lungenentzündung. Bei letzterer kommt es häufig zu allgemeinen Symptomen wie Fieber und trockenem Reizhusten. „Es kann für Kinderärztinnen und -ärzte herausfordernd sein, eine Mykoplasmen-Pneumonie bei Kindern als solche zu erkennen“, sagt Kinderärztin Töpfner.

Wie läuft die Diagnose einer Mykoplasmen-Infektion bei Kindern?

Die Bakterien lassen sich nur durch einen Abstrich des Rachens eindeutig identifizieren. Ist das Laborergebnis positiv, kann das ein Hinweis darauf sein, dass eine atypische Lungenentzündung vorliegt. Atypisch deshalb, weil die Symptome oft nicht so ausgeprägt sind und sich langsamer entwickeln. „Es gibt aber auch einige Kinder, die tragen Mykoplasmen im Rachenraum mit sich herum, ohne dass diese Beschwerden oder krank machen. Das erschwert die Diagnose natürlich noch weiter“, so Töpfner.

Meist stellt die behandelnde Kinderärztin oder der behandelnde Kinderarzt – beziehungsweise der Lungenarzt oder die Lungenärztin – daher anhand der Symptome, gegebenenfalls in Kombination mit den Ergebnissen des Rachenabstrichs, fest, ob eine Mykoplasmen-Pneumonie vorliegt. Bei Verdacht auf Lungenentzündung wird manchmal auch ein Röntgenbild gemacht.

Ist eine Lungenentzündung durch Mykoplasmen gefährlich?

Bei Kindern und Jugendlichen, die derzeit am häufigsten betroffen sind, verläuft eine Pneumonie infolge einer Mykoplasmen-Infektion meist eher mild im Vergleich zu Lungenentzündungen, die durch andere Erreger ausgelöst wurden. „Dass ein Kind deshalb im Krankenhaus stationär aufgenommen werden muss, ist eher selten“, sagt Töpfner.

Wirklich gefährlich können die Erreger eher für ältere Personen oder Menschen mit einem eingeschränkten Immunsystem werden. Denn die Bakterien können bei Menschen allen Alters eine atypische Lungenentzündung hervorrufen.

Sollte man bei Mykoplasmen immer ein Antibiotikum nehmen?

„Viele Mykoplasmen-Pneumonien muss man nicht einmal therapieren. Das Immunsystem wird normalerweise selbst damit fertig. Nur wenn die Beschwerden besonders schwer sind, sollten Antibiotika zum Einsatz kommen“, sagt Töpfner.

Dann ist es allerdings wichtig zu wissen, dass man es mit einer Pneumonie durch das Bakterium zu tun hat. Denn weil sie keine Zellwand haben, sind einige Antibiotika gegen sie wirkungslos. Und von denjenigen Antibiotika, die wirken, werden manche aufgrund der Nebenwirkungen selten bei Kindern und auch bei Schwangeren eingesetzt.

Es gibt aber bestimmte Antibiotika aus der Gruppe der Makrolide, die auch Kinder nehmen können – und sie sind wirksam: „In Deutschland wirken Makrolide meist sehr gut bei Mykoplasmen-Pneumonien – lediglich drei Prozent der Stämme hierzulande sind resistent gegen Makrolide“, sagt Dumke.

Wie kann man sich vor den Mollicutes schützen?

„Mykoplasmen werden bei weitem nicht so schnell übertragen wie etwa der Coronavirus. Da muss schon ein gewisser Kontakt zwischen zwei Menschen vorhanden sein, damit Mykoplasmen übertragen werden“, sagt Töpfner.

Ein gesundes Maß an Abstand zu anderen Menschen und eine gute Hand-Hygiene sind entscheidend, um sich vor Mykoplasmen zu schützen. „Und wer Atemwegsbeschwerden wie starken Husten hat, sollte sich von Gemeinschaftseinrichtungen wie Kitas und Schulen fernhalten, um andere zu schützen“ sagt Töpfner.

Wie entwickelt sich die Zahl der Lungenentzündungen durch Mykoplasmen?

Die Prävalenz der Mykoplasmen-Pneumonien ist in den vergangenen Monaten weltweit angestiegen. Wie die Situation in Deutschland aussieht – meist sind Kinder und Jugendliche betroffen – lässt sich kaum abschätzen. Das liegt daran, dass die Erkrankung hierzulande in 15 von 16 Bundesländern nicht meldepflichtig sind. Lediglich in Sachsen besteht eine Meldepflicht – und hier sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache: Laut Sozialministerium Sachsen wurden in diesem Jahr bis Anfang September bereits 10.806 Infektionen mit dem Bakterium gemeldet.

Vor der Corona-Pandemie waren es etwa im Jahr 2019 zur gleichen Zeit lediglich 543 – das ist gerade einmal ein Zwanzigstel. „Es gibt in jüngster Zeit tatsächlich einen massiven Anstieg von Mykoplasmen-Pneumonien, der so noch nicht beobachtet wurde“, sagt der Biologe Dr. Roger Dumke, Leiter des Konsiliarlabors des Robert-Koch-Instituts für Mykoplasmen am Institut für Medizinische Mikrobiologie und Virologie am Uniklinikum Dresden.

Auch in der Schweiz hat die Zahl der Fälle in den letzten Monaten deutlich zugenommen. „Im Juli waren die Zahlen schon sehr hoch, im August sind sie dann noch weiter angestiegen“, sagt Privatdozent Dr. Patrick Meyer Sauteur, Infektiologe und Oberarzt am Universitäts-Kinderspital Zürich.

Er hat auch federführend eine vielbeachtete Studie über die internationale Zunahme der Mykoplasmen-Pneumonien durchgeführt, die im Februar dieses Jahr im Fachmagazin The Lancet Microbe veröffentlicht wurde. Darin zeigt sich, dass bereits 2023 auch in Schweden, Dänemark, Slowenien und Singapur die Zahl der Fälle deutlich gestiegen ist. Auch aus China wurden vermehrt Pneumonien gemeldet – beim Testen stellte sich heraus, dass ein großer Teil davon von Mykoplasmen stammt.

Wie kommt es zu dieser weltweiten Ansteckungswelle?

Für den Anstieg der Infektionen werden vor allem zwei Gründe diskutiert, die womöglich in Kombination zu der besonders hohen Zahl an Fällen von Mykoplasmen-Infektionen führen. „Zunächst dürfte Mycoplasma pneumoniae, wie den allermeisten anderen Atemwegserregern, durch die mit der Pandemie verbundenen Vorsichtsmaßnahmen wie Mundschutz und Abstandsregeln die Möglichkeiten genommen worden sein, sich auszubreiten“, sagt Dumke. Es kam während der Pandemie zunächst zu einem deutlichen Abfall von Fällen.

„Das könnte zur Folge gehabt haben, dass das Immunsystem sich ein Stück weit von dem Erreger ‚entwöhnt’ hat. Ähnliches haben wir ja auch früher schon bei ‚schnelleren’ Erregern wie dem Grippevirus gesehen. Deshalb gab es in den letzten Monaten womöglich häufiger Mykoplasmen-Pneumonien. Wenn dies so ist, dann ist die aktuelle Infektionswelle auch als eine Art Trainingscamp für das Immunsystem zu sehen. Danach dürfte die Welle in Zukunft wieder abebben“, sagt Dumke.

Außerdem ist es ohnehin bekannt, dass Pneumonien durch das Bakterium in Zyklen auftreten: Etwa alle drei bis sieben Jahre kommen sie laut Dumke verstärkt vor, um dann wieder etwas seltener zu werden. „Es ist zu vermuten, dass dieser Rhythmus mit den Untertypen zu tun hat: Wenn sich ein anderer Untertyp entwickelt, dann muss sich das menschliche Immunsystem erst daran gewöhnen – entsprechend kommt es eine gewisse Zeit häufiger zu diesen Pneumonien“, so Dumke.

Bei der aktuell besonders hohen Zahl an atypischen Lungenentzündungen könnten diese beiden Faktoren – die zurückliegende Pandemie und das Vorherrschen anderer Untertypen – zusammengekommen sein, vermutet Dumke.

Wird die Zahl der Pneumonien weiter steigen?

Es ist davon auszugehen, dass die Welle an Mykoplasmen-Infektionen in den nächsten Monaten langsam abebbt. Denn das menschliche Immunsystem dürfte sich wieder an den Erreger gewöhnen. Ob dies bald oder erst in einiger Zeit geschieht, dazu wollen und können Expertinnen und Experten jedoch nichts Verbindliches sagen.

Aktuell gibt es in der Schweiz zumindest einen ersten Hinweis darauf, dass die Welle wieder schwächer werden wird: „Nachdem wir eine Spitze an Fällen im August hatten, liegen Werte in der ersten Septemberhälfte bereits deutlich niedriger“, sagt Meyer Sauteur aus Zürich.


Quellen:

  • Patrick M. Meyer Sauteur, Michael L. Beeton: Mycoplasma pneumoniae: delayed re-emergence after COVID-19 pandemic restrictions. The Lancet Microbe: https://www.thelancet.com/... (Abgerufen am 23.09.2024)
  • Epidemiologischer Informationsdienst: Epidemiologischer Informationsdienst Wochenstatistik meldepflichtiger Infektionen 36. MW 2019 (02.09.2019 – 08.09.2019). online: https://www.lua.sachsen.de/... (Abgerufen am 23.09.2024)
  • Heng Lia, Shengkai Lia, Huajiang Yanga, Zhengrong Chen, et al.: Resurgence of Mycoplasma pneumonia by macrolide-resistant epidemic clones in China. The Lancet: https://www.thelancet.com/... (Abgerufen am 23.09.2024)