Pocken-Experte des RKI: „Mpox wird uns nicht mehr verlassen“
Das Mpox-Virus – früher auch als Affenpocken bezeichnet – breitet sich immer weiter aus. Nicht nur der Kongo, mindestens zwölf afrikanische Länder wie Burundi, Kenia, Ruanda und Uganda, haben kürzlich Infektionen gemeldet.
Seit Jahresbeginn gibt es über 17.000 Verdachtsfälle; mehr als 500 Menschen sind bereits an Mpox gestorben. Auch außerhalb Afrikas wurden inzwischen Fälle bekannt, etwa in Schweden. Die WHO hat eine „Notlage internationaler Tragweite“ ausgerufen. Was hat das zu bedeuten? Wie gefährlich ist die neue Klade und wo kommt das Virus überhaupt her? Prof. Dr. Andreas Nitsche, Leiter des Konsiliarlabors für Pockenviren am Robert Koch-Institut in Berlin, ordnet ein.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat aufgrund der Mpox-Fälle durch Viren der Klade I in Afrika eine „Notlage internationaler Tragweite“ (PHEIC) ausgerufen. Was heißt das eigentlich genau?
Prof. Dr. Andreas Nitsche: Die WHO kann diese sogenannten PHEICs ausrufen, wenn sie ein Gesundheitsrisiko sieht, das über Landesgrenzen hinaus Gesundheitssysteme und Menschen anderer Länder betreffen könnte. Das bedeutet nicht unmittelbar, dass mehr Geld zur Verfügung gestellt wird, vor allem auch nicht durch die WHO. Aber grundsätzlich bedeutet es, dass betroffene Länder beziehungsweise die zuständigen Ministerien ihre Aktivitäten bezüglich des Gesundheitsgeschehens intensivieren können. Sie können zum Beispiel sagen: Wir müssen jetzt Impfstoffe kaufen. Oder Labor-Kapazitäten ausbauen, oder weitere Schutzmaßnahmen ergreifen. Die Grundlage dafür ist, dass es sich um eine ernsthafte Lage handelt und dies von einer unabhängigen Autorität wie der WHO dokumentiert ist.
Es gab kürzlich einen Mpox-Fall in Schweden, auch in anderen Ländern wie den Philippinen oder Thailand gibt es Verdachtsfälle. Sind das wirklich alle, die wir sehen – oder gibt es da eine hohe Dunkelziffer?
Nitsche: Ich gehe davon aus, dass die Dunkelziffer in den aktuell betroffenen Ländern in Afrika sehr hoch ist. In Zentralafrika, beispielsweise in der Demokratischen Republik Kongo, gibt es zwar Labore und diagnostische Möglichkeiten, aber man schätzt, dass nur etwa ein Viertel bis ein Drittel aller Verdachtsfälle zugeführt werden. In anderen Ländern sind es noch viel weniger. Dass es zu einer Ausbreitung auf andere Länder kommt, war zu erwarten. Um ein solches Virus an einem Ort zu halten, ist die Welt heute zu sehr vernetzt.
Offenbar zirkuliert nun ein anderer Typ des Virus als 2022. Damals wurde wegen der sogenannten Klade II die Notlage ausgerufen, jetzt wegen Klade Ib. Ist sie gefährlicher oder besser übertragbar?
Nitsche: Bevor es dieses Geschehen 2022 gab, hat man zwischen der zentralafrikanischen Variante, Klade I, und der westafrikanischen Variante, Klade II, unterschieden. Man hat beobachtet, dass Klade I bei den Infizierten häufiger zum Tod führt. Zur Übertragbarkeit hatte man früher kaum Informationen. Aus Tierversuchen hat man abgeleitet, dass Infektionen mit Klade I eher mit schwereren Krankheitsverläufen assoziiert sind. Ältere Daten aus den 1980er-Jahren zu Fällen aus Afrika haben gezeigt, dass bei Klade I von einer Mortalität von etwa 11 Prozent ausgegangen wird, bei Klade II lag sie unter einem Prozent.
Diese Klade Ib, die man jetzt neu gefunden hat, hat sich vermutlich aus Klade I entwickelt. Dem Erbgut des Virus fehlen noch ein paar zusätzliche Bereiche im Vergleich zu Viren der Klade I. Was die genau bewirken, ist noch nicht gründlich erforscht.
Woher kommt dieser Unterschied in der Krankheitsschwere?
Nitsche: Das kann man nicht genau erklären. Möglicherweise hat es damit zu tun, dass Viren der Klade I bestimmte Moleküle besitzen, die das menschliche Immunsystem in Schach halten. Klade II hat das nicht, daher kann der Körper die Infektion vermutlich besser bekämpfen.
Aber es gibt weiterhin Klade I und II?
Nitsche: Ja, die zirkulieren weiterhin beide. Viren der Klade II oder genauer gesagt, von der Klade IIb, die seit 2022 weltweit viele Infektionen verursacht haben, werden hauptsächlich von Männern, die Sexualverkehr mit Männern haben, übertragen. Daher ist diese Klade auch außerhalb von Afrika zu finden. Sie ist aber auch wieder rückeingeführt worden. Grundsätzlich würde ich diesen verschiedenen Kladen aber nicht so viel Bedeutung beimessen. Es sind weiterhin Mpox-Viren, alle gehören zur Gattung der Orthopockenviren.
Woher kommt das Virus denn ursprünglich? Jedenfalls nicht aus Affen, wie der ursprüngliche Name Affenpocken nahelegt.
Nitsche: Genau. Affenpocken hat man es nur genannt, weil man das Virus zuerst bei in Gefangenschaft lebenden Affen identifiziert hat. Man hat festgestellt, dass auch Affen in freier Wildbahn infiziert werden können, aber offensichtlich Fehlwirte sind. Dann kann man natürlich schauen, ob man das Virus in anderen Tierspezies nachweisen kann. Dazu muss man aber etwas Glück haben und Tiere finden, die tatsächlich gerade infiziert sind. Deswegen untersucht man sie eher auf Antikörper. Also man schaut: Welche Tierspezies hat offensichtlich mal Kontakt zu Orthopockenviren gehabt und Antikörper gebildet? Und da kristallisierte sich heraus, dass offenbar vor allem Hörnchen und kleine Nagetiere das Virus übertragen.
Wie ist es dann auf den Menschen übergesprungen?
Nitsche: Bis vor zwei, drei Jahren war das Hauptrisiko in Afrika, dass das Virus zum Beispiel über den Verzehr von sogenanntem Buschfleisch übertragen wird. Das heißt: Die Menschen jagen Tiere, die im Wald oder der Savanne leben und möglicherweise infiziert sind. Oft wird das Fleisch roh verzehrt. So können sich Menschen infizieren. Diese Übertragung gibt es auch weiterhin. Zusätzlich gab es auch immer schon Infektionsketten zwischen Menschen.
… dazu braucht es engen Kontakt.
Nitsche: Richtig, Menschen müssen eng zusammenkommen oder direkten Hautkontakt haben. Bisher kennt man – anders als zu Beispiel bei SARS-CoV2 – keine Infektionen, wo Partikel über längere Strecken durch die Luft fliegen. Deswegen ist es 2022 auch vergleichsweise gut gelungen, die Infektionen einzudämmen.
Wie kann es überhaupt zu so großen Ausbrüchen kommen, wenn es so schwierig ist, das Virus zu übertragen?
Nitsche: Zum Beispiel, wenn viele Menschen eng zusammenwohnen. Möglicherweise hat sich das Virus der Klade Ib auch in den Tierreservoirs vermehrt und es gibt deswegen mehr Quellen. Das ist bisher nur Spekulation, aber eine Möglichkeit.
Also, dass sich mehr Nagetiere oder auch andere Tiere angesteckt haben?
Nitsche: Genau, wenn es in den betroffenen Gebieten mehr Überträger gibt als früher, kann es natürlich auch zu mehr Ansteckungen kommen. Aber letztendlich weiß man es nicht.
Ist es theoretisch möglich, dass das Virus so mutiert, dass es über die Luft übertragbar wird?
Nitsche: Man kann nie vorhersagen, was passiert. Aber dass die Viren auf einmal anfangen zu fliegen, ist nicht abzusehen. Pockenviren sind sehr groß, auch ihr Erbgut, sie haben sehr viele Gene beziehungsweise Proteine und bilden deshalb sehr schwere Partikel aus. Diese brauchen engen Kontakt, um sich übertragen zu können.
Zudem besteht das Erbgut von Pockenviren – anders als zum Beispiel bei Influenza- und Coronaviren – aus DNA. Es gibt Kontrollmechanismen, die verhindern, dass sich beim Kopieren Fehler einschleichen. Sie verändern sich also nicht so schnell. Dennoch kommt es im Laufe der Zeit zu Mutationen.
Weil Pockenviren so groß sind, versteht man auch noch nicht genau, welche Gene für welche Eigenschaften zuständig sind. Man kann also noch gar nicht sagen: wenn dieses Gen vorkommt, verhält sich das Virus auf eine ganz bestimmte Weise.
Das Gute ist ja, dass die herkömmliche Pockenimpfung auch gegen die Mpox schützt. Allerdings ist heutzutage kaum mehr jemand geimpft. Die Pocken gelten eigentlich ausgerottet. Glauben Sie, dass sie jetzt zurückkommen?
Nitsche: Interessant ist: Die Pocken wurden mit einem Impfstoff ausgerottet, dessen Ursprung man gar nicht so genau kennt. Das sogenannte Vacciniavirus ist ein nicht natürlich vorkommendes Orthopockenvirus. Der Impfschutz wird überwiegend über Proteine vermittelt, die an der Oberfläche des Virus sitzen. Anders als bei anderen Viren, wo nur ein oder zwei Proteine für die Immunantwort verantwortlich sind, sind es bei den Pocken vermutlich mehr als 20. Das heißt also, selbst wenn es kleine Veränderungen in diesen Proteinen gibt, reicht das immer noch, um diesen Schutz aufzubauen. Studien zufolge ist er sehr hoch. Ich gehe aktuell davon aus, dass sich das nicht ändern wird. Durchbruchsinfektionen können vorkommen, verlaufen in der Regel aber weniger schwer, und die Betroffenen sind in der Regel auch weniger infektiös.
Zu Ihrer Frage, ob die Pocken wiederkommen. Nachdem der Erreger der Menschenpocken, das Variolavirus, als ausgerottet gilt, war eigentlich abzusehen, dass andere Orthopockenviren diese Nische füllen werden. Ob das jetzt Mpox, die Kuhpocken, die Alaskapocken – wo Anfang des Jahres der erste Todesfall bekannt wurde –, oder noch etwas anderes wird, war noch nicht klar. Aber diese Viren werden uns für immer begleiten.
Das Besondere beim Variolavirus ist, dass es keine tierische Reservoire gibt. Es hat ausschließlich Menschen befallen. Deshalb konnte man es zurückdrängen, bis es keine Infektionen mehr gab. Dass dieses Virus in der Natur nochmal auftaucht, halte ich für extrem unwahrscheinlich.
Nur noch in zwei Labors weltweit – eines in den USA und eines in Russland – gibt es vermehrungsfähige Variolaviren. Wird überhaupt noch an Medikamenten und neuen Impfstoffen gegen die Pocken geforscht?
Nitsche: Ja, und das hat uns gerade bei Mpox einen großen Vorsprung verschafft. Es gibt grundsätzlich eine Diagnostik, es gibt Impfstoffe und es gibt Medikamente – wenn auch nicht überall im gleichen Maße verfügbar.
Wäre es sinnvoll, wieder systematisch gegen Pocken zu impfen? Manche Länder empfehlen das zum Beispiel Bürgerinnen und Bürgern, die nach Afrika reisen.
Nitsche: Die STIKO hat 2022 eine Impfempfehlung für Mpox veröffentlicht. Sie empfiehlt die Impfung aktuell nur bestimmten Personengruppen. Ein erhöhtes Risiko haben zum Beispiel Männer, die Sex mit Männern haben und ihre Partner häufig wechseln, und auch Personen, die im Labor mit Proben arbeiten, die diese Viren enthalten. Wie wir vorhin besprochen haben, lässt sich das Risiko minimieren, indem man seine Kontakte vorsichtig wählt. Das Risiko, dass ich mich auf dem Flughafen infiziere, ist extrem gering.
Man muss aber dazu sagen: die Viruslasten in den Hautläsionen der Patienten sind riesengroß. Ein direkter Haut-zu-Haut-Kontakt führt daher mit hohem Risiko zu einer Infektion. Und man kann sich auch über kontaminierte Gegenstände, zum Beispiel Bettlaken, anstecken. Pockenviren sind in der Umwelt erstaunlich stabil. Um einen Menschen infizieren zu können, müssen sie aber auf eine Schleimhaut gelangen.
Wie lange dauert es denn normalerweise, wenn man sich angesteckt hat, bis man die Läsionen, also die typischen Bläschen, bekommt?
Nitsche: Auf den traditionellen Wegen, über Buschfleisch und ähnliches, haben wir immer gesagt: zwischen fünf und 21 Tagen. Aus dem Geschehen von 2022 weiß man aber, dass es auch zu kürzeren Inkubationszeiten von nur zwei Tagen kommen kann. Das war vermutlich der effizienteste Übertragungsweg, den man sich vorstellen kann: Wenn ich eine Läsion habe und berühre damit bei meinem Partner zum Beispiel Schleimhaut. Man muss bedenken: Die Läsionen können auch an Körperstellen auftreten, wo ich sie nicht sehen kann, etwa im Genitalbereich. Man hat beim letzten Ausbruch beobachtet, dass Patienten schon ansteckend waren, bevor sie Läsionen hatten. Oft beginnt die Erkrankung mit recht unspezifischen Beschwerden wie Muskelschmerzen, Rückenschmerzen, Fieber oder Kopfschmerzen.
Entwickelt denn jeder Infizierte Symptome?
Nitsche: Prinzipiell ja. Es mag Fälle geben, in denen die Symptome so mild sind, dass sie nicht wahrgenommen werden. Wenn ich keine Läsionen habe, ist mein Risiko, andere anzustecken, natürlich viel geringer. Ansonsten ist man ansteckend, bis die Krusten abgefallen sind.
Um die Diagnose zu stellen, wird ein Abstrich aus einer solchen Hautläsion genommen und ins Labor geschickt. Kommen die Proben dann alle zu Ihnen, ins Konsiliarlabor für Pockenviren in Berlin?
Nitsche: Als es anfing, 2022, haben wir wirklich sehr viele Proben zugeschickt bekommen. An dieser Stelle möchte ich auch nochmal ein Lob an die einsendenden Ärztinnen und Ärzte, gerade zu Beginn, aussprechen. In den ersten Wochen waren 60 bis 70 Prozent der Proben positiv. Die Ärztinnen und Ärzte haben die Erkrankung bei ihren Patienten also gut erkannt. Dann haben auch andere Labore Kapazitäten aufgebaut. Mittlerweile gibt es sehr viele Labore in Deutschland, die Orthopockenviren grundsätzlich diagnostizieren können. Manche können auch Mpox erkennen, aber nur wenige können die Kladen unterscheiden. Wir machen das routinemäßig. Bei Neuinfektionen sequenzieren wir das ganze Genom.
Rechnen Sie mit Fällen von Mpox Klade I beziehungsweise Ib in Deutschland?
Nitsche: Seit etwa einer Woche bekommen wir vermehrt Anfragen, ob man uns Proben schicken kann und welche Tests was leisten können. Die erhöhte Aufmerksamkeit durch den PHEIC wird zu mehr Probeneinsendungen führen. Eine Ausbreitung der Klade-I-Viren nach Europa durch reiseassoziierte Infektionen ist prinzipiell möglich. Und ich gehe davon aus, dass wir früher oder später auch ein Klade-Ib-Virus treffen werden.
Bereitet Ihnen das Sorge?
Nitsche: Nein. Wir haben in Deutschland alle Möglichkeiten, um solche Infektionen unter Kontrolle zu halten: eine gute Laborinfrastruktur, eine gute Krankenversorgung und Informationsmöglichkeiten. Das wichtigste ist, dass wir die Infektionen rechtzeitig erkennen. Bei dem Mpox-Ausbruch 2022 mit Klade IIb habe ich bei Betroffenen und Versorgenden hierzulande eine große Bereitschaft wahrgenommen, sich untersuchen und impfen zu lassen – viel mehr, als es beispielsweise bei Covid-19 der Fall war.
Woran liegt das, meinen Sie?
Nitsche: Wenn man an sich – an welchem Körperteil auch immer – so eine Hautläsion feststellt, verwirrt einen das vermutlich und man stellt sich eher dem Arzt vor. Aber wie viele Menschen haben vor der Pandemie bei respiratorischen Beschwerden den Arzt aufgesucht? Das Hauptproblem ist, dass das Klade-I-Geschehen zur Zeit hauptsächlich in Regionen der Welt stattfindet, wo es keine einfache, schnelle Diagnostik für alle Verdachtsfälle gibt.
Aber Sie rechnen nicht mit der nächsten Pandemie?
Nitsche: Nach bisherigen Erkenntnissen: Nein. Vorausgesetzt, das Virus mutiert nicht in einer völlig unvorhersehbaren Weise, so wie wir das vorhin besprochen hatten. Das RKI beobachtet Mpox weiterhin sehr genau. Ich gehe davon aus, dass es weltweit, auch in Deutschland, immer wieder Peaks mit mehr Fällen geben wird. Dann gibt es wieder weniger. Aber Mpox wird uns nicht mehr verlassen.
Quellen:
- Africa CDC: Africa CDC Declares Mpox A Public Health Emergency of Continental Security, Mobilizing Resources Across the Continent. Online: https://africacdc.org/... (Abgerufen am 22.08.2024)
- Robert Koch-Institut: Mpox in Deutschland . Online: https://www.rki.de/... (Abgerufen am 22.08.2024)
- Xu M, Liu C, Du Z et al. : Real-world effectiveness of monkeypox vaccines, A systematic review. In: Journal of Travel Medicine 11.04.2023, 30: 048
- WHO: Advisory Committee for Variola virus Research. Online: https://www.who.int/... (Abgerufen am 22.08.2024)