Studie: Queere Menschen haben höheres Risiko für Depression und Demenz
Menschen aus der LGBTIQ+-Community haben ein erhöhtes Risiko, später im Leben psychische Erkrankungen zu bekommen. Das ist das Ergebnis einer großen neuen Studie, die am 25. September 2024 im Fachmagazin Neurology veröffentlicht wurde. Einer der Hauptgründe ist vermutlich der sogenannte Minderheiten-Stress.
Bei Menschen aus der LGBTIQ+-Community handelt es um Personen, die andere sexuelle Orientierungen als heterosexuell haben oder deren Geschlechteridentität nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. LGBTIQ fasst die englischen Begriffe Lesbian, Gay, Bi, Trans, Inter und Queer zusammen und das Plus steht für weitere Menschen mit anderen Gender-Identitäten oder sexuellen Orientierungen.
Was genau hat die Studie über LGBTIQ+-Personen herausgefunden?
Menschen aus der LGBTIQ+-Community haben ein 14 Prozent höheres Risiko, an einer Demenz zu erkranken, als Menschen mit einer sogenannten Cisgeschlechteridentität und zugleich heterosexueller Orientierung. Cisgeschlechtlich bedeutet, dass sich die Person mit dem Geschlecht identifiziert, das ihr anhand ihrer angeborenen Körpermerkmale zugeschrieben wurde. Das Risiko für eine Altersdepression ist bei LGBTIQ+-Personen sogar um 27 Prozent erhöht.
Zu diesen Ergebnissen kommt die Studie durch die Analyse der Daten von 393.041 Menschen, deren Durchschnittsalter bei 51 Jahren lag. 353.409 von ihnen hatten eine Cisgeschlechteridentität und waren zugleich heterosexuell, die übrigen 39.632 waren LGBTIQ+-Personen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler analysierten unter anderem Gesundheitsdaten und eigene Angaben und kamen so auf die geschilderten erhöhten Risiken für LGBTQ+-Menschen.
Auch das Risiko für Schlaganfälle wurde analysiert, aber hier zeigte sich lediglich bei Trans-Frauen ein erhöhtes Risiko von 68 Prozent. Eine mögliche Erklärung könnten die Medikamente sein, die für eine Geschlechtsumwandlung eingenommen werden, spekulieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Veröffentlichung.
Wie lässt sich das Ergebnis der Studie zu LGBTIQ+-Personen einordnen?
„Ich halte die Ergebnisse für sehr plausibel“, sagt die Psychologin Lena Haarmann von der Uniklinik Köln, die dort in der Arbeitsgruppe „Gesundheitsbezogene Aspekte bei LGBTIQ+-Personen“ forscht. „Dass bei LGBTIQ+-Personen die psychische Gesundheit einem höheren Risiko ausgesetzt ist, haben schon eine Reihe von Studien gezeigt.“
Lena Haarmann hat selbst in einer Analyse zahlreicher Studien zum Thema ein mögliches erhöhtes Risiko für die körperliche Gesundheit von LGBTIQ+-Personen untersucht. „Die physische Gesundheit von LGBTIQ+-Personen ist nicht so stark erforscht wie die psychische Gesundheit, aber unsere Analysen haben gezeigt, dass es vor allem bei chronischen Erkrankungen der Atemwege, allen voran Asthma, und auch bei Erkrankungen wie Migräne und Rückenschmerzen ein erhöhtes Krankheitsrisiko für LGBTIQ+-Personen gibt“, sagt Haarmann.
Was sind mögliche Ursachen für das erhöhte Krankheitsrisiko?
Vor allem für die in der Studie gefundenen psychischen Gesundheitsgefährdungen ist laut Haarmann der sogenannte Minderheitenstress eine wesentliche Ursache. Minderheitenstress entsteht dadurch, dass Menschen einer Minderheit – wie LGBTIQ+-Personen in Bezug auf sexuelle Orientierung und Gender-Identität – schon deshalb erhöhtem Stress ausgesetzt sind, weil sie Minderheiten angehören und häufig als solche wahrgenommen und im negativen Sinne auch behandelt werden.
„Viele Menschen, die Minderheiten angehören, wie LGBTIQ+-Personen, erleben über die gesamte Lebensspanne immer wieder Diskriminierungen und Stigmatisierungen, die mit Stress verbunden sind. Das kann etwa auf der gesellschaftlichen Ebene passieren, zum Beispiel durch mangelnde Rechte oder öffentliche Anfeindungen, oder es kann im persönlichen Umfeld passieren, etwa dass LGBTIQ+-Personen von Freundinnen, Freunden oder gar Familienmitgliedern in ihrer Identität nicht anerkannt werden“, erklärt Haarmann.
Hinzu kommen weitere Faktoren: „Das Netzwerk gerade über verschiedene Generationen, was im Alter besonders wichtig ist, ist für Menschen aus der LGBTIQ+-Community häufig kleiner, unter anderem auch deshalb, weil queere Personen seltener eigene Kinder bekommen“, so Haarmann.
Der potenziell chronische Minderheitenstress kann über die Jahrzehnte gesundheitsschädlich sein. „Verschiedene Erkrankungen können sich in der Folge auch gegenseitig bedingen oder verstärken. Chronischer Stress erhöht etwa das Risiko für Depressionen – und Depressionen wiederum erhöhen das Risiko für eine Demenz“, erklärt Haarmann.
Was lässt sich gegen den Minderheitenstress tun?
Um die erhöhten Risiken zu senken, gilt es, den Minderheitenstress zu reduzieren. „Ob und inwieweit das schon gelungen ist, darüber wird häufig diskutiert. Einerseits könnte man meinen, dass es heute viel üblicher ist, zwei Männer händchenhaltend durch die Stadt gehen zu sehen. Andererseits wirkt das Erstarken von rechten Bewegungen wie ein Gegenpol: Menschen aus der queeren Community sehen sich wieder verstärkten Anfeindungen ausgesetzt“, sagt Haarmann. Fest stehe: Je anerkannter queere Lebensweisen in allen Gesellschaftsbereichen sind, desto weniger gesundheitsgefährdendem Stress sind LGBTIQ+-Personen ausgesetzt.
Quellen:
- Haarmann L, Lieker E, Folkerts A et al.: Higher Risk of Many Physical Health Conditions in Sexual Minority Men: Comprehensive Systematic Review and Meta-Analysis in Gay- and Bisexual-Identified Compared with Heterosexual-Identified Men. libertpub.com: https://www.liebertpub.com/... (Abgerufen am 25.09.2024)
- Haarmann L, Folkerts A, Lieker E et al.: Comprehensive systematic review and meta-analysis on physical health conditions in lesbian- and bisexual-identified women compared with heterosexual-identified women. National Library of Medicine: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 25.09.2024)
- Huo S et al. : Brain Health Outcomes in Sexual and Gender Minority Groups. Neurology: https://dx.doi.org/... (Abgerufen am 25.09.2024)