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Wie wirkte sich die Pandemie auf die psychische Gesundheit Jugendlicher aus?

Lockdowns und Schulschließungen während der Corona-Pandemie bleiben für viele Jugendliche nicht nur in unangenehmer Erinnerung – sie haben sich auch vermehrt auf die psychische Gesundheit niedergeschlagen. Kein Wunder: Die sozialen Kontakte waren verringert, das Leben war plötzlich künstlich eingegrenzt. Auch wer zu Hause keine Probleme hatte, litt darunter. Dass dies nicht nur naheliegende Vermutungen sind, sondern die psychische Gesundheit überdurchschnittlich häufig beeinträchtigt wurde, zeigen immer mehr Studien.[1]

So konnte etwa eine große Studie des Uniklinikums Hamburg-Eppendorf[2] zeigen, dass 40 Prozent der Kinder und Jugendlichen während der Pandemie Kopfschmerzen hatten – davor waren es 28 Prozent. Auch Gereiztheit und Einschlafprobleme waren signifikant häufiger.

Insgesamt stieg das Risiko für psychische Auffälligkeiten von 18 Prozent vor der Corona-Pandemie auf 30 Prozent während der Pandemie. All das führte vermehrt zu Krankheiten: So hatten etwa während der Schulschließungen[3] Kinder und Jugendliche zu 75 Prozent häufiger generelle Anzeichen für eine Depression als zuvor.

Eine neue Studie sorgt nun mit einem interessanten Befund für Aufsehen: Die Wissenschaftler glauben Anzeichen dafür gefunden zu haben, dass die Hirnrinde von Jugendlichen – insbesondere von Mädchen – in den Pandemiejahren untypisch schnell gereift ist.

Was zeigt die neue Studie zur Gehirnentwicklung während der Pandemie?

In der jetzt im Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlichten Studie[4] machten Wissenschaftler der University of Washington im Jahr 2018 von 160 Kindern und Jugendlichen MRT-Aufnahmen des Gehirns. Ursprünglich wollten die Forscher 2020 erneute MRT-Aufnahmen machen, um die Gehirnentwicklung zu untersuchen. Doch dann kamen die Corona-Pandemie und die Lockdowns dazwischen.

Sie machten erst 2021 und 2022 von 130 der 160 Kinder und Jugendlichen jeweils eine zweite MRT-Aufnahme des Gehirns. Und angesichts der Pandemie änderten sie die Fragestellung: „Was bedeutete es für unsere Teenager, zu Hause zu sein und nicht in ihren sozialen Gruppen – nicht in der Schule, nicht beim Sport, nicht in der Freizeit?“, sagt die Biomedizinerin Neva Corrigan, die Hauptautorin der Studie. Darum sollte es nun gehen: Inwieweit sich das durch die Pandemie eingeschränkte Leben in der Gehirnstruktur zeigte.

Das Ergebnis ist auf den ersten Blick alarmierend: Beim Vergleich der Aufnahmen kamen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass die Dicke der Gehirnrinde der Probandinnen und Probanden schneller abgenommen habe, als es für eine normale Entwicklung typisch sei – die Gehirnentwicklung sei also schneller verlaufen. Das gilt den Forschern zufolge insbesondere für die Mädchen: Sie seien 4,2 Jahre „weiter“ in der Entwicklung, als es normalerweise der Fall sei, bei den Jungen kamen die Forscher auf 1,4 Jahre.

Welche Rolle spielt es, ob die Hirnrinde eher dick oder eher dünn ist?

In der Kindheit ist die Hirnrinde am dicksten, dann wird sie immer schmaler. Das liegt wahrscheinlich daran, dass Nervenverbindungen, die nicht gebraucht werden, im Laufe der Zeit abgebaut werden. Dass die Dicke der Hirnrinde im Laufe der Jugend – insbesondere in der Pubertät und in den Jahren danach – abnimmt, ist also völlig normal, es geschieht im Rahmen der natürlichen Entwicklung des Gehirns. Welche Folgen es für die Psyche hat, wenn diese Entwicklung verfrüht und beschleunigt abläuft, ist noch nicht ausreichend erforscht.

Die Studienautoren gehen aber davon aus, dass die beschleunigte Verdünnung der Hirnrinde mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von psychischen Krankheiten und verhaltensbezogenen Störungen einhergeht. Tatsächlich steht eine besonders dünne Hirnrinde in Verbindung mit psychischen Krankheiten wie Depressionen und Schizophrenie. Doch die Grenze, ob eine krankhaft dünne Hirnrinde vorliegt oder ob es sich nur um die Ausdünnung der Hirnrinde im Laufe der jugendlichen Entwicklung handelt, ist schwer zu ziehen.

Wie schätzen andere Wissenschaftler die Studie zu den Pandemie-Auswirkungen ein?

„Grundsätzlich ist die Idee, die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie – beziehungsweise den vermuteten Stress durch die Lockdown-Maßnahmen – zu untersuchen, sehr interessant“, sagt die Neurowissenschaftlerin Dr. Sofie Valk vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig. Doch bei der Umsetzung der Studie gibt es Valk zufolge eine Reihe von Problemen: „Die Studie lässt viele Fragen offen und kann ihre Aussagen nicht gut belegen.“ Einer der Gründe: Die Zahl der Probanden und Probandinnen ist sehr klein. Denn die 130 Kinder und Jugendlichen, bei denen zwei MRT-Aufnahmen gemacht wurden, mussten in verschiedene Untergruppen unterteilt werden, unter anderem nach dem Geschlecht.

„Die Kinder und Jugendlichen in der Studie sind sehr unterschiedlich alt, und dazu kommen noch individuelle Unterschiede in der Reifung. Die Daten lassen keine Rückschlüsse zu, ob die Änderungen in der Dicke der Hirnrinde wirklich anders sind als erwartet“, sagt Valk.

Außerdem wird kritisiert, dass die Forscher keine Verhaltensdaten der Jugendlichen erfasst haben: Wer hatte psychische Probleme, wer nicht? Diese Daten hätte man dann in Zusammenhang setzen können mit der Hirnentwicklung und der Dicke der Hirnrinde. „Ich verstehe nicht, warum sie das nicht getan haben“, sagt Valk.

Auch das Ergebnis, dass bei Mädchen die Beschleunigung der Gehirnentwicklung besonders ausgeprägt sei, wird angesichts der kleinen Probandenzahl kritisch gesehen. „Die Studie ist provokativ in der Annahme, dass die Gehirne von Mädchen im Teenageralter irgendwie anfälliger sind als die von Jungen. Die Daten stimmen auch nicht gut mit früheren Erkenntnissen zu diesem Thema überein“, sagt Lise Eliot, Professorin für Neurowissenschaften am Stansin Toshik Center for Brain Function and Repair an der Rosalind Franklin University in Illinois, USA.

Welche Schlüsse lassen sich aus der Studie ziehen?

Dass die Reifung der Hirnrinde durch den Stress während der Corona-Pandemie und den Lockdowns beschleunigt wurde, ist tatsächlich eine Möglichkeit, die durch die neue Studie ins Interesse der Forschung gerückt wurde. Die Studie selbst liefert aber allenfalls Hinweise auf eine solche Beeinflussung der Hirnreifung durch die Pandemie – belegen kann sie nicht. Das liegt auch daran, dass die beschleunigte Hirnentwicklung der Probandinnen und Probanden nicht bewiesen, sondern allenfalls angenommen werden kann.


Quellen:

  • [1] Schlack, R. et al: Veränderungen der psychischen Gesundheit in der Kinder- und Jugendbevölkerung in Deutschland während der COVID-19- Pandemie – Ergebnisse eines Rapid Reviews. rki.de: https://www.rki.de/... (Abgerufen am 10.09.2024)
  • [2] Ravens-Sieberer U, Kaman A, Otto C, Adedeji A, Devine J, Erhart M, Napp AK, Becker M, Blanck-Stellmacher U, Löffler C, Schlack R, Hurrelmann K: Mental health and quality of life in children and adolescents during the COVID-19 pandemic—results of the COPSY study.. In: Deutsches Ärzteblatt: 05.11.2022, https://doi.org/...
  • [3] Ludwig-Walz, Helena; Dannheim, Indra; Pfadenhauer, Lisa; Fegert, Jörg; Bujard, Martin: Zunahme von Depressionen bei Kindern und Jugendlichen. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung: https://www.bib.bund.de/... (Abgerufen am 10.09.2024)
  • [4] Corrigan, N., Rokem, A., Kuhl, P.: COVID-19 lockdown effects on adolescent brain structure suggest accelerated maturation that is more pronounced in females than in males. PNAS: https://www.pnas.org/... (Abgerufen am 09.09.2024)