Logo der Apotheken Umschau

Morbus Menière – kurz erklärt

  • Morbus Menière äußert sich charakteristischerweise durch die Kombination der drei plötzlichen Beschwerden Schwerhörigkeit, Schwindel und Ohrensausen. Anhand dieser Symptome und ein paar Zusatzuntersuchungen stellen die Ärzte auch die Diagnose
  • Die Ursache ist noch nicht abschließend geklärt, es scheinen mehrere Sachen mit hineinzuspielen, darunter womöglich Bluthochdruck, abgelaufene Infektionen und eine genetische Veranlagung
  • Es gibt zwar keine ursächliche Therapie, die Morbus Menière heilen könnte, aber die Beschwerden lassen sich mittlerweile mit einer Reihe von Behandlungsmöglichkeiten bekämpfen

Was ist Morbus Menière?

Es beginnt mit einem plötzlichen Einsetzen der Beschwerden, die nach Minuten bis Stunden wieder verschwinden, und dann in sehr unregelmäßigen Abständen – nach Tagen oder auch nach Monaten oder Jahren – in Form von Attacken erneut auftreten.

In der Regel kommen drei Arten von Beschwerden zusammen (in manchen Fällen auch nur ein oder zwei davon):

1. Drehschwindel

2. Ohrensausen – ein Geräusch im Ohr, bei Morbus Menière oft ein eher tiefer und dumpfer Ton

3. Akute Hörminderung – eine plötzliche Verminderung der Hörfähigkeit auf dem betroffenen Ohr

Zusätzlich kommt es oft zu einem Druckgefühl im betroffenen Ohr.

Wie Morbus Menière entsteht, ist nicht geklärt. In den allermeisten Fällen ist im Innenohr zu viel Flüssigkeit (siehe unten), was auch Auswirkungen auf das benachbarte Gleichgewichtsorgan hat. Diagnostische Tests des Hör- und Gleichgewichtssinns sind zur Klärung wichtig.

Der Morbus Menière ist eine chronische Erkrankung, die ein sehr breites Spektrum an Verläufen haben kann. Die Attacken können mehrmals monatlich auftreten oder nur alle paar Jahre.

Die Erkrankung ist eher selten. In einer Studie in Großbritannien wurde sie in einem Jahr bei 13 pro 100.000 Menschen diagnostiziert. Etwa 200 Menschen pro Hunderttausend Menschen in Deutschland haben derzeit Morbus Menière, das sind etwa 160.000 Menschen. Zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr tritt Morbus Menière am häufigsten zuerst auf, dann hält die Erkrankung meist über Jahrzehnte an. Frauen sind etwas häufiger betroffen als Männer.

Wie kommt es zu Morbus Menière und was geschieht dabei im Innenohr?

Was die Ursachen für Morbus Menière sind, ist nicht bekannt. Es gibt neben den Beschwerden lediglich eine Auffälligkeit, die bei praktisch allen Betroffenen vorhanden ist: Im Innenohr ist etwas zu viel Flüssigkeit enthalten, was vermutlich auch für des Entstehen der meisten Symptome verantwortlich ist.

So sieht das Innenohr aus: In den Bogengängen des Gleichgewichtsorgans und in der Hörschnecke befinden sich Flüssigkeiten

So sieht das Innenohr aus: In den Bogengängen des Gleichgewichtsorgans und in der Hörschnecke befinden sich Flüssigkeiten

Der Hintergrund zum besseren Verständnis

Das Innenohr besteht aus dem Gleichgewichtsorgan (mit Bogengängen) und dem Hörorgan – der sogenannten Hörschnecke. Diese beiden Strukturen haben Hohlräume, in denen jeweils eine Art "Kanalsystem" verläuft. Die Kanäle werden durch dünne Häute (Membranen) begrenzt und sind mit Flüssigkeiten gefüllt. Wenn Geräusche aus der Umwelt auf das Trommelfell treffen, gibt dieses die Geräusche in Form von Schwingungen über die kleinen Gehörknöchelchen weiter, diese wiederum bringen die Flüssigkeit im Innenohr – Endolymphe genannt – zum Schwingen. Die Endolymphe drücken in den Kanalwänden feine Härchen, auch Haarsinneszellen genannt, in eine Richtung – diese wiederum senden entsprechende Nervenimpulse zum Gehirn – das die Schwingungen wieder in wahrgenommene Geräusche versetzt – so hören wir. In unmittelbarer Nachbarschaft zum Innenohr liegt das Gleichgewichtsorgan, auch hier ist eine Flüssigkeit enthalten, die sogenannten Perilymphe – je nachdem, wie wir uns bewegen und wo die Schwerkraft wirkt, bringen die Perilymphe Härchen zum Schwingen – unser Gleichgewichtsgefühl.

Beim Morbus Menière scheint das Gleichgewicht zwischen Produktion und Abbau der Endolymphe verschoben zu sein – so dass es im Innenohr zu viel Endolymphe gibt. Womöglich drückt die Endolymphe auch auf die Perilymphe – einer Theorie zufolge kommt es vielleicht auch zu Einrissen in dem Häutchen zwischen den beiden Flüssigkeiten, der sogenannten Reissner-Membran, so dass sich die Flüssigkeiten vermischen. In beiden Kanalsystemen wird auf die Härchen deshalb offenbar weniger präzise Druck ausgeübt, was zu Ohrensausen, Schwerhörigkeit und Schwindel führen kann. Da die Gehalte von Natrium und Kalium in Perilymphe und Endolymphe unterschiedlich sind, kann eine Vermischung das Problem noch einmal verschärfen.

Woran es wiederum liegt, dass die Flüssigkeit im Innenohr mehr wird und Druck aufbaut, darüber spekulieren Mediziner noch. Entweder wird die Endolymphe vermehrt produziert oder vermindert abgebaut. „In Betracht gezogen werden immunologische Effekte bei Allergien oder nach abgelaufenen Virusinfektionen, Barrierestörungen der Blutgefäße im Innenohr oder Störungen des autonomen Nervensystems“, sagt Professor Sebastian Strieth, Direktor der Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde am Universitätsklinikum Bonn (UKB).

Symptome und Diagnose: Wie äußert sich Morbus Menière?

Wegweisend für die Diagnose ist die Kombination der drei charakteristischen Symptome von Morbus Menière, die meist in Form von Attacken auftreten, die in der Regel wenige Minuten bis einige Stunden dauern.

1. Drehschwindel-Anfälle

Mit nur kleiner Vorwarnung wird den Betroffenen extrem schwindelig, manchmal kommt auch Übelkeit hinzu und das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Die Schwindelanfälle halten oft über Stunden an und kehren in unvorhersehbaren Abständen wieder.

2. Ohrensausen

„Es rauscht und brummt in meinem Ohr“ – so beschreiben Betroffene häufig das Ohrensausen, auch Tinnitus genannt, das bei Morbus Menière typisch ist. Vor allem bei längerer Krankheitsdauer (siehe unten) können die Ohrgeräusche (der Tinnitus) aber auch darüber hinaus anhalten. Bei Morbus Menière hören eher tiefe Töne, zum Beispiel ein dumpfes Brummen oder ein Rauschen.

3. Hörstörungen

Die Betroffenen hören auf einmal schlechter, vor allem Sprache klingt verzerrt. Eventuell bemerken sie diese einseitige Schwerhörigkeit erstmals während einer Schwindelattacke. Während einer Attacke kann sich die Schwerhörigkeit verschlechtern bis hin zum vorübergehenden Hörverlust. Nach der Attacke hören die Betroffenen dann wieder etwas besser.

Schon die Symptome – selbst wenn es in manchen Fällen nur zwei der drei Symptome sind – lassen an Morbus Menière denken. Viele Patienten klagen auch über ein Druckgefühl im betroffenen Ohr.

Hat der Arzt Morbus Menière im Verdacht, geht es darum, diesen zu bestätigen.

Es gibt zwar einige andere Erkrankungen, bei denen das Gleichgewichtsgefühl oder das Hörvermögen jeweils eingeschränkt ist, aber wenn beides zusammenkommt, ist Morbus Menière sehr wahrscheinlich. Mittels verschiedener Tests (Audiometrie) wird das Hörvermögen getestet. Weitere Hör- und Gleichgewichtstests können den Ärzten dann genug Informationen geben, um eine sichere Diagnose zu stellen.

Bei Morbus Menière ist meist nur ein Ohr betroffen, in seltenen Fällen können aber auch beide Ohren betroffen sein.

Wie verläuft Morbus Menière?

Morbus Menière ist eine langwierige Erkrankung, die sich in der Regel über Jahre hinzieht. Oft kommt es in unregelmäßigen Abständen immer wieder zu den charakteristischen Attacken. Das Ausmaß ist hier ganz verschieden: Bei manchen Menschen sind Attacken leicht und kaum störend, bei anderen schränken sie die Lebensqualität spürbar ein – vor allem, wenn sie häufiger auftreten.

Anfangs regeneriert sich das Hörvermögen und das Gleichgewichtsgefühl nach jeder Attacke noch vollständig, bis irgendwann vor allem beim Hörvermögen dauerhafte Einschränkungen bleiben.

Nach einigen Jahren schließlich stellt sich oft eine Art Erschöpfung ein und die Attacken lassen nach. Das liegt normalerweise daran, dass die Haarsinneszellen in den oben beschriebenen Kanalsystemen auf Dauer geschädigt sind oder sogar komplett verloren gehen. „Man sagt dann auch: Das Ohr ist ausgebrannt“, sagt Dr. Mohamed Bassiouni von der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde an der Charité Universitätsmedizin Berlin.

„Das Spektrum, wie die Erkrankung verlaufen kann, ist enorm breit“, so Bassiouni. „Die Ausprägung und der Verlauf können bei Morbus Menière sehr unterschiedlich sein. Manche Patienten haben einmal im Jahr eine Attacke von wenigen Stunden und hören sehr gut, andere haben alle zwei Wochen eine Attacke und ihr Ohr ist nach wenigen Jahren ausgebrannt.“ Der Verlauf könne sich manchmal auch ändern. Es gebe Patienten, die anfangs viele Attacken haben und nach kurzer Zeit nur noch sehr wenige – und umgekehrt.

Wie lässt sich Morbus Menière behandeln?

Weil die Ursache von Morbus Menière bislang unbekannt ist, lässt sich die Erkrankung auch nicht wirklich ursächlich behandeln.

Doch es gibt eine Reihe von Therapieansätzen, die sich als wirksam erwiesen hat. In der Regel kommt eine Art Stufentherapie zum Einsatz: Man versucht eine bestimmte Behandlung, ist die erfolglos, wechselt man auf die nächste Stufe.

Wenn die Attacken und die damit einhergehenden Beschwerden einen gewissen Leidensdruck schaffen, versucht man es zunächst mit einer medikamentösen Therapie, insbesondere mit dem Wirkstoff Betahistin. Betroffene nehmen das Mittel täglich in Tablettenform ein. Es wirkt gegen Schwindelattacken, und wenn es regelmäßig genommen wird, kann es deren Auftreten womöglich senken. „In placebokontrollierten Studien ließ sich keine oder nur eine schwache Wirkung bei Morbus Menière nachweisen, aber da das Mittel risikoarm ist und viele Ärzte damit gute Erfahrungen gemacht haben, wird es hierzulande noch recht häufig gegeben“, sagt Bassiouni.

Reicht eine Behandlung mit Betahistin nicht aus, werden Medikamente – insbesondere Kortison – direkt ins Mittelohr gespritzt, das wird auch intratympanale Therapie genannt. „Eine intratympanale Therapie mit Kortison wird nicht explizit empfohlen, ist aber eine gute Behandlungsalternative bei Patienten mit gutem Hörvermögen, die von einer medikamentösen Therapie etwa mit Betahistin nicht mehr profitieren“, so Bassiouni. Die intratympanale Therapie kann in regelmäßigen Abständen wiederholt werden. Die Behandlung ist mit Aufwand verbunden, sie erfolgt in der HNO-Praxis oder in einer Klinik.

Wenn die oben genannten Maßnahmen nicht ausreichen, ist die nächste Stufe etwas aggressiver: Das Antibiotikum Gentamicin wird normalerweise zur Behandlung von Infektionen eingesetzt, es hat dabei die Nebenwirkung, dass es die Haarsinneszellen im Innenohr schädigen kann. Bei einem ausgeprägten Morbus Menière ist diese Wirkung im Rahmen einer Behandlung erwünscht: „Die intratympanale Therapie mit Gentamicin schädigt die Haarsinneszellen des Innenohrs, deshalb kann es auch zu einer Hörverschlechterung kommen – aber zugleich gehen auch die Schwindelattacken bei den meisten Patienten zurück“, sagt Bassiouni.

Als letzte Stufe der Behandlung, die äußerst selten zum Tragen kommt, lässt sich das betroffene Hörorgan auch mit einer Operation ausschalten. Die Idee dahinter: Wenn das erkrankte Hörorgan chirurgisch ausgeschaltet wurde, übernimmt das gesunde Ohr die Funktion. „Zu solchen Eingriffen kommt es jedoch nur nach gründlicher Abwägung im individuellen Fall“, sagt Strieth.

Während der Attacken kann man die Beschwerden behandeln. Bei starkem Schwindel und häufigem Erbrechen wird in der Regel vorübergehend Bettruhe verordnet und die Übelkeit mit Medikamenten behandelt.

Es gebe auch Allgemeinmaßnahmen, für deren Wirkung es zwar noch keine wissenschaftlichen Belege gebe, die aber aufgrund der bisherigen Erkenntnisse über die Entstehung und Wirkung von Morbus Menière einleuchtend seien, sagt Sebastian Strieth: „Wegen des Gleichgewichts bei Mineralien und Salzen empfehle ich meinen Patienten eine salzarme Diät, viel zu trinken und auf Koffein und Alkohol nach Möglichkeit zu verzichten.“ Ob diese Maßnahmen im individuellen Fall geeignet erscheinen, sollten Betroffene mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin absprechen.

Kommt es längerfristig zu einem hochgradigen Hörverlust – sei es durch wiederholte Anfallsattacken oder als Nebenwirkung einer Gentamycin-Therapie – gibt es inzwischen mit dem Cochlea-Implantat auch eine Behandlungsmöglichkeit. Sebastian Strieth aus Bonn sieht darin einen wesentlichen Fortschritt: „Früher hat der Morbus Menière im Langzeitverlauf oft zu einem schicksalhaften Hörverlust geführt. Heute können wir das Hören in solchen Fällen in den allermeisten Fällen wieder ermöglichen.“

Quellen:

Bruderer SG et al. Population-Based Study on the Epidemiology of Ménière's Disease. Audiol Neurotol 2017;22:74-82. Online: https://doi.org/10.1159/000475875

Lopez-Escamez JA et al. Diagnostic criteria for Menière's disease. J Vestib Res 2015;25(1):1-7. Online: https://doi.org/10.3233/VES-150549

Jürgen Strutz und Wolf Jürgen Mann: Praxis der HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie. 3. Auflage Thieme 2017

Wichtiger Hinweis:

Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann eine ärztliche Beratung nicht ersetzen. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir keine individuellen Fragen beantworten.