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Etwa ein bis zwei von 1000 Kindern können schon bei Geburt sehr wenig oder gar nichts hören. Häufig ist ein Genfehler die Ursache, der das Innenohr betrifft. Einer davon beruht auf einem Gen, über das ein Protein namens Otoferlin hergestellt wird. Dieser Gendefekt verursacht bis zu acht Prozent der vererbten Schwerhörigkeit. Weltweit gehen Forschende von etwa 200.000 Betroffenen aus.

Prof. Dr. Ellen Reisinger von der HNO-Uniklinik Tübingen schätzt, dass in Deutschland jedes Jahr 15 bis 25 Kinder mit Otoferlin-Taubheit geboren werden. Sie leitet eine Forschungsgruppe, die sich mit der Gentherapie von Schwerhörigkeit und Taubheit befasst. Dass sich der Erbgutfehler prinzipiell gentherapeutisch korrigieren lässt, hat Reisinger bereits 2019 bei tauben Mäusen bewiesen.

Töne und Sprache erreichen über Trommelfell und Gehörknöchelchen die Hörschnecke. Dort wandeln Haarzellen den Schall in elektrische Aktivität um, die über den Hörnerv ins Gehirn gelangt. Beim Eintreffen des Schalls entsteht in der Hörschnecke des Innenohrs eine Schwingung, die die Sinneshaare der Haarzellen biegt. Dadurch setzt die Haarzelle den Botenstoff Glutamat frei, der die Fasern des Hörnervs erregt. Dieser leitet die Information über Synapsen ans Gehirn.

Töne und Sprache erreichen über Trommelfell und Gehörknöchelchen die Hörschnecke. Dort wandeln Haarzellen den Schall in elektrische Aktivität um, die über den Hörnerv ins Gehirn gelangt. Beim Eintreffen des Schalls entsteht in der Hörschnecke des Innenohrs eine Schwingung, die die Sinneshaare der Haarzellen biegt. Dadurch setzt die Haarzelle den Botenstoff Glutamat frei, der die Fasern des Hörnervs erregt. Dieser leitet die Information über Synapsen ans Gehirn.

Warum wird jetzt darüber gesprochen?

Was wie ein Wunder klingt, ist wahr geworden: Die Gentherapie funktioniert nicht nur bei Mäusen, sondern auch bei Menschen. Taube Kinder können wenige Wochen nach der Behandlung hören, wenn auch nur eine kleine Gruppe von Betroffenen. In mehreren voneinander unabhängigen Studien haben Forschende in den USA und in China das geschafft.

Als Transportmittel für das gesunde Otoferlin-Gen dienten dabei sogenannte Adeno-assoziierte Viren, die durch ein kleines Loch im Knochen hinter dem Ohr oder ins Innenohr gespritzt werden. „Adeno-assoziierte Viren vereinen viele Vorteile für die Gentherapie“, sagt Reisinger. Sie machen Menschen nicht krank, bauen sich nicht ins Erbgut ein und vermehren sich auch nicht ohne die Unterstützung anderer Viren. Gleichzeitig verbleiben sie unendlich lange in der Zielzelle, sodass das eingeschleuste Gen dauerhaft zur Verfügung steht.

Die behandelten Kinder konnten wenige Wochen nach der Behandlung nachweislich hören. Sie reagierten selbst auf leise Töne, manche begannen bei Musik zu tanzen. Bei einigen zeigte sich ein erstes Verstehen gesprochener Worte. Sie reagierten beispielsweise auf ihren Namen. Andere fingen sogar an, erste Silben oder einfache Worte zu artikulieren.

Vesikel, winzige Bläschen in der Haarzelle, setzen den Botenstoff Glutamat frei. Dieser erreicht die Hörnerv-Fasern und löst eine Erregung aus. Dafür ist das Protein Otoferlin nötig.

Vesikel, winzige Bläschen in der Haarzelle, setzen den Botenstoff Glutamat frei. Dieser erreicht die Hörnerv-Fasern und löst eine Erregung aus. Dafür ist das Protein Otoferlin nötig.

Was haben Betroffene davon?

Forschende sprechen zwar teilweise schon von einem entscheidenden Durchbruch, um genetisch bedingte Gehörlosigkeit ursächlich zu behandeln. Allerdings: Der neue gentherapeutische Ansatz kommt aktuell nur für wenige Betroffene infrage. Denn mehr als 150 Gendefekte können zu einer Innenohrtaubheit führen. Die meisten eignen sich derzeit nicht für eine Gentherapie, weil die Entwicklung des Innenohrs bereits früh in der Entwicklung gestört ist.

Wegen eines Gendefekts fehlt Otoferlin. Die Vesikel können nicht andocken und kein Glutamat freisetzen.

Wegen eines Gendefekts fehlt Otoferlin. Die Vesikel können nicht andocken und kein Glutamat freisetzen.

Die Defekte müssten vor der Geburt behandelt werden. Dennoch ist die Humanbiologin Dr. Kathrin Kusch, die in Göttingen im Institut für auditorische Neurowissenschaften gemeinsam mit Prof. Dr. Tobias Moser an genetisch bedingter Taubheit forscht, optimistisch. Sie sieht in den Ergebnissen weit mehr als einen Beweis dafür, dass das Therapieprinzip funktionieren kann. „Wir haben einige weitere Kandidatengene für eine Gentherapie im Visier“, sagt Kusch.

Allerdings werden nicht alle Betroffenen durch eine Gentherapie die Lautsprache erlernen können. Bei einem elfjährigen Jungen aus Marokko, dessen Fall als erster vorgestellt wurde, ist das beispielsweise fraglich. „Wir wissen, dass der Spracherwerb in einem Zeitfenster bis zum dritten Lebensjahr am besten gelingt“, sagt Prof. Dr. Kristen Rak, stellvertretender Direktor der HNO-Klinik am Uniklinikum Würzburg. „Aus diesem Grund versorgen wir Kinder möglichst früh mit Cochlea-Implantaten.“ Bei dem Jungen war das nicht der Fall.

Therapie: Forschende verpacken das korrekte Otoferlin-Gen in ein Virus. Es wird über das runde Fenster, eine kleine Knochenöffnung, in die Hörschnecke gespritzt.

Therapie: Forschende verpacken das korrekte Otoferlin-Gen in ein Virus. Es wird über das runde Fenster, eine kleine Knochenöffnung, in die Hörschnecke gespritzt.

Was bewirken Cochlea-Implantate?

Cochlea-Implantate sind Hörprothesen, die das defekte Innenohr quasi überbrücken. „Das Hören damit ist nicht mit natürlichem Hören vergleichbar“, sagt Rak. Die Wahrnehmung von Lautstärke, Frequenzen, Rhythmik ist anders und muss trainiert werden. „Die Hoffnung ist, mit einer Gentherapie näher an das natürliche Hören zu kommen“, so Rak. Auch wenn das noch nicht bewiesen sei. „Wir raten Eltern dazu, ihr Kind mit Cochlea-Implantaten versorgen zu lassen und nicht auf die Zulassung einer Gentherapie zu warten, damit sich die Zentren im Gehirn, die für Hören und Sprache zuständig sind, frühzeitig entwickeln können.“ Nach heutigem Wissensstand sei eine Gentherapie, so sie denn zugelassen werde, später trotzdem noch möglich.


Quellen:

  • Qi J et al.: AAV-Mediated Gene Therapy Restores Hearing in Patients with DFNB9 Deafness. In: Adv. Sci. 01.03.2024, 11: 1-13
  • Jun Lv et al:: AAV1-hOTOF gene therapy for autosomal recessive deafness 9: a single-arm trial. In: Lancet 25.05.2024, 403: 2317-25
  • Akouos Clinical Trials: Gene Therapy Trial for Otoferlin Gene-mediated Hearing Loss. https://clinicaltrials.gov/... (Abgerufen am 16.07.2024)
  • Children´s hospital of Philadelphia: Children’s Hospital of Philadelphia Performs First in U.S. Gene Therapy Procedure to Treat Genetic Hearing Loss. https://www.chop.edu/... (Abgerufen am 16.07.2024)
  • Wang H et al.: Bilateral gene therapy in children with autosomal recessive deafness 9: single-arm trial results. Nature Medicine: https://doi.org/... (Abgerufen am 15.07.2024)
  • Ford CL et al.: The natural history, clinical outcomes, and genotype–phenotype relationship of otoferlin‑related hearing loss: a systematic, quantitative literature review. In: Human Genetics 07.09.2023, 142: 1429-1449
  • Warner-Czyz A: Gene Therapy: What lies ahead for treatment of hearing loss?. https://www.acialliance.org/... (Abgerufen am 15.07.2024)
  • Qi, J et al.: Clinical practice guidelines for gene therapy to treat hereditary hearing loss. In: Interdisciplinary Medicine 01.04.2024, 2: 1-8
  • Forschungsprojekt Universitätsmedizin Göttingen

  • Regeneron Pharmaceuticals: A Study of DB-OTO, an Adeno-associated Virus (AAV) Based Gene Therapy, in Children/​Infants With Hearing Loss Due to Otoferlin Mutations (CHORD). Clinical Trials Gov: https://clinicaltrials.gov/... (Abgerufen am 15.07.2024)
  • del Castillo I et al.: Genetic etiology of non-syndromic hearing loss in Europe. In: Human Genetics 19.01.2022, 141: 683-696
  • Al-Moyed, H et al.: A dual-AAV approach restores fast exocytosis and partially rescues auditory function in deaf otoferlin knock-out mice. In: EMBO Molecular Medicine 03.12.2018, 11: 1-13