Testosteron-Mythen: Wann ist man ein Mann?

"Je mehr Testosteron, desto besser der Sex": Tatsächlich ist das Hormon für sexuelles Verlangen verantwortlich
© W&B/Szczesny
Das Hormon treibt Sportler zu Spitzenleistungen an und macht Männer zu aggressiven Alphatieren. Je mehr Testosteron, desto besser der Sex, heißt es. Wären da nur nicht diese männlichen Wechseljahre ... Um Testosteron ranken sich viele Klischees. Was stimmt – und was ist übertrieben oder sogar falsch? Hormon-Mythen auf dem Prüfstand.
?"Testosteron ist ein Hormon nur für Männer"?
"Tatsächlich macht das Hormon aus Jungen Männer", erklärt Professor Frank Sommer, Abteilung für Männergesundheit am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. "Testosteron regt in der Pubertät das Wachstum der Körperbehaarung, die Spermienproduktion und das sexuelle Verlangen an. Es baut Muskeln auf, Fett ab und sorgt für maskuline Züge."
Das heißt aber nicht, dass Testosteron für Frauen weniger wichtig wäre. Auch sie brauchen das Hormon für ihre Libido und Fruchtbarkeit. Und nicht nur das: "Beide Geschlechter haben in fast allen Geweben Testosteron-Rezeptoren, sodass der Botenstoff auf viele Körperfunktionen einwirken kann", sagt Sommer.
Das Hormon beeinflusst den Fett- und Zuckerstoffwechsel, trägt dazu bei, dass unsere Knochen stabil bleiben, wir uns gut fühlen, wir voller Energie sowie fix im Denken sind.Kurzum: Testosteron ist nicht nur ein Hormon für Männer.
?"Je mehr Testosteron, desto besser der Sex"?
"Ohne das Hormon gibt es kein sexuelles Verlangen – bei Frauen wie Männern", erklärt der Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und Männerheilkunde Professor Eberhard Nieschlag. Zu viel Testosteron könne aber zur Hypersexualität und damit übersteigerter Libido führen.
Kreist zu wenig davon im Blut, können neben allgemeinen Mangelsymptomen und fehlendem sexuellen Antrieb auch Erektionsstörungen oder Schmerzen beim Sex auftreten, erläutert Männerarzt Frank Sommer: "Ein gesunder Testosteronlevel ist daher meist eine Voraussetzung für Spaß im Bett!"
?"Testosteron macht aggressiv, gewaltbereit und risikofreudig"?
Ein höherer Testosteronlevel begünstigt aggressives Revierverhalten. Das zeigen wenigstens Tierversuche. Ob man diese Ergebnisse auf Menschen übertragen kann, darüber streiten Wissenschaftler.
Zwar zeigten Untersuchungen mit Häftlingen, die vor rund 40 Jahren durchgeführt wurden, dass besonders gewalttätige Männer einen erhöhten Testosteronspiegel aufwiesen. Doch es blieb offen, ob der höhere Hormonlevel das brutale Verhalten fördert oder umgekehrt: das Gewalt-Gebaren zum hohen Testosterongehalt führt. Denn die Botenstoffe beeinflussen zwar soziale Interaktionen, unser Umfeld wirkt aber auch auf den Hormonhaushalt ein. Wie genau beides zusammenhängt, wird derzeit vermehrt untersucht.
Als erwiesen gilt: Testosteron steigert das Verlangen, sich mit anderen zu messen. Testosteron sei gleichsam aber auch ein sozialisierendes Hormon, das Männer sensibler für den eigenen Status macht und sogar prosoziales Verhalten fördern kann, erklärt Professor Eberhard Nieschlag, Emeritus am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie des Universitätsklinikums Münster: "Mangelt es jungen Männern an Testosteron, ziehen sie sich zurück und werden eigenbrötlerisch."
?"Wir können unseren Testosteronwert nicht beeinflussen"?
Krafttraining und Abnehmen sind Stellschrauben, mit denen man den Testosteronwert beeinflussen kann: Männer mit einem Rettungsring von mehr als94 Zentimeter Umfang haben weniger Testosteron als muskulöse Typen. "Adipositas ist ein Feind des Tes- tosterons", betont Nieschlag. "Sagen Betroffene ihrem Übergewicht den Kampf an, steigt ihr Testosteronspiegel mit jedem überflüssigen Kilo, das sie verlieren."
Auch wichtig: ausreichend Schlaf und Entspannung. Bei körperlicher und psychischer Belastung bildet der Körper vermehrt das Stresshormon Cortisol, einen Gegenspieler des Testosterons. Es wirkt sich negativ aufs Hormonlevel aus. Genauso: Nikotin und Alkohol.
?"Auch Männer kommen in die Wechseljahre"?
"Wechseljahre gibt es bei Männern nicht", stellt Experte Nieschlag richtig. "Auch wenn ihr Testosteron-Hormonspiegel ab dem 40. Lebensjahr leicht abfallen kann, bleiben die Konzentrationen bei gesunden Männern im Normbereich. Ausnahme: "Es gibt bei etwa drei Prozent der älteren Männer einen Altershypogonadismus – eine Unterfunktion der Hoden."
Wenn ein Mann antriebslos ist, immer seltener Lust auf Sex verspürt, unter abnehmender Muskelkraft leidet oder von Dauermüdigkeit geplagt ist, könnte das auf eine zu niedrige Produktion von Testosteron hindeuten.
"Ein Mediziner sollte dann nach den Ursachen forschen", rät Sommer: "Mitunter macht es Sinn, einen nachgewiesenen Mangel durch Hormongaben in Form von Spritzen, Gels oder Pflastern auszugleichen." Wegen möglicher Nebenwirkungen ist es wichtig, die Werte regelmäßig zu kontrollieren. Steigt der Testosteronspiegel, kommen der Antrieb, Spaß an der Bewegung und die Lust auf Sex wieder.
?"Je mehr Testosteron, desto besser die sportliche Leistung"?
Testosteron regt die Bildung der roten Blutkörperchen an – und diese sorgen für mehr Power. Männer haben deutlich mehr von dem Stoff im Blut als Frauen, deshalb wetteifern die Geschlechter getrennt um Medaillen. "Bei Frauen reicht schon eine leichte Erhöhung des Testosteronspiegels, um die Leistung bei Ausdauersportarten zu steigern, zeigen Studien", sagt Endokrinologe Nieschlag. In Dopingkontrollen wird getestet, ob die Sportler hier künstlich nachgeholfen haben.
Lässt sich der Testosteronlevel aber auch auf legalem Weg optimieren? "Ja, mit kurzen Kraft- oder High-Intensity-Trainingseinheiten von bis zu einer halben Stunde", sagt Frank Sommer. "Auch 45 Minuten Jogging ist okay. Da wäre es aber gut, ab und zu ein Intervalltraining einzubauen." Bei intensiveren Ausdauereinheiten verkehrt sich der Effekt ins Gegenteil um: "Wer einen Marathon läuft, der kann seine Testosteronreserven erschöpfen."
?"… und Östrogen macht Frauen zu Frauen"?
Ohne Östrogen gibt es wenigstens keinen Menstruationszyklus und keine Schwangerschaft. Aber das ist nicht alles, wofür das Sexualhormon gebraucht wird. Östrogene beeinflussen bei Frauen - und genauso bei Männern – geistige Fähigkeiten wie das Lernen, aber auch Gefühle. Ein Mangel steht in Verbindung mit depressiven Verstimmungen und Depressionen. Der männliche Körper bildet Östrogen vornehmlich aus Testosteron. Bei Frauen produzieren vor allem die Eierstöcke das "weibliche" Hormon.