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Wie beim Zahnarzt kreischt der Bohrer, als er in den Knochen fährt und ein winziges Loch hineinfräst. Knochenstaub fällt hinab und sammelt sich auf einem feinen Blatt Papier. Nicht viel, nur ein paar Milligramm. Mehr Material braucht es nicht. Eine Mitarbeiterin entnimmt in Schutzanzug und unter UV-Licht eine Probe aus dem alten Knochen.

Es herrscht Überdruck im Labor des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Keine noch so kleinen Teilchen sollen von außen hineingelangen. Denn was hier entnommen wird, darf auf keinen Fall verunreinigen: DNA, die eine Reise durch die Zeit ermöglicht. Im Institutshaus einige Etagen höher steht die dafür nötige „Zeitmaschine“. Voll automatisiert entschlüsselt sie das uralte menschliche Erbgut der Probe.

Archäogenetik: „Eigentlich ein Himmelfahrtskommando“

Der Zeitreisende ist Prof. Dr. Johannes Krause. Als Archäogenetiker untersucht der 44-Jährige altes Erbgut. Mithilfe eines winzigen Stücks Fingerknochen aus einer sibirischen Höhle entdeckte er 2010 eine bis dahin unbekannte Menschenform: den Denisovaner, quasi den asiatischen Neandertaler. Bereits zuvor hatte Krause als Doktorand bei dem berühmten Genetiker Svante Pääbo das Neandertaler-Genom entschlüsselt. Unter anderem dafür bekam Pääbo später den Nobelpreis. Zu dem Zeitpunkt, an dem Krause sich auf das Projekt einließ, war dieser Erfolg nicht absehbar. „Der vorherige Doktorand hat mir sogar dringend abgeraten“, erzählt Krause. Weder notwendige Technik noch passendes Knochenmaterial waren vorhanden – durchaus ein Wagnis. „Eigentlich war das ein Himmelfahrtskommando“, so der Wissenschaftler.

Doch alles fügte sich. Man fand weitere Knochen, die Sequenzierungstechnik entwickelte sich rasch weiter. Der Beginn einer „Entdeckerzeit“, wie Krause es nennt. Plötzlich ließen sich Theorien beweisen, über die man zuvor nur spekulieren konnte. Eine von ihnen besagt, dass der Ackerbau zusammen mit Menschen aus Anatolien nach Europa kam. Die Archäologie konnte das nicht bestätigen. Die Archäogenetik aber tat genau dies. Das Erbgut in uralten Menschenknochen ist wie ein Geschichtsbuch. Ja, sogar wie eine ganze Bibliothek, die nur aus vier Buchstaben besteht: A, C, T und G.

Diese Buchstaben stehen für Basen, aus denen der genetische Code von Lebewesen besteht. Sie können verraten, wie sich die Pest entwickelt hat, dass Ötzi dunkle Haut hatte und woher unsere Vorfahren stammen. „Wanderungsbewegungen von Menschen lassen sich sehr gut nachverfolgen“, sagt Krause. Aus- und eingewandert sind Menschen schon immer – und hatten Sex mit den Artgenossen, denen sie an den neuen Orten begegneten.

Erste Menschen: Vor 50.000 Jahren aus Afrika in die Welt

Krause steht hinter einem höhenverstellbaren Schreibtisch und tippt in seinen Laptop. An der Wand hängt eine Lederjacke, in den Regalen stehen Bücher über Biochemie und ausgestorbene Kulturen. Nachbildungen von Menschenschädeln und ein Plüsch-Mammut blicken dem Besucher entgegen. Auf einer Tafel ist mit Kreide die Entwicklung der modernen Menschen skizziert. Vor etwa 50.000 Jahren verließen diese das erste Mal erfolgreich Ostafrika. Und besiedelten von dort aus die ganze Welt. Deshalb haben heute Westafrikaner und Ostafrikaner mehr genetische Unterschiede als Europäer, Asiaten, amerikanische Ureinwohner und Ostafrikaner untereinander.

Aus einem alten Knochen wird eine kleine Probe entnommen.

Aus einem alten Knochen wird eine kleine Probe entnommen.

Auf ihren Wanderungsbewegungen trafen die modernen Menschen auch auf den Neandertaler. Offenbar fanden sich Homo sapiens und Homo neanderthalensis nicht unbedingt unattraktiv. Denn auch sie pflanzten sich miteinander fort. „Noch heute tragen deshalb Nicht-Afrikaner etwa zwei Prozent Neandertaler-Erbgut in sich“, so Krause. In Asien passierte Ähnliches mit dem Denisovaner: Dort haben Menschen je nach Region bis zu fünf Prozent dieser Urmenschen-Gene in sich.

Vor 8000 Jahren wurde Haut der Nordeuropäer heller

Auch jüngere Wanderungsbewegungen nach Europa lassen sich über das Erbgut nachverfolgen. Die Ackerbauern aus Anatolien kamen vor rund 8000 Jahren. Erst in dieser Zeit wurde auch die Haut von nördlich lebenden Europäern heller: Die Kombination von Ackerbau und wenig Sonne half denen, die dank hellerer Haut mehr Vitamin D produzierten.

Zuletzt kamen vor etwa 5000 Jahren Einwanderer aus der osteuropäischen Steppe. Das Erbgut der meisten Europäer ist daher ein Mischmasch aus Genen europäischer Jäger und Sammler, anatolischer Ackerbauern und osteuropäischer Steppenmenschen. Und all diese gehen schon auf unsere afrikanischen Vorfahren zurück. Deshalb sind wir alle immer noch eng miteinander verwandt: Unter den 3,2 Milliarden Basenpaaren im menschlichen Erbgut gibt es kein einziges, welches etwa Afrikaner von Nicht-Afrikanern trennt.

Zur Person

Prof. Dr. Johannes Krause ist Biochemiker. Mit dem Medizinnobelpreisträger Svante Pääbo forschte er an alter DNA. Unter anderem entschlüsselten sie das Erbgut des Neandertalers. Krause entdeckte eine neue ausgestorbene Menschenform: den Denisovaner. Seit 2020 ist er Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.


Quellen:

  • Fischer M, Hoßfeld U, Krause J, Richter S : Jenaer Erklärung, Das Konzept der Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung. https://www.uni-jena.de/... (Abgerufen am 19.08.2024)